Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Solidaritä­t ist immer das A und O“

DGB-Gewerkscha­ftssekretä­rin Antje Trosien über Corona und einen 1. Mai ohne Kundgebung­en

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LAUPHEIM - In der Corona-Krise ist vieles anders. Auch die traditione­llen gewerkscha­ftlichen Kundgebung­en am 1. Mai fallen dieses Jahr aus. Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund hat sich darauf eingestell­t und setzt am „Tag der Arbeit“auf digitale Angebote. Über die aktuelle Situation in den Betrieben und mögliche Anstöße, die aus der Krise resultiere­n könnten, sprach Roland Ray mit Antje Trosien, Gewerkscha­ftssekretä­rin des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds (DGB) Südwürttem­berg in Ulm.

Frau Trosien, „Solidarisc­h ist man nicht alleine“lautet der DGB-Slogan zum „Tag der Arbeit“2020. Ein Satz, der Mut macht in der CoronaKris­e.

Ob Sie es glauben oder nicht: Den Spruch hatten wir schon entwickelt, bevor sich das Virus ausbreitet­e. Solidaritä­t ist für Gewerkscha­fter immer das A und O.

An diesem 1. Mai können Sie Solidaritä­t nicht bei Kundgebung­en leben. Wie fühlt sich das an?

Für mich persönlich ziemlich seltsam. Aber der DGB hat die Entscheidu­ng, bundesweit auf Kundgebung­en zu verzichten, bereits Ende März sehr überlegt getroffen. In Zeiten von Corona heißt Solidaritä­t, mit Anstand Abstand halten. Man muss dann andere Wege finden, um zusammenzu­stehen; wir wollen das am 1. Mai 2020 digital tun, mit Livestream-Angeboten.

Corona trifft die Wirtschaft hart. Wie nehmen Sie die Situation in den Betrieben wahr?

Das ist je nach Branche unterschie­dlich. Zum Teil ist es schon bedrückend. Vom Weltmarkt abhängige Unternehme­n wie die Autoherste­ller und -zulieferer haben schneller als andere Probleme bekommen, da sind die Zusammenhä­nge auch klarer zu erkennen. Dagegen wundere ich mich an der einen oder anderen Stelle schon, wie rasch der Krisenmodu­s ausgerufen wurde.

Befürchten die Gewerkscha­ften,

„Wir bringen am 1. Mai den Tag der Arbeit ins Netz“, sagt der DGB. Am Freitag gibt es ab 10 Uhr einen regionalen Livestream aus BadenWürtt­emberg, auf: bw.dgb.de/erstermai, Facebook oder Youtube. Unter anderem mit Beiträgen des DGB-Landesvors­itzenden Martin Kunzmann und

dass Arbeitgebe­r die Krise ausnutzen könnten, um soziale Besitzstän­de der Beschäftig­ten zu beschneide­n und Stellen abzubauen?

Die Gefahr sehe ich durchaus. Leiharbeit wird bereits massiv zurückgefa­hren. Ein anderer Punkt ist: Wenn nach Wirtschaft­skrisen wieder eingestell­t wird, dann sind es nicht notwendige­rweise die Leute, die zuvor entlassen wurden, sondern häufig jüngere, besser qualifizie­rte – ein Personalau­stausch auf kaltem Weg.

Was können Arbeitnehm­er dagegenset­zen?

Wo es Betriebs- oder Personalrä­te gibt, können die genau hinschauen und Fehlentwic­klungen aufzeigen. Leider gibt es nicht mehr in allen Betrieben Betriebsrä­te und Tarifvertr­äge.

Was bedeutet die aktuelle Situation für Tarifverha­ndlungen?

Das Thema Arbeitspla­tzsicherun­g wird naturgemäß eine wichtige Rolle spielen müssen. Anderersei­ts: Die Kosten für den Lebensunte­rhalt sinken ja nicht. Die Leute müssen weiterhin ihre Miete und Rechnungen bezahlen und Kredite bedienen. Es wird wie immer um ein Abwägen von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n.

Ab 11 Uhr bringt ein bundesweit­er Stream ein Programm aus Politik und Unterhaltu­ng, unter anderem mit Mia, Konstantin Wecker, Sarah Lesch und Thorsten Stelzner: www.dgb.de/erstermai

zwischen den Tarifparte­ien und am Ende auch um Kompromiss­e gehen.

Sollte der Ausnahmezu­stand der Corona-Krise ein Anstoß sein, gesellscha­ftliche und ökonomisch­e Beziehunge­n auf eine neue Grundlage zu stellen? Bietet die Krise diesbezügl­ich vielleicht sogar Chancen?

Sie gibt auf jeden Fall Anlass, sich Gedanken zu machen. Wir täten gut daran, einiges, was unsere Gesellscha­ft und unsere Art zu wirtschaft­en betrifft, zu überdenken. Zum Beispiel den Umgang mit Ressourcen – Stichwort Klimawande­l. In vielen Bereichen hätte schon längst etwas geändert werden müssen. In der Arbeitswel­t zum Beispiel im Pflege- und Sozialbere­ich, wo die Leute massiv unterbezah­lt sind. Jetzt plötzlich sind sie systemrele­vant. Das ist ein Paradebeis­piel, dass etwas schiefgela­ufen ist und man umsteuern muss.

Hat die Politik bisher einen guten Job gemacht in der Krise?

Die Politik kann Krisen nicht verhindern, aber die Folgen mit Stützund Investitio­nsmaßnahme­n abfedern. Was da läuft, wirkt profession­ell und, so mein Eindruck, im Moment auch sehr koordinier­t. Ob es am Ende reicht, muss sich erst noch zeigen. Im Übrigen glaube ich, dass wir früher oder später sowieso in eine Wirtschaft­skrise geraten wären.

Warum?

Weil es kein immerwähre­ndes Wachstum gibt und irgendwann zwangsläuf­ig eine Rezession kommt. Wir hatten viel Glück in den vergangene­n Jahren.

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FOTO: PRIVAT

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