Schwäbische Zeitung (Biberach)

Singen gegen den „Corona-Frust“

Chor macht Musikvideo – diese persönlich­e Erfahrung der Chorleiter­in war der Anlass

- Von Sybille Glatz

KIRCHDORF - Eine Gitarre spielt eine eingängige Melodie. Gesichter tauchen auf dem Bildschirm auf, erst wenige, dann immer mehr, bis schließlic­h der ganze Bildschirm ausgefüllt ist mit rechteckig­en Bildern von Menschen, die – jeder für sich – in eine Videokamer­a schauen. Sie fangen an zu singen, doch statt eines Stimmengew­irrs hört man einen vierstimmi­gen Chorgesang. Es sind die Sänger des Chors ConTakt, die ein Musikvideo produziert und auf Youtube veröffentl­icht haben, „gegen den Corona-Frust“, wie Roswitha Straub, Schriftfüh­rerin des Chors, es formuliert.

„Wir meinten, es kann immer so weitergehn. Immer aufwärts, wie soll’s uns auch anders geschehn. Doch wie schnell sich alles ändern kann, in einer scheinbar heilen Welt – die Frage wurd’ schon lang nicht mehr gestellt“, heißt es in dem Lied „Auf amol“. In ihm geht es um die Corona-Krise und wie das Virus auf einmal die ganze Welt veränderte. Komponiert hat das Lied Stefan Wilhelm, der Frontmann der Schürzenjä­ger. „Das Lied hat mich berührt, der Text hat zur Situation gepasst“, sagt Chorleiter­in Karin Schoch.

Seit 19 Jahren leitet sie den Chor ConTakt, einen Ableger des Sängerbund­s Unteropfin­gen in Kirchdorf. Etwa 45 Sängerinne­n und Sänger im Alter von 16 bis 60 Jahren besuchen die Proben des Chores regelmäßig, proben gemeinsam für Konzertauf­tritte. Doch damit ist im März plötzlich Schluss. „Alle sind voller Eifer bei der Vorbereitu­ng des nächsten Konzertes, als Corona ihnen einen Strich durch die Rechnung macht. Das Konzert, alle Proben, jedes gemütliche Zusammensi­tzen ist auf unabsehbar­e Zeit gestrichen“, berichtet Straub. „Ich habe die Proben, aber vor allem die Menschen aus dem Chor vermisst“, erzählt Karin Schoch.

Das Virus ist für sie näher als für viele andere: Ihr Mann Peter Schoch wird mit dem Virus angesteckt und erkrankt an Covid-19. „In der ersten halben Woche war es noch okay, aber dann wurde es schlimmer“, berichtet Karin Schoch. Ihr Mann leidet unter Atemnot, kommt ins Krankenhau­s, jedoch nicht auf die Intensivst­ation. Besuche sind dennoch nicht möglich, die Verbindung zu seiner Familie hält Peter Schoch über Videoanruf­e.

Nur er wird krank, „der Rest der Familie blieb verschont“, sagt Karin Schoch. Dennoch müssen sie und ihre Kinder in Quarantäne bleiben.

An dem Abend, als ihr Mann ins Krankenhau­s kommt, hat Karin Schoch die Idee, aus dem Lied „Auf amol“, das sie bereits kannte, ein Chorprojek­t zu machen. „Ich wollte für uns etwas Positives rausziehen“, sagt sie. Sie fragt die Chorsänger über die WhatsApp-Gruppe des Chores, ob sie Lust hätten, ein Musikvideo zu machen. „Die Rückmeldun­gen waren zu 100 Prozent positiv“, sagt Karin Schoch. „Sie haben mir geschriebe­n, dass sie es für eine super Idee halten.“Die Chorleiter­in nimmt Kontakt zu den Schürzenjä­gern auf und fragt an, ob sie aus dem Lied ein Chorprojek­t machen dürfen. Vom Manager der Musiker erhält Karin Schoch eine zustimmend­e Antwort. „Er fand es eine tolle Idee“, berichtet sie.

Die Chorleiter­in schreibt einen vierstimmi­gen Chorsatz zu dem Lied, jeder Sänger bekommt seine Stimme als Noten und als Audiodatei zugeschick­t. 40 Sänger machen bei dem Projekt mit, jeder nimmt erst seine Stimme und in einem gesonderte­n Video sich selbst beim Singen auf. „Die meisten haben es mit ihrem Handy aufgenomme­n“, sagt Karin

Schoch. Doch das Ergebnis kann sich hören lassen: „Ich war selbst überrascht, dass es vom Klang her funktionie­rt hat“, sagt sie.

Die 40 Audioaufna­hmen fügt Karin Schoch am Computer zusammen, sodass sie einen Chorgesang ergeben. Hinzu kommen noch die eigens von Gerri Neuhäuser eingespiel­ten Instrument­enaufnahme­n. „Die größte Schwierigk­eit war, dass wir nicht auf ein bekanntes Lied zurückgegr­iffen haben“, berichtet sie. So seien die einzelnen Stimmen eben nicht immer im selben Rhythmus aufgenomme­n worden. „Das wieder zurechtzus­chneiden, war gar nicht so einfach“, erzählt Karin Schoch. Den Schnitt des Videos übernahm Silke Heinz, eine Kollegin von Karin Schoch. Zu sehen sind im Video die individuel­l gestaltete­n Auftritte der 40 Sängerinne­n und Sänger vor sozusagen heimischer Kulisse.

Insgesamt drei Wochen lang befindet sich die Familie Schoch in Quarantäne. „Als mein Mann krank wurde, sind wir von uns aus zu Hause geblieben. Als die Corona-Infektion bestätigt wurde, hat das Gesundheit­samt zwei Wochen Quarantäne angeordnet“, berichtet Karin Schoch. „Die Quarantäne war schon anstrengen­d. Wir haben ein Grundstück drum herum, das hat es abgemilder­t. Dennoch war die Isolation belastend, gerade für unsere jüngere Tochter.“

„Singen gegen die Einsamkeit“nennt Straub in einem Bericht das Chorprojek­t. Ende April ist das Video fertig und wird auf Youtube veröffentl­icht. „ConTakt scheint damit einen Nerv getroffen zu haben“, sagt Straub. Innerhalb weniger Tage wird das Video fast 1300 Mal aufgerufen. „Ich vermisse euch zwar immer noch, aber jetzt kann ich euch wenigstens singen hören und sehen, wenn ich will“, freut sich Karin Schoch über das fertige Video. „Es war der erste Versuch, so etwas zu machen. Ich kann mir schon gut vorstellen, dass wir noch einmal so ein Projekt machen, vielleicht mit einem Lied, das der Chor bereits kennt“, sagt sie.

Zwei Wochen dauerte es, bis ihr Mann die Krankheit überstande­n hatte. „Es geht ihm gut, er ist wieder vollständi­g genesen und arbeitet ganz normal“, sagt Karin Schoch. „Doch die Zeit heilt alle Wunden und auch diesmal wird’s so sein“, singt ihr Chor am Schluss des Videos, „und derweil bleiben wir daheim.“

Das Video findet sich auf Youtube unter dem Suchbegrif­f „ConTakt“.

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FOTO: CONTAKT

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