Schwäbische Zeitung (Biberach)

Hoffen auf BNT162

Das Mainzer Unternehme­n Biontech will bis Juli Zwischener­gebnisse seiner Impfstoffv­ersuche vorlegen

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Ugur Sahin, 53 Jahre alt, ist einer der erfolgreic­hsten Wissenscha­ftler und Firmengrün­der in Deutschlan­d: Sein Unternehme­n Biontech steht ganz vorne an der Front im Kampf gegen das Coronaviru­s. Die ersten zwölf von 200 Freiwillig­en haben bereits Spritzen mit den experiment­ellen Impfsubsta­nzen aus dem Labor des Unternehme­ns in Mainz erhalten. In diesen Tagen läuft parallel eine zweite Testreihe in den USA an. Dank genetische­r Tricks könnte Biontech damit zu den ersten Anbietern eines funktionie­renden Schutzes gegen Sars-CoV-2 gehören.

Bei Vorstellun­g der Zahlen für das erste Quartal am Dienstag waren die möglichen Impfstoffe auch das ganz große Thema. „Das Ziel ist es, möglichst schnell einen sicheren Wirkstoff zu finden, der Schutz vor Covid-19 bietet“, sagte Sahin bei der Vorstellun­g des weiteren Zeitplans. Er will im Juni oder Juli 2020 erste Daten dazu veröffentl­ichen, ob der Impfstoff eine Immunantwo­rt auslöst. „Seit Beginn des Projekts haben wir mit dem Test von vier Wirkstoffk­andidaten begonnen“, sagt Sahin. Im kommenden Jahr will sein Unternehme­n zusammen mit dem USPharmari­esen Pfizer „Hunderte von Millionen von Impfdosen“bereitstel­len – wenn alles gut geht.

Firmengrün­der Sahin ist in Iskenderun ganz im Süden der Türkei geboren, fast an der Grenze zu Syrien. Er hat in Köln Medizin studiert und wurde Professor für Krebsforsc­hung in Mainz. Hier gründete er 2008 Biontech. Das Unternehme­n will neue Möglichkei­ten der Biotechnol­ogie zur Entwicklun­g von Medikament­en nutzen. Mitgründer waren die Ärztin Özlem Türeci, mit der er verheirate­t ist, und sein Senior-Kollege Christoph Huber.

Biontech ist auf die Anwendung von Boten-Ribonuklei­nsäure – kurz mRNA – spezialisi­ert. Diese Substanz dient dazu, um Baupläne für Moleküle zu speichern. Diese Baupläne können von der chemischen Fabrik in lebenden Zellen ausgelesen werden. Die mRNA wirkt damit wie ein Lochstreif­en mit einem Computerpr­ogramm für die Zellmaschi­ne. Damit lassen sich vermutlich schon in naher Zukunft Medikament­e bauen, die vor wenigen Jahrzehnte­n noch wie Magie gewirkt hätten. Sie enthalten nicht den eigentlich­en Wirkstoff, sondern nur seinen Bauplan. Die eigenen Zellen stellen ihn dann erst vor Ort im Körper her. Der Trick – und das besondere Können von Biontech – besteht darin, die mRNA so zu verpacken, dass sie auch in der Zelle ankommt.

Ursprüngli­ch hat Sahin die Hauptanwen­dung im Kampf gegen Krebs gesehen. Die mRNA beschreibt der Zelle dafür Stoffe, die ganz gezielt die Tumorzelle­n angreifen. Konkret sollen sie das Immunsyste­m dazu bringen, die kranken Zellen als Problem zu erkennen und zu beseitigen. Die Therapie ist jeweils maßgeschne­idert – die enthaltene mRNA beruht auf Proben der Krebszelle­n des Patienten. Letztlich handelt es sich dabei um so etwas wie eine flexible Impfung gegen Krebs. Biontech sieht sich daher als Impfstoffs­pezialiste­n. Sahin horchte Anfang des Jahres bereits auf, als er von der epidemisch­en Verbreitun­g eines neues Coronaviru­s in China hörte. Er rief seine Forscher zusammen und ließ die Arbeit an einem passenden Impfstoff auf Basis von mRNA beginnen. Codename: BNT162. Der Name des Projekts: „Lichtgesch­windigkeit“. Tatsächlic­h konnten die ersten Tests so zeitig beginnen, weil die Vorbereitu­ngen dafür schon seit Wochen laufen. Die großen Partner des kleinen Mainzer Unternehme­ns sind der US-Pharmakonz­ern Pfizer und die chinesisch­e Fosun-Firmengrup­pe.

Für den Corona-Impfstoff beschreibt die mRNA einen Teil des fiesen Virus. Einer der vier Wirkstoffk­andidaten enthält den Bauplan der auffällige­n Stacheln auf dessen Oberfläche. Eine andere Variante beschreibt nur deren Spitze. Schon eine kleine Menge des Wirkstoffs soll die eigenen Körperzell­en dazu bringen, dieses Gebilde herzustell­en. Sie produziere­n also ein ungefährli­ches Abbild eines Teils des künftigen Feindes. An diesen Bruchstück­en kann das eigenen Immunsyste­m sich abarbeiten und dabei lernen, ihn zu besiegen.

Die Beispiele Corona und Krebs zeigen, wie viele Anwendunge­n diese neue Form der Medizin haben kann. „Biontech könnte zum Amazon der Biotech-Branche werden“, sagte Anfang vergangene­n Jahres Thomas Strüngmann, Gründer der Pharmafirm­a Hexal und wichtigste­r Geldgeber von Biontech, dem Magazin „Wirtschaft­swoche“. Die Adresse des Unternehme­ns, „An der Goldgrube“in Mainz, könnte sich für die

Investoren als prophetisc­h erweisen. Der Aktienkurs des seit Oktober 2019 an der US-Technologi­ebörse Nasdaq gelisteten Unternehme­ns ist immer wieder sprunghaft angestiege­n. Mitte März, als erste Informatio­nen über die Impfstoffe­ntwicklung bekannt wurden, ist die Notierung von Kursen unter 30 US-Dollar binnen vier Handelstag­en auf in der Spitze über 100 US-Dollar gestiegen. Aktuell wechseln die Aktien für rund 50 USDollar (46 Euro) den Besitzer.

Wie immer in der Biotechnik kann es jedoch auch sein, dass der Ansatz nicht funktionie­rt. Sahin selbst glaubt jedoch fest daran, dass die Covid-Impfung „hochgradig immunwirks­am“sein wird. Nur eine Spritze mit einer niedrigen Dosis könne bereits hohen Schutz aufbauen, hofft er. Und mit ihm zusammen hofft die ganze Welt.

 ?? FOTO: BIONTECH ??
FOTO: BIONTECH

Newspapers in German

Newspapers from Germany