Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die Sedelhöfe werden langsam wohnlich
Schon im Juni eröffnen die ersten Geschäfte im Ulmer 200-Millionen-Euro-Projekt
ULM - Auf der einen Seite Kirchheimer Travertin, auf der anderen Muschelkalk. Zwei Gebäude des 200Millionen-Euro-Projekts geben jetzt ganz ohne Gerüste ihre Fassaden preis. Was bei all dem Naturstein noch auffällt: Zwischen den Fenstern der Sedelhöfe prangen kupferfarbene Metallblenden, die an die Historie des Grundes erinnern, auf denen das Einkaufsquartier gebaut wird. E=mc2, die Relativitätstheorie von Albert Einstein sowie andere Formeln prangen auf den meterhohen Tafeln. Nachdem der auf diesem Grundstück geborene Nobelpreisträger ein Physiker und kein Virologe war, hätte Einstein wohl trotz seines Genies auch keine Mittel gehabt, die dunklen Wolken über der anstehenden Eröffnung zu vertreiben.
Das Projekt liegt nach Angaben von Ulrich Huzel, dem Mietkoordinator, zwar „voll im Zeitplan“. Doch eine feierliche Eröffnung will in Zeiten der Corona-Pandemie gerade niemand planen. Fest als Mieter stehen wie berichtet in Sachen Textilien nur Zalando und Snipes. Längst hätte der Investor weitere Mieter verkünden wollen. Über den Stand der Vertragsverhandlungen gibt es offiziell keine Auskünfte. Aber man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass die Corona-Krise eine denkbar schlechte Grundlage für Investitionen in den stationären Einzelhandel ist. Ulrich Huzel kennt die Branche wie kaum ein Zweiter. Der 66-Jährige mischt schon seit 30 Jahren bei der Entwicklung von Einkaufszentren mit. Von Breuninger-Land in Stuttgart über den Leipziger Hauptbahnhof bis hin zur Europa-Passage in Hamburg. „Früher sind die Mieter Schlange gestanden. Heute muss man fast schon betteln“, sagt der Altheimer.
Die Sedelhöfe werden das letzte Großprojekt des Schwaben sein. Dann geht der Freiberufler in den Ruhestand. Umso mehr Leidenschaft bringt der Mann mit dem wehenden grauen Haar in seine Abschiedsvorstellung. Sogar seine Fußballer der AH führte er schon über die Baustelle, die so viele Gesichter hat, in der Passage vom Hauptbahnhof zur Fußgängerzone fast schon ein fertiges. Die Glasfronten sind montiert, der Boden teilweise verlegt. Schnell wird klar: Mit der alten, schummrigen Unterführung hat die weite und hohe neue Passage nichts gemein. Im neuen Edeka-Supermarkt werden sogar schon die ersten Regale montiert. Chef ist hier Ralf Dörflinger, der bereits in Langenau und Gerstetten zwei Supermärkte betreibt. Bei der Ansicht des Fußbodens
kommt Huzel ins Schwärmen. „Ich habe noch nie einen Fußboden gesehen, der so topfeben ist.“Der Grund: Das Abziehen des Estrichs erledigten Roboter. Auf 2100 Quadratmetern bietet Dörflinger 22 500 Artikel an und beschäftigt 70 Mitarbeiter. Auch ein kleines Bistro mit Sitzgelegenheiten hat Dörflinger eingeplant. Auch hier nimmt allerdings Corona etwas die Vorfreude von Dörflinger, der einen „Millionenbetrag“in die Ausstattung des Markts investiert. Am Eröffnungstermin will er dennoch festhalten: Der 18. Juni. Dies sei mit den anderen Mietern der Passage, einem dm-Drogeriemarkt, Bäckerei sowie einer Apotheke, abgestimmt. In den 112 Wohnungen beginnt bereits der Ausbau, derzeit werden die Fußbodenheizungen verlegt. Die Zuschnitte reichen von kleinen Wohnungen für Singles in Hotelzimmergröße bis hin zu großzügigeren 90 Quadratmetern. Huzel wohnt aus Überzeugung auf dem Land in Altheim (Alb). „Ich bin fest verankerter Landmensch.“Aber bei den Sedelhöfen könnte er schwach werden: „Die Wohnungen mit Münsterblick sind schon toll.“
Alle haben sie eines gemein: Einen grünen Innenhof, der derzeit aber noch eine einzige Abstellfläche ist. „Die Platznot macht das Bauen hier sehr anspruchsvoll“, sagt Huzel.
Dort, wo Krane standen, müssen jetzt Löcher gestopft werden. Und gut überlegt sein müsse auch immer, wann welcher Lastenaufzug entfernt werden kann.
Wer den Sedelhöfen ganz aufs Dach steigt, sieht, wo die 200 Millionen auch verbaut werden. Gut versteckt hinter Metallblenden füllt ein Wirrwarr aus Rohren der Lüftungstechnik ein ganzes Stockwerk. Von hier muss man viele Treppenstufen steigen, um ans andere Ende der Sedelhöfe, ins Parkhaus, zu gelangen. Der endgültige Boden ist genauso wie die Beleuchtung schon installiert. Maler weißeln die Wände und bringen Markierungen auf der Fahrbahn an.
Die aufgefächerte Treppe von der Passage auf den Albert-EinsteinPlatz ist fertig. Wer die 35 Stufen hinaufsteigt, steht dann plötzlich in Ulms neuer Häuserschlucht, die so gerne Ulms neues Zentrum sein will. Für die riesengroße Schaufensterfront direkt gegenüber gibt es noch keinen Mieter. „Corona schwebt jetzt wie ein Schwert über dem Projekt“, sagt Huzel. Er selbst hat einen Infarkt überstanden und sollte als Angehöriger der Covid-19-Risikogruppe von der Baustelle abgezogen werden. „Doch ich habe mich gewehrt.“Das letzte Projekt seiner Karriere dürfe für ihn so nicht enden.