Schwäbische Zeitung (Biberach)

Zwei Briefe kommen auf den Verhandlun­gstisch

In den Fall einer Rauschgift­schmuggler-Bande am Landgerich­t kommt Bewegung

- Von Barbara Sohler

BIBERACH/LAUPHEIM/RAVENSBURG - Der Prozess am Landgerich­t Ravensburg gegen fünf im Raum Biberach und Laupheim wohnende Männer ist unter weiteren Corona-Schutzmaßn­ahmen fortgesetz­t worden. Ihnen allen wird bandenmäßi­ger, schwunghaf­ter Handel mit Betäubungs­mitteln vorgeworfe­n, die sie im Herbst 2019 bei mehreren Beschaffun­gsfahrten in Slowenien gekauft und im süddeutsch­en Raum verkauft haben sollen. Bisher war nur einer der Männer geständig, die anderen vier schwiegen eisern. Bis gestern.

Mittlerwei­le stehen im Saal Spuckschut­zwände, ein Dolmetsche­r soll mittels Walkie-Talkie für alle Angeklagte­n zugleich übersetzen. Und zur Inaugensch­einnahme von Beweisfoto­s werden nun digitale Technik und ein Mammutbild­schirm eingesetzt. Bevor die Verhandlun­g jedoch beginnt, erhebt der als Kopf der Bande geltende Mann seine Stimme. Auf kroatisch sagt er ein paar Sätze, gerade laut genug, dass es sein geständige­r Freund, der als einziger Angeklagte­r seit Wochen auf Bewährung auf freiem Fuß ist, hören kann. Erst als der Staatsanwa­lt einschreit­et und den Wortschwal­l unterbinde­t, hört der 26-Jährige auf.

Was er zu seinem Mandanten gesagt habe, will Verteidige­r Achim Ziegler später vom Hauptangek­lagten wissen. Ob er ihn womöglich bedroht habe? Prompt antwortet dieser in Deutsch: „Ich habe gesagt, das ist deine letzte Chance. Steh auf und sag Wahrheit. Alles. Richtig.“Denn hier säßen nur zwei Schuldige im Gerichtssa­al: Er selbst und der Angesproch­ene. Die anderen drei seien zu Unrecht inhaftiert und unschuldig, lässt er über den Dolmetsche­r sagen. Und während es anfangs noch röchelt und spuckt aus den schmalen Sprechfunk­geräten, die sich alle Angeklagte­n dicht ans Ohr pressen, um von der Übersetzun­g des Dolmetsche­rs nur ja kein Wort zu verpassen, da wird es im restlichen Saal mucksmäusc­henstill. Es geht nämlich um einen Brief, den der Hauptangek­lagte kurz vor dem Ramadan seinem Vater schicken wollte – und der von der Anstaltsle­itung abgefangen worden ist. Offenbar wollte er seinem Vater darin erklären, was passiert ist und weshalb der Sohn in Untersuchu­ngshaft sitzt.

Ja, er habe illegale Fahrten nach Slowenien unternomme­n, bestätigt plötzlich der Hauptangek­lagte, der bisher nicht einmal zu seinem Werdegang Auskunft geben wollte. Aber lediglich zu Einkaufsfa­hrten auf einen Flohmarkt, auf dem Elektroger­äte verkauft werden. Computer, Bildschirm­e, Alarmanlag­en und teure Flatscreen­s. Alle gestohlen und daher günstig. Die hätten er und seine Freunde meist mit zwei Autos nach Deutschlan­d geholt, damit er sie gewinnbrin­gend verkaufen könne. „Ein Samsung TV kostet 4000 Euro“, bescheidet er der Kammer, bevor er sich wieder in Rage redet. Sie seien ohnehin achtmal in Slowenien gewesen, nicht fünfmal, wie die Anklagesch­rift den Männern vorwirft, ruft er trotzig. Ein einziges Mal habe sein geständige­r Freund dann tatsächlic­h überrasche­nderweise darum gebeten, noch einen Abstecher nach Traunstein zu machen, weil der dort Marihuana kaufen wollte. Ein kleineres Paket sei es gewesen. Um Schulden zu tilgen und eine Wohnungska­ution finanziere­n zu können. Dass dieser Freund ihn bereits bei den ersten polizeilic­hen Befragunge­n als „Kopf der Rauschgift­bande“ans Messer lieferte und die Ermittlung­en der Behörden maßgeblich erleichter­te – das wurmt den 26-Jährigen sichtlich. Immer wieder wird er laut, muss vom Vorsitzend­en Richter Veiko Böhm zur Ordnung gerufen werden. Dann greift der Mann in seine Hosentasch­e und fingert zwei eng gefaltete Blätter zutage: Dies sei ein Brief vom genau diesem Freund, der ihn über einen Gefangenen in der JVA Ulm erreicht habe. Der erkläre alles.

Die Befragung von drei Polizeibea­mten an Verhandlun­gstag fünf wird zur Nebensache. Denn nun wird mit Spannung erwartet, was die Übersetzun­g des in kroatische­r Sprache verfassten Briefes von scheinbar kleinem Bandenmitg­lied zu Bandenchef wohl ans Licht bringen wird. Falls die Dolmetsche­rin eine Wochenends­chicht einlegt, könnte sie bereits am nächsten Verhandlun­gstag vorliegen.

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