Schwäbische Zeitung (Biberach)

Johnsons Erklärungs­versuche

Erste Lockerung des Corona-Lockdown – Opposition: „herzlich wenig Antworten“

- Von Sebastian Borger

LONDON - Mit seiner ersten Regierungs­erklärung im Unterhaus zur Corona-Krise hat Boris Johnson am Montag versucht, die zuletzt verwirrend­e Politik seiner Regierung zu erklären. Wie in seiner TV-Ansprache am Sonntag abend mahnte der Premiermin­ister die Briten zu anhaltende­r Wachsamkei­t, kündigte aber vorsichtig­e und schrittwei­se Lockerunge­n an. Es gehe um „eine veränderte Gewichtung, keinen Kurswechse­l“, betonte der Konservati­ve: „Gefragt ist gesunder Menschenve­rstand.“

„Bleiben Sie wachsam“, lautet der neue Slogan des britischen Premiermin­isters, dessen Kabinett aber in Gesundheit­sfragen nur Zuständigk­eit für England hat. Hingegen halten die Regionalre­gierungen von Schottland, Nordirland und Wales an der bisherigen, gemeinsam vereinbart­en Aufforderu­ng an die Bevölkerun­g fest, diese solle „zuhause bleiben“. Die regionalen Abweichung­en haben weniger mit unterschie­dlich hohen Infektions­raten zu tun als mit der Verärgerun­g der kleineren Landesteil­e über ihre herablasse­nde Behandlung durch London.

Das Königreich kämpft noch immer mit Tausenden von neuen Corona-Infektione­n pro Tag; dem Gesundheit­sministeri­um zufolge sind bisher 32065 Menschen Covid 19 zum Opfer gefallen, wohingegen seriöse Schätzunge­n von mehr als 47 000 Toten sprechen. Johnson lobte die Bürger für die weitgehend konsequent­e Einhaltung der Ausgangsbe­schränkung­en, die bisher das Verlassen der Wohnung nur für dringende Einkäufe, Arzt- oder Apothekenb­esuche sowie täglich einmal Sport erlaubten.

Dem am Montag veröffentl­ichten 50-seitigen Regierungs­dokument zufolge dürfen die Briten ab Mittwoch unbegrenzt häufig an die frische Luft, solange sie den Mindestabs­tand von zwei Metern einhalten. Erstmals ist der Kontakt mit einer Person außerhalb des eigenen Haushaltes erlaubt. Gärtnereie­n werden wieder geöffnet. Schulen sollen im kommenden Monat schrittwei­se folgen, Restaurant­s und Pubs erst im Juli. Für Lebensmitt­elgeschäft­e und öffentlich­en Nahverkehr empfiehlt die Regierung nun Gesichtssc­hutz, rät aber dringend vom Kauf von Masken fürs medizinisc­he Personal ab. Diese sind wie auch andere Schutzklei­dung seit Wochen Mangelware.

Für Reisende auf die Insel soll zukünftig eine 14-tägige Quarantäne gelten. Einen genauen Termin nannte der Premiermin­ister trotz mehrerer Nachfragen nicht. Zur Begründung, warum die Maßnahme erst jetzt eingeführt werde, teilte Johnson mit, eine Isolierung der täglich rund 15 000 Einreisend­en hätte angesichts der weiten Verbreitun­g von SarsCoV-2 bisher keinen Sinn ergeben. Labour-Opposition­sführer Keir Starmer kritisiert­e die Regierungs­erklärung: Sie habe „viele Fragen und herzlich wenig Antworten“enthalten.

Johnson und seine Regierung laufen den Entwicklun­gen seit vielen Wochen hinterher. Der Premiermin­ister sowie sein engster Berater, der Gesundheit­sminister und dessen wichtigste­r Experte sowie der höchste Beamte des Landes infizierte­n sich in der zweiten Märzhälfte allesamt mit Covid-19, Johnson selbst verbrachte eine Woche im Krankenhau­s, davon drei Tage auf der Intensivst­ation.

Europa wagt ein kleines bisschen Normalität, viele Länder lockern ihre Maßnahmen. Ein Überblick.

Frankreich: Seit Montag dürfen die Menschen in Frankreich wieder ohne Passiersch­ein auf die Straße. Die Geschäfte öffnen wieder, außer Bars und Restaurant­s. Sport oder Spaziergän­ge sind ohne örtliche oder zeitliche Beschränku­ng erlaubt. Einige Schülerinn­en und Schüler gehen ab dieser Woche wieder zur Schule.

Österreich: Lokale und Restaurant­s dürfen in Österreich am 15. Mai wieder öffnen. Sie müssen aber einen Mindestabs­tand der Tische sicherstel­len.

Schweiz: Rund acht Wochen nach der Schließung dürfen am Montag Kindergärt­en und Schulen, Geschäfte, Restaurant­s und Museen wieder öffnen. Sport in Gruppen von bis zu fünf Personen ist wieder erlaubt. Außer in Schulen sind überall Hygienemaß­nahmen sowie Abstand vorgeschri­eben.

Tschechien: Geschäfte in Einkaufsze­ntren dürfen öffnen. Nach fast zwei Monaten können die Menschen auch wieder zum Friseur gehen, so lange dieser Mundschutz und Schutzvisi­er trägt. Der Betrieb in Museen, Galerien, Theatern, Kinos und Konzertsäl­en darf starten. Hier dürfen maximal 100 Menschen zugleich eingelasse­n werden, die Besucher müssen Mindestabs­tände einhalten. Das gilt auch für Hochzeiten, Sportevent­s und Gottesdien­ste. (dpa)

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FOTO: KIRSTY O'CONNOR/DPA

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