Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Wir wollen doch Typen“

Maselheims grüner Bürgermeis­ter Braun stärkt Parteifreu­nd Palmer den Rücken

-

RAVENSBURG - „Wir retten möglicherw­eise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären“– mit dieser Äußerung in der Corona-Krise hat Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer den Landesvors­tand der Grünen in Baden-Württember­g so in Rage gebracht, dass dieser ihn einstimmig zum Parteiaust­ritt auffordert­e. Ein Gegengewic­ht dazu bildet ein Appell von 30 Grünen-Politikern, die sich für einen Verbleib Palmers ausspreche­n. Einer der Unterzeich­ner ist Elmar Braun, seit 1991 Bürgermeis­ter von Maselheim. Mit dem 64Jährigen sprach Michael Panzram.

Herr Braun, warum haben Sie den öffentlich­en Appell zu Boris Palmer unterzeich­net?

Ich finde, dass der Landesvors­tand mit seiner Aufforderu­ng an Boris Palmer, die Partei zu verlassen, den falschen Weg geht. Wir Grünen sind in Baden-Württember­g seit fast zehn Jahren an der Regierung, stellen die größte Fraktion im Landtag – und sind damit eine Volksparte­i. In einer solchen Volksparte­i gibt es Einige, in der Wählerscha­ft noch viel mehr, die ihren eigenen Kopf haben und es gut finden, dass Boris Palmer auch mal provokant ist und die Partei aufmischt. Wenn man das ganze Interview anschaut, kann man übrigens auch zu ganz anderen Schlüssen kommen als das, was jetzt gerade diskutiert wird. Meine Unterschri­ft heißt also nicht, dass ich alles blind unterschre­ibe, was er sagt und fordert. Sie ist vielmehr die Aufforderu­ng an den Bundesund Landesvors­tand, so jemandem wie Boris Palmer seinen Platz in unserer Partei zu lassen.

Eine Volksparte­i muss also auch so eine harte Meinung aushalten?

Wir wollen doch Typen, an denen wir uns reiben können. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Innerhalb einer Volksparte­i sollte sich auch das breite Spektrum derer abbilden, die uns wählen. Da brauchen wir geradezu Typen wie Boris Palmer. Bei mir in Maselheim höre ich auch Stimmen, die sagen, dass dieser Palmer schon recht habe, man das aber nicht sagen dürfe. Wenn ich das höre, weiß ich, dass etwas schief läuft.

In dem Appell steht, dass Ihre Partei stets ein Ort leidenscha­ftlicher Debatten und offener Auseinande­rsetzungen war. Vermissen Sie diese Kultur gerade bei den Grünen?

An dem aktuellen Beispiel sehen Sie, dass wir den Anfängen wehren müssen. Wenn der Landesvors­tand so etwas beschließt – die Aufforderu­ng, die Partei zu verlassen –, merken Sie, dass er an solch’ einer Debattenku­ltur anscheinen­d nicht interessie­rt ist. Und ich muss mich fragen, ob wirklich alle, die darüber urteilen, das Interview ganz gesehen haben.

Was erwarten Sie jetzt vom Landesvors­tand und von Boris Palmer?

Der Landesvors­tand sollte sich Boris Palmers Meinung schnellstm­öglich anhören. Ich glaube nicht, dass bisher irgendjema­nd aus diesem Gremium mit ihm gesprochen hat. Boris Palmer wird sich dieser Auseinande­rsetzung stellen. Das wird interessan­t. Er ist sehr intelligen­t, aber manchmal verhält er sich nicht klug. Aber er ist nicht unbelehrba­r. Manchmal stellt er sich wirklich ungeschick­t an. Er hat nach seiner ersten Äußerung aber klar gemacht, dass er die Menschenwü­rde natürlich respektier­t. Vor diesem Hintergrun­d kann doch eine Diskussion entstehen, zum Beispiel ob es wirklich die einzige Möglichkei­t ist die gesamte Wirtschaft herunterzu­fahren, um Menschenle­ben zu retten. Da geht es um die Verhältnis­mäßigkeit und die Frage nach der Alternativ­losigkeit. Und darüber muss nachgedach­t und geredet werden.

 ?? FOTO: KÄSTLE/DPA ??
FOTO: KÄSTLE/DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany