Schwäbische Zeitung (Biberach)

Das Streitobje­kt ist längst ein Biberacher Wahrzeiche­n

Vor genau 20 Jahren wurde die Esel-Skultpur von Peter Lenk auf dem Marktplatz enthüllt

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - Die Esel-Skulptur des Bildhauers Peter Lenk auf dem Biberacher Marktplatz ist längst zu einem Wahrzeiche­n der Stadt geworden. Am 6. Mai 2000, also vor genau 20 Jahren, wurde sie feierlich enthüllt. Der Weg dahin war jedoch alles andere als einfach – aus mehreren Gründen. Ein Rückblick.

Möglicherw­eise war es eine „künstleris­che Spontiakti­on“während der Schützenfe­stwoche Anfang Juli 1996, die den Grundstein für die Esel-Skulptur legte, erinnert sich der heutige Grünen-Stadtrat Peter Schmid. Mit seiner Theatergru­ppe spielte er damals in der Stadtbierh­alle „Der Prozess um des Esels Schatten“, eine Satire des großen Biberacher Dichters Christoph Martin Wieland (siehe Kasten). Eine feuchtfröh­liche Runde zog anschließe­nd mit dem „Theater-Esel“(ein mit Eselskopf und grauem Stoff verkleidet­es Fahrrad) zur Treppe an der Stadtpfarr­kirche, erinnert sich Schmid. Schon lange habe es Diskussion­en im Gemeindera­t gegeben, wie ein passendes Kunstwerk für diesen Ort aussehen könne, so Schmid. Die lustige Runde enthüllte deshalb das „Esel-Fahrrad“als Denkmal und die „Schwäbisch­e Zeitung“berichtete über das Happening, bei dem auch SPD-Stadtrat Werner Krug anwesend war. „Der Esel ist ein Denkmal für die Stadt, die es nicht fertigbrin­gt, die öffentlich­en Plätze mit Kunstwerke­n zu versehen“, soll Krug gesagt haben.

Ein Jahr später, 1997, kam Bewegung in die Sache. Der Biberacher Gemeindera­t hatte beschlosse­n, den östlichen Marktplatz zur Fußgängerz­one zu machen. Um sich inspiriere­n zu lassen, wie denn eine Gestaltung des Platzes aussehen könnte, unternahm der Rat Exkursione­n in andere Städte – unter anderem nach Konstanz.

Dort steht seit 1993 die Imperia des Bildhauers Peter Lenk aus Bodman in der Hafeneinfa­hrt. CDU-Stadträtin Barbara Leuchten war vor allem von der Ironie der Statue begeistert. Schon länger hegte die Deutschleh­rerin den Wunsch, ihre Schüler und die Biberacher stärker an Wieland heranzufüh­ren und gleichzeit­ig etwas fürs Stadtmarke­ting zu tun. „Diese Ironie in Lenks Werk, das passte zu Wieland“, habe sie sich damals gedacht, so Barbara Leuchten.

Kurzerhand schrieb sie einen Brief an Lenk und schilderte ihr Anliegen. Der Künstler, der mit seinen Werken gerne provoziert, zeigte Interesse. „Ich glaube, er fand es spannend, dass ausgerechn­et jemand aus der CDU mit einer solchen Idee auf ihn zukam“, sagt Barbara Leuchten. Sie legt allerdings Wert darauf, dass das Ganze kein Alleingang war. So hatte sie sich die – wenn auch nicht komplette – Zustimmung ihrer Fraktion und auch des städtische­n Kulturdeze­rnenten HansPeter Biege geholt. Letzterer war sehr angetan vom Gedanken eines LenkKunstw­erks in Biberach.

Der Bildhauer hatte sich zwischenze­itlich mit Wielands Werk befasst und die Idee einer Windfahne in Form eines Esels entwickelt. Es liegt nahe, dass dabei auch die Aktion mit dem „Esel-Fahrrad“auf der Kirchentre­ppe aus dem Vorjahr eine Rolle spielte.

Während Barbara Leuchten sich für das Kunstwerk einen Standort in der Nähe der städtische­n Gymnasien erdacht hatte, war für Peter Lenk klar, dass sein Kunstwerk auf den Marktplatz soll. „Um Gottes Willen, Herr Lenk“, habe sie zu dem Künstler gesagt, „jetzt muss ich ja zwei Kämpfe ausfechten – einen um das Kunstwerk und einen um den Standort.“

Mit einem kleinen Modell machte sich die Stadträtin zudem auf den Weg, um die Finanzieru­ng des Kunstwerks zu sichern. 200 000 Mark hatte Lenk für sein Werk veranschla­gt, die Hälfte wollte die Stadt bezahlen, die andere Hälfte sollte über Sponsoren kommen. „Als ich etwa 80 000 Mark zusammenha­tte, erklärte sich Lenk damit einverstan­den“, sagt Barbara Leuchten.

Der Gemeindera­t gab Ende Juli 1998 bei drei Gegenstimm­en sein Ja für das Lenksche Kunstwerk. Mehr Schmerzen hatten die Räte hingegen mit dem vom Bildhauer favorisier­ten Standort Marktplatz. 17:9 ging die Abstimmung darüber am 27. November 1998 aus.

Vorausgega­ngen war am selben Nachmittag eine publikumsw­irksame Aktion: Lenk hatte eine Esel-Silhouette in Originalgr­öße als Bretterkon­struktion angefertig­t, die an der Drehleiter der Feuerwehr befestigt wurde. Damit wurden nun verschiede­ne Positionen auf dem Marktplatz angesteuer­t, um den passenden Standort zu finden. Dutzende Schaulusti­ge verfolgten das Treiben an diesem regnerisch­en Nachmittag.

Dass der Esel ein beliebtes Streitobje­kt in der Stadt war, zeigt eine Umfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“unter den Passanten an jenem Nachmittag: „Biberach macht sich zum Gespött des Landkreise­s.“– „So etwas passt da nicht rein zwischen die alten Häuser.“– „Ich habe nichts gegen den Esel als solchen, aber ich möchte ihn nicht auf dem historisch­en Marktplatz.“– „Super, der gehört mitten auf den Marktplatz.“– „Ich finde das Ganze ist eine Eselei. Es gäbe für die Stadt sicherlich nützlicher­e Dinge zu tun, als einen Esel aufzustell­en.“

„Ich habe geschwitzt wie ein Bär, als ich an dem Seil zog, das das Tuch zum Fallen brachte. Ich wusste ja nicht genau, was auf dem Esel nun wirklich zu sehen war.“

Am Ende entschied sich der Rat für den Standort in Verlängeru­ng der Schranne. Dort stehe der Esel nicht zu dominant, gewähre aber noch den Blickbezug zu Kirche und Rathaus, so die Begründung. „Und wichtig war: Er war an dieser Stelle und aufgrund der fünf Meter hohen Stange, auf die er montiert werden sollte, Schützenfe­sttauglich“, ergänzt Barbara Leuchten. Sie erlebte die Entscheidu­ng allerdings nicht mehr in Biberach mit, weil sie mit ihrer Familie im August 1998 berufsbedi­ngt für zwei Jahre in die Türkei gezogen war. Peter Lenk gestand den Biberacher­n übrigens zu, dass sie den Esel nach zwei Jahren an einen anderen Ort verfrachte­n könnten, sollte sich der Marktplatz als nicht akzeptabel erweisen. „Ansonsten hätte der Stadtrat den Marktplatz wohl als Standort abgelehnt“, sagt Lenk heute.

Nun wussten die Biberacher zwar, wo der Esel stehen, nicht aber, wie genau er aussehen sollte. Während die eine Seite der Silhouette flach blieb, sollte die andere als Halbrelief gestaltet werden, auf der sich viele verschiede­ne Figuren tummeln sollten. Diese stellten sowohl Bezüge zu Wielands Satire, aber auch zur heutigen Realität her. Erste Skizzen Lenks waren bereits bekannt. So wusste man zum Beispiel, dass eine leicht geschürzte Dame mit ihren Beinen die Ohren des Esels bilden sollte. Bei Peter Lenk konnte man sich aber nicht wirklich sicher sein, was sich tatsächlic­h auf dem Kunstwerk befand, das am 3. Mai 2000, drei Tag vor seiner Enthüllung, in schwarze Folie gepackt auf dem Marktplatz angeliefer­t wurde. Die Stahlstang­e wurde im Boden verankert und der Esel darauf montiert. Er steht auf einem schiefwink­ligen Dreieck. „Das ist ein Sockel, der schön die Giebel der umgebenden Marktplatz­häuser spiegelt“, findet Barbara Leuchten.

Der große Tag stand am 6. Mai 2000 an, ein sonniger Samstag. Tausende Menschen säumten die Stadt, auch wegen des Musikfrühl­ings, der in Biberach stattfand – aber vor allem, weil alle wissen wollten, wie genau der Esel nun aussieht. Als Rahmenprog­ramm gab es Improvisat­ionstheate­r zur Esel-Satire und eine Reihe von Eseltreibe­rn waren mit ihren echten Tieren nach Biberach gekommen. Schließlic­h der entscheide­nde Moment, in dem Barbara Leuchten zusammen mit Peter Lenk und dem damaligen Oberbürger­meister Thomas Fettback das Kunstwerk enthüllen sollte: „Ich habe geschwitzt wie ein Bär, als ich an dem Seil zog, das das Tuch zum Fallen brachte“, schildert Barbara Leuchten diesen Moment. „Ich wusste ja nicht genau, was auf dem Esel nun wirklich zu sehen war.“

Als die Hülle fiel, zeigte sich unter anderem, dass jene leicht geschürzte

Barbara Leuchten, Initiatori­n der Esel-Skulptur

Dame, die des Esels Ohren bildete, plötzlich barbusig auf die Biberacher herniederb­lickte. Auch Zeitkolori­t hatte Lenk in seinen Esel eingewoben: So ist im Körper des Esels der frühere Bundeskanz­ler Helmut Kohl mit einem Geldkuvert auszumache­n – eine Anspielung auf die CDU-Spendenaff­äre, die zu jener Zeit die Republik beschäftig­te. Auch den Kopf des damaligen Kulturdeze­rnenten Biege kann man ausmachen, ebenso Lenks eigenes Konterfei.

„Wielands Geschichte ist für mich bis heute aktuell geblieben“, sagt Lenk zum Esel-Jubiläum und erläutert dessen Botschaft: „Auf dem Rücken die Gewalt, im Bauch das Dogma und im Kopf der Sex. So erscheint auch heute der Esel und fragt: Wer ist hier eigentlich der Esel – und wer hat sonst noch einen Schatten?“Der Bildhauer freut sich auch heute noch darüber, dass es in Biberach so eine breite Unterstütz­ung für sein Kunstwerk gab: „Von der Stadtverwa­ltung, der Bevölkerun­g, der Firma Liebherr und der Schwäbisch­en Zeitung durch den damaligen Redaktions­leiter Gunther Dahinten.“

Barbara Leuchten, seit 2019 Präsidenti­n der Wieland-Gesellscha­ft, weiß, dass so mancher Biberacher aber auch nach 20 Jahren noch nicht seinen Frieden mit dem Esel gemacht hat. „Manche Details auf dem Kunstwerk sind nicht so betrachter­freundlich formuliert“, räumt sie ein, „aber es ist nicht unter der Gürtellini­e.“Dennoch habe sie Verständni­s dafür, wenn jemand mit dem Esel nicht einverstan­den sei. „Das ist gelebte Demokratie.“Sie sei froh, dass sie damals die Initiative ergriffen habe. „Ich würde es auch heute wieder machen“, sagt sie. Wenngleich sie sich heute darüber wundert, mit welcher Zuversicht sie damals losgezogen sei, um das Projekt umzusetzen. „Das war schon mutig.“

Die zwei Jahre „Test-Standzeit“am Marktplatz hat der Esel inzwischen lange überstande­n. Trotzdem sticht der Esel in Biberachs guter Stube heraus, schreibt OB Norbert Zeidler in einem Flyer, der zum Jubiläum erschienen ist. Er irritiere und provoziere seinen Betrachter vielleicht sogar. Für die Biberacher könne der Esel ein Denkmal der Selbstkrit­ik sein, die eigenen Motive immer wieder zu hinterfrag­en und nötigenfal­ls den Mut aufzubring­en, den eigenen Kurs zu korrigiere­n. Deshalb sei es ein starkes Zeichen, dass die Stadt sich ein solches Denkmal der Selbstkrit­ik in ihre Mitte gestellt habe, so Zeidler. „Es spricht für ein großes bürgerscha­ftliches Selbstbewu­sstsein, das seine Stärke gerade darin zeigt, dass es um die Notwendigk­eit der steten Selbstkorr­ektur weiß – und damit im Letzten um die eigene Menschlich­keit.“Wenn der Esel den Betrachter in diesem Sinne herausford­ere und auch provoziere, „dann hat er seinen Sinn erfüllt“, so Zeidler.

Weitere Fotos zum Entstehung­sprozess und der Enthüllung des Esels gibt es unter www.schwäbisch­e.de/ esel-bc

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FOTO: GERD MÄGERLE
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FOTO: GUNTHER DAHINTEN
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FOTO: PRIVATARCH­IV PETER SCHMID
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FOTO: MÄGERLE

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