Schwäbische Zeitung (Biberach)
Erst die Arbeit, dann der Fernunterricht
Auszubildende im Südwesten bekommen von ihren Betrieben zu wenig Zeit zum Lernen
STUTTGART - Wenn die Auszubildenden nicht zur Berufsschule gehen können, sollen sie stattdessen arbeiten: Nach diesem Prinzip verweigern etliche Arbeitgeber ihren Lehrlingen Zeit für Fernunterricht. Im Ostalbkreis rufen Landrat, IHK und Handwerkskammer die Unternehmen in einem Brief zum Umdenken auf, das offenbar auch anderswo nötig wäre.
Wegen der Corona-Pandemie ist der Schulbetrieb massiv eingeschränkt. Das bekommen auch die Jugendlichen in Dualer Ausbildung zu spüren. Diejenigen im dritten Lehrjahr, die ab Mitte Mai Abschlussprüfungen haben, sind schon zurück an den Schulen – mit einer Ausnahme: Alle Azubis in Gesundheitsberufen müssen zum Infektionsschutz weiter von Zuhause aus lernen. So sieht es die Corona-Verordnung für Schulen vor. Das Problem: „Wir haben immer wieder die Rückmeldung, dass Einzelne keine Chance haben, Online-Angeboten der Berufsschule nachzukommen“, sagt Peter Lehle, Leiter des Kreisberufsschulzentrums Ellwangen.
Gemeinsam mit den Hauptgeschäftsführern der IHK Ostwürttemberg und der Handwerkskammer Ulm hat Klaus Pavel (CDU), Landrat des Ostalbkreises, Ende April einen Brief an die Ausbildungsbetriebe verschickt. Der Appell darin ist deutlich: „Geben Sie also Ihren Auszubildenden die nötige Lernzeit, die sie normalerweise für berufsrelevante Fächer in der Berufsschule verbracht hätten“, heißt es darin. „Dies beugt einer durch die Versäumung der Unterrichtsinhalte eventuell erforderlichen Verlängerung des Ausbildungsverhältnisses vor.“
Thomas Speck, Vorsitzender des Berufsschullehrerverbands, sieht das Problem überall im Land. Nämlich „immer da, wo Betriebe nach wie vor eine gute Auftragslage haben“. Er verweist auf eine Online-Umfrage seines Verbands, an der sich 3000 Lehrer beteiligt hatten. „Dreiviertel der befragten Lehrkräfte sagen, dass Schüler der Berufsschule für OnlineUnterricht keine oder nur eine geringe Freistellung vom Betrieb bekommen.“Dabei gelte auch hierfür Schulpflicht. Für prüfungsrelevante Fächer müssten die Arbeitgeber ihren Schülern entsprechend freie Zeit zum Lernen einräumen – nicht aber für Fächer wie Sport oder Religion.
Auch wenn bei der IHK Bodensee-Oberschwaben laut einer Sprecherin keine Beschwerden vorliegen: Schulleiter in der Region sprechen eine andere Sprache. „Wir bekommen Klagen von einzelnen Schülern, dass sie keine ausreichende Zeit bekommen“, sagt Peter Greiner, Geschäftsführender Schulleiter der beruflichen Schulen in Ravensburg. „In der Masse scheint es aber zu laufen.“
Seine Kollegin von der Karl-Arnold-Schule in Biberach spricht von einem „diffusen Thema“. Da seien zum einen die Betriebe, die ihre Azubis freistellten, die Jugendlichen sich aber nicht zum Fernlernen motivieren könnten, erklärt Schulleiterin Renate Granacher-Buroh. Und dann sind da eben die anderen Betriebe, die den Schülern beispielsweise nicht die acht Stunden frei gegeben hätten, die die Schüler laut Lehrer zum Erledigen der Aufgaben gebraucht hätten. „Die Azubis haben nicht die Position gegenüber ihren Betrieben, das einzufordern. Und die Schulen haben diese Position auch nicht“, sagt sie.
Unterstützung kommt von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). Sie äußert Verständnis für die Betriebe, die mit Corona-bedingten Personalengpässen zu kämpfen hätten. „Aber dies darf nicht zu Lasten der Auszubildenden gehen, vor allem nicht derer, die in diesem Jahr ihre Prüfung ablegen. Sie brauchen ausreichend Lernzeit für die theoretischen Ausbildungsinhalte und die Prüfungsvorbereitung.“