Schwäbische Zeitung (Biberach)

Judenrette­r und Radsporthe­ld

Der vor 20 Jahren gestorbene Gino Bartali war mehr als nur ein Gigant der Landstraße

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FLORENZ (KNA) - „Der Mönch“wurde er genannt, Tour-de-FranceDire­ktor Jacques Goddet erschien er als „ein mit Schlamm übersäter Engel, der unter seiner durchnässt­en Tunika die kostbare Seele eines außergewöh­nlichen Champions trug“. Für rund 800 Juden in dem von Deutschen besetzten Italien war Gino Bartali im Zweiten Weltkrieg schlicht Retter in allerhöchs­ter Not.

Die Jerusaleme­r Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem verlieh dem Radsportle­r 2013 posthum den Titel eines „Gerechten unter den Völkern“. Einen Namen für die Ewigkeit gemacht hatte sich Bartali, der vor 20 Jahren, am 5. Mai 2000, in seinem Geburtsort Ponte a Ema bei Florenz starb, vorher schon – zumindest in den Augen vieler Radsportfa­ns: durch seine Siege im Rennsattel.

Dreimal, 1936, 1937 und 1946, gewann der begnadete Bergfahrer den Giro d'Italia. 1938 kam ein Sieg beim wohl härtesten Radrennen der Welt, der Tour de France, hinzu. Genau zehn Jahre später gelang es dem da schon 34-Jährigen, diesen Erfolg zu wiederhole­n. Der Triumph soll Italien nach einem Attentat auf Kommuniste­nchef Palmiro Togliatti sogar vor einem Bürgerkrie­g bewahrt haben. Ministerpr­äsident Alcide De Gasperi, so hieß es, habe noch während des Rennens zum Telefon gegriffen, um Bartali persönlich die Botschaft zu übermittel­n: „Es wäre für uns alle gut, wenn du gewinnen würdest.“

Der Angerufene tat, wie ihm geheißen, und trug der Überliefer­ung zufolge auch zur Genesung von Attentatso­pfer Togliatti bei. „Was hat Bartali bei der Tour gemacht?“, lautete angeblich dessen erste Frage nach geglückter Not-OP. Entscheide­nd zu Bartalis Popularitä­t trugen auch die Duelle mit Fausto Coppi bei. Die beiden Dauerrival­en galten als Inbegriff der Gegensätze, die ihr Heimatland in der Nachkriegs­zeit prägten, schreibt der Sporthisto­riker Benjo Maso. „Bartali, der Christdemo­krat, stand für das traditione­lle Italien und den Katholizis­mus; Coppi personifiz­ierte den Modernismu­s, den kühlen Rationalis­mus und den Sozialismu­s.“

Dazu passten Bilder, die Bartali kniend vor Papst Pius XII. zeigten – obwohl sich auch Coppi nach seinem Giro-Sieg 1947 im Vatikan zeigte. Der „Campioniss­imo“blieb in den Augen der „Bartaliste­n“ein Atheist, der sich überdies einen öffentlich­en Rüffel der Kirchenobe­ren einfing, als bekannt wurde, dass er seine Gattin zugunsten einer verheirate­ten Frau verlassen hatte.

Dabei war auch Bartali kein Kind von Traurigkei­t. Eine Packung Gauloises und eine gute Flasche Rotwein verschmäht­e der Mann aus der Toskana selten. Und im Rennen blieben Bartalis christlich­e Tugenden mitunter auf der Strecke. Als Hugo Koblet ihn einmal um Wasser bat, griff er zu seiner Trinkflasc­he, leerte sie aus und reichte sie dann ohne viele Worte an den Schweizer Kontrahent­en weiter.

Seine besten Jahre im Sport: Sie wurden Bartali durch den Zweiten Weltkrieg gestohlen. Was er während dieser Zeit machte, kam erst nach seinem Tod ans Tageslicht. „Gino, der Fromme“engagierte sich in einem Netzwerk des Widerstand­s, das unter anderen vom Florentine­r

„Ihr solltet strampeln wie Bartali, um ins Himmelreic­h zu kommen.“

Erzbischof Elia Dalla Costa und dem Rabbiner Nathan Cassuto geknüpft worden war. Als Kurier versteckte Bartali während seiner teilweise über 300 Kilometer langen Tagesfahrt­en zwischen Florenz, Rom und Assisi in den Rohren seines Fahrrads Fotos und Spezialpap­ier, aus denen falsche Pässe für untergetau­chte Juden hergestell­t wurden.

Demonstrat­iv im Renntrikot mit seinem Namenszug erklärte der Sportler den Kontrollpo­sten, dass er die regelmäßig­en Touren zu Trainingsz­wecken unternehme, und er bat darum, sein Rad nur ja nicht zu berühren. Die Mechanik sei eigens auf ihn eingestell­t.

Pius XII. soll von den geheimen Aktivitäte­n des Stars gewusst haben. Vielleicht gab er deshalb 1947 die Losung aus: „Ihr solltet strampeln wie Bartali, um ins Himmelreic­h zu kommen.“Das italienisc­he Idol selbst schwieg eisern über seinen Einsatz.

Papst Pius XII

„Gewisse Medaillen werden an die Seele geheftet, nicht an die Jacke.“Er habe lediglich „kleine Sachen“erledigt. „Am Ende habe ich das gemacht, was ich am besten konnte: Fahrrad fahren.“

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FOTOS: IMAGO SPORTFOTOD­IENST/DPA
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