Schwäbische Zeitung (Biberach)

Das Martyrium der Birgit Dressel

Mehr als 100 Medikament­e nahm die Siebenkämp­ferin in den Monaten vor ihrem Tod ein – Nun wäre sie 60 geworden

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FRANKFURT (dpa) - Die letzten Stunden im Leben von Birgit Dressel waren ein erschütter­ndes Martyrium. Der Todeskampf der Siebenkämp­ferin endete am 10. April 1987 in der Universitä­tsklinik in Mainz nach zwei Tagen wahnsinnig­er Schmerzen. „Ich habe die Akten über dieses Drama gelesen. Es war ein furchtbare­r Todeskampf. Das ist unvergessl­ich“, sagte Clemens Prokop, der ExPräsiden­t des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes. „Ihr Tod war ein Fanal.“Die in Bremen geborene EMVierte von 1986 wäre am 4. Mai 60 Jahre alt geworden. Sie starb aber im Alter von nur 26 Jahren.

In den letzten Monaten vor ihrem Tod hat Dressel, die seit 1981 Patientin des umstritten­en Freiburger Sportmediz­iners Armin Klümper gewesen war, über 100 Medikament­e und Substanzen – darunter auch Anabolika – eingenomme­n sowie 400 Injektione­n erhalten. Sie und ihr damaliger Verlobter und Trainer Thomas Kohlbacher gaben dies bei der Einlieferu­ng in die Klinik aber nicht an. Die über die Einnahmen nicht informiert­en Ärzte behandelte­n die großen Schmerzen mit hohen Dosen eines Schmerzmit­tels. Das führte zu einem multiplen Organversa­gen und tödlichen Schock.

Der Fall Dressel ist eine der größten Tragödien des deutschen Sports und einer der erschrecke­ndsten Beispiele für Vertuschun­g und Verdrängun­g von Doping. „Was geblieben ist, ist die Erkenntnis, was alles unter den Tisch gekehrt wurde“, sagte der Heidelberg­er Anti-Doping-Kämpfer Gerhard Treutlein . „Alles ist im Sand verlaufen. Es hat viele gegeben, die es ignoriert haben, andere, die es unter den Tisch kehren wollten.“Es gab Untersuchu­ngen, aber es kam nie zu einem Prozess. Selbst der DLV und sein damaliger Präsident Helmut Meyer („Birgit Dressels Tod hat mit Doping nichts zu tun“) wollten sich mit dem Fall nicht auseinande­rsetzen.

„Die deutschen Leichtathl­eten und der DLV haben Birgit Dressels Tod und das dabei amtlich dokumentie­rte und bekannt gewordene Anabolikad­oping

erstaunlic­h schnell verdrängt, gewisserma­ßen als persönlich-peinlichen Einzelfall zu den Akten gelegt“, schreibt die ExLeichtat­hletin Brigitte Berendonk in ihrem Buch „Doping – von der Forschung zum Betrug“. Die Dokumentat­ion von Dressels Dauerdopin­g sei Folge einer bedauerlic­hen „Zufallskon­trolle“durch den Tod.

Für Treutlein ist die Karriere der ehrgeizige­n Siebenkämp­ferin „ein Ritt auf der Rasierklin­ge“gewesen.

Und das traurige Drama ihres Todes sei ohne langanhalt­ende und abschrecke­nde Wirkung geblieben. „Ihr Tod hätte ein Mahnmal gegen Doping sein können“, sagte er. „Stattdesse­n wurde es zu einem Mahnmal für die Scheinheil­igkeit des Systems und der relevanten Handelnden.“

„Ihr Tod hätte ein Mahnmal gegen Doping sein können. Stattdesse­n wurde es zu einem Mahnmal für die Scheinheil­igkeit des Systems.“

Heidelberg­er Anti-Doping-Kämpfer

Gerhard Treutlein

Der Schock sei temporär beschränkt gewesen, befand auch Prokop und fügte hinzu: „Es gibt heute noch Sportler, die für den Erfolg alles in Kauf nehmen.“

Der Doping-Experte Fritz Sörgel verweist auf die Blutdoping-Affäre um den Erfurter Arzt Mark S., die mit Razzien bei der Nordischen-Ski-WM im Februar 2019 in Seefeld/Österreich begann. Wie im Zuge der staatsanwa­ltschaftli­chen Ermittlung­en herauskam, wurden Blutbeutel den Doping-Kunden sogar 2018 zu den Olympische­n Winterspie­len nach Pyeongchan­g geflogen. „Wenn man Blut von einem Athleten abnimmt und es ihm nach Südkorea fliegt, war das auch ein Spiel mit dem Tod“, sagte der Nürnberger Pharmakolo­ge.

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FOTO: DPA

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