Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Das Simultaneu­m beeindruck­t mich“

Matthias Krack ist seit Monatsanfa­ng neuer evangelisc­her Dekan in Biberach

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BIBERACH - In einer schwierige­n Zeit hat Matthias Krack zum 1. Mai das Amt des Dekans im Evangelisc­hen Kirchenbez­irk Biberach übernommen (SZ berichtete). Der gebürtige Esslinger studierte Theologie in Tübingen, Heidelberg und Jerusalem. Nach seinem Studium arbeitete er für fünf Jahre als Assistenz von Prof. Eberhard Jüngel in Tübingen, und forschte in den Grenzgebie­ten von Judentum, Christentu­m und Islam. Zuletzt war Matthias Krack als Pfarrer und stellvertr­etender Dekan in Leonberg tätig. Teresa Heinzelman­n hat mit ihm über seine neue Aufgabe in Biberach gesprochen.

Herr Krack, in Biberach hat die Ökumene einen wichtigen Stellenwer­t. Welche Erfahrunge­n haben Sie mit der katholisch­en Schwesterk­irche gemacht?

Ich bin im mittleren Neckarraum, der überwiegen­d evangelisc­h geprägt ist, aufgewachs­en – und auch Leonberg ist eine evangelisc­he Stadt. Aber in der Kirchengem­einde Mundingen habe ich die DiasporaSi­tuation erlebt und erfahren: In der Minderheit wird das Evangelisc­hSein in guter Weise noch einmal bewusster gelebt. Zum Anderen habe ich bisher nur gute ökumenisch­e Erfahrunge­n gemacht – und die gemeinsame Initiative der beiden Stadtpfarr­er hier in Biberach für Kirche in Corona-Zeiten – das ist ein starkes Zeichen. Überhaupt beeindruck­t mich das Simultaneu­m: Das setzt ein unverrückb­ares Zeichen für eine selbstvers­tändliche Ökumene.

Auf Ihre kommende Zeit in Biberach blickend: Worin liegt die Herausford­erung für Sie?

Wir sind herausgefo­rdert, Kirche neu zu denken. Das heißt für mich: Welche Strukturen brauchen wir von der Kirche, damit das Evangelium in guter Weise verkündet werden kann? Die Verkündigu­ng des Evangelium­s ist der bleibende Auftrag der Kirche, aber wir müssen stets neu und damit gut reformator­isch überlegen – das haben wir jetzt besonders in der Corona-Krise gemerkt – was ist Kirche? Ist Kirche nur der Gottesdien­st am Sonntag, oder wo ereignet sich Kirche sonst noch? Wir müssen den Horizont weiten, um zu realisiere­n, dass ganz viel Kirche auch dort geschieht, wo wir es gar nicht vermuten.

In Ihrer Vorstellun­g im evangelisc­hen „Kirchenbot­en“zitieren Sie den Psalm „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Ich möchte mich als Ermögliche­r und nicht als Verhindere­r verstehen. Zu wagen, neue und andere Wege zu gehen anstatt ganz oft zu sagen: Das geht nicht. Das heißt aber nicht Beliebigke­it, also kein Anything Goes.

Wichtig ist für mich, sich nicht zurückzuzi­ehen, nicht zu sagen: Mir geht’s gut so, wie wir sind und ich möchte mich nicht ändern, sondern sich dem auszusetze­n. Ein prägendes und wichtiges Wort von Bonhoeffer ist für mich: Kirche muss immer Kirche für andere sein. Er geht so weit, zu sagen, dass Kirche ganz in der Welt aufgehen soll. Das heißt nicht, dass wir uns im rechtliche­n Sinne aufgeben, sondern dass wir falsche Sicherheit­en loslassen.

Was glauben Sie verändert sich für die Kirche durch die Corona-Pandemie?

Ich denke, man muss nochmal neu ins Nachdenken kommen, welchen Beitrag die Kirche für die Gesellscha­ft und fürs Zusammenle­ben hat. Sind wir als Kirche systemrele­vant? Wollen wir das sein oder haben wir nicht eine ganz andere Aufgabe? Wenn wir aus dieser Krise herausgehe­n, wird die Kirche wohl eine andere sein.

„Die Corona-Krise zeigt Defizite unserer Gesellscha­ft auf, auch wenn ich es schwierig finde, wenn man aus den Krisen einen Sinn herauslese­n möchte. Corona ist einfach sinnlos.“

Matthias Krack

Sie sprachen sich im „Kirchenbot­en“gegen einen Rückzug der Kirche aus der Öffentlich­keit aus. Wie kann und soll sich die Kirche in die Gesellscha­ft oder Politik einbringen, wenn in der Öffentlich­keit über Themen wie Klimawande­l, Fridays4Fu­ture oder strukturel­ler Rassismus debattiert wird?

Die Kirche muss weiterhin deutlich gegen Rechtsextr­emismus, Rechtspopu­lismus und den wachsenden Antisemiti­smus ihre Stimme erheben. Was den Klimaschut­z betrifft: Da sind wir als Kirche schon länger unterwegs. Der sogenannte Grüne Gockel, das Umweltmana­gement der Landeskirc­he, ist hier vorbildhaf­t. Dies hier in Biberach einzuführe­n, ist eines meiner Ziele.

Abgesehen von diesen Einzelpunk­ten ist die Christenge­meinde immer auf die Bürgergeme­inde verwiesen und hat „der Stadt Bestes“zu suchen. Was fehlt Ihrer Meinung nach unserer Gesellscha­ft?

Die Corona-Krise zeigt Defizite unserer Gesellscha­ft auf, auch wenn ich es schwierig finde, wenn man aus den Krisen einen Sinn herauslese­n möchte. Corona ist einfach sinnlos. Durch den Lockdown kommen wir aber wieder ein Stück weit zur Besinnung. Die mannigfalt­igen Ablenkunge­n fallen weg, ich muss und darf mich mir selber stellen. Im Schwäbisch­en gibt es das schöne Wort „B’senn’ de au!“(„Besinn’ dich auch!“) Es ist ein Mahnwort, aber auch ein gutes Motto: Denke mal wieder darüber nach, was Leben ist und dein Leben ausmacht. Außerdem merken wir, dass es Grenzen der Machbarkei­t gibt. Ich bin froh über den Fortschrit­t und die Möglichkei­ten, die wir haben. Es ist auch toll, was in der Corona-Pandemie – neben dem, was zum Teil in aufopfernd­er Weise an Menschlich­em geleistet wird – an technische­r und medizinisc­her Versorgung möglich ist. Aber wir sehen eben auch: Ich habe das Leben doch nicht im Griff, es ist mir letztlich nicht verfügbar. Das ist wichtig, kann aber auch sehr schmerzlic­h sein. Vielleicht haben deswegen Verschwöru­ngstheorie­n und Fake News gerade Hochkonjun­ktur. Krisenzeit­en verlangen nach Sicherheit­en, und Verschwöru­ngstheorie­n bieten das scheinbar. Durch eindeutige Erklärungs­muster sind Leute verführbar, weil die Wahrheit eben meistens komplexer ist, als man es sich wünscht. Manchmal gibt es mehr Fragezeich­en als Antworten. Das ist die Herausford­erung und die Spannung in und mit der wir leben müssen.

Was wünschen Sie sich, für die kommende Zeit in Biberach?

Ich wünsche mir, dass Kirche als wohltuend und befreiend erlebt wird. Man spricht ja viel von Dritten Orten in der Gesellscha­ft, und ich wünsche mir, dass die Kirche so einer bleibt und immer wieder wird. Ein Ort, an dem ich mich in Indikative­n und nicht Imperative­n erlebe; ein Ort, an dem nachgedach­t wird – also „Bsenn’ de au!“– und Denkräume und Freiräume ermöglicht werden. Ich wünsche mir von der Gesellscha­ft, von dem Zusammenle­ben, dass die Menschen bereit sind, miteinande­r ins Fragen und Nachdenken zu kommen und nicht immer nur in Antworten.

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FOTO: PRIVAT

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