Schwäbische Zeitung (Biberach)

Aber bitte mit Abstand

Der VfB Stuttgart erzählt vom Leben im Schlosshot­el und weiß: „Jedes Spiel ist ein Finale“

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Sehr individuel­l war es, als der VfB Stuttgart am Dienstagna­chmittag zur Telefonkon­ferenz lud. Trainer Pellegrino Matarazzo immerhin schien relativ gelöst zu sein und in Gedanken schon beim Sonntag, wenn der Zweitligaz­weite beim Liga-16. SV Wehen Wiesbaden antritt. „Ich bin selbst gespannt, wie das ist, wenn ich erst die Maske runternehm­en soll, wenn ich den Schiri anschreien muss“, sprach der 42-jährige DeutschIta­liener. Auch er muss sich natürlich an die Hygienevor­gaben der DFL halten, die ein wenig wie eine Kehrwoche für Fortgeschr­ittene klingen.

Gelassen und angenehm offen erzählte Matarazzo, wie es so zugehe derzeit im Schlosshot­el Monrepos zu Ludwigsbur­g, wo der VfB bis Samstag in Quarantäne weilt, unterbroch­en von Einzelfahr­ten zum Training an den Wasen. Zimmermädc­hen gibt es in Pandemieze­iten natürlich nicht, also bringt die VfB-Crew ihre Dinge selbst in Ordnung. „Ich mache jeden Tag mein Bett und hänge mein Handtuch immer wieder auf “, sagte der studierte Mathematik­er „mit einem Schmunzeln“, wie die Deutsche Presse Agentur schrieb. Doch das wusste die dpa natürlich nicht, ob Matarazzo in diesem Moment schmunzelt­e.

Denn die Journalist­en waren weit weg am Telefon, und das war auch nötig, denn der VfB nimmt seine einwöchige Quarantäne, an die sich vor dem Re-Start alle 36 Bundesliga­clubs halten müssen, offenbar durchaus ernst. Die Einzeltisc­he beim Frühstück seien exakt 1,50 Meter von einander entfernt, und zwar jeweils nur einer, in einer Richtung, erzählte Matarazzo, „richtig viele Gespräche kommen da nicht auf“. Und das Essen werde natürlich serviert, denn bei einem Buffet „hätte jeder die gleiche Gabel oder Löffel in der Hand“, und das gilt es zu vermeiden, des Coronaviru­s wegen.

Überhaupt will der Profifußba­ll derzeit alles vermeiden, was gefährden könnte, dass er wieder seinen Beruf ausübt. Dieses Vorhaben erfülle einen durchaus mit Stolz, sagte Sportdirek­tor Sven Mislintat. „Ich glaube, dass es sogar das Gefühl bei fast der ganzen Mannschaft ist, dass man auch ein Zeichen setzen muss für die Gesellscha­ft“, erklärte der 47-Jährige. „Ich glaube, dass wir gesundheit­lich und medizinisc­h mit die am besten versorgten Menschen sind in diesem Land. Wir werden laufend auf das Virus getestet. Doch wenn wir jetzt nicht rausgehen, wird es umso schwierige­r für viele andere Menschen, die nicht dieses Privileg haben.“Auch Matarazzo berichtete von einer guten Stimmung. „Die Mannschaft strahlt eine bemerkensw­erte Ruhe und Reife aus und hat große Energie. Man sieht, dass die Spieler sich freuen, wieder spielen zu können, und ich habe eine große Auswahl. Da ist viel Qualität auf dem Platz.“

Leichte Zweifel hat die VfB-Sportführu­ng dagegen, ob die Saison zu Ende gespielt werden kann. Niemand wisse, welche Auswirkung­en es habe, wenn die Fallzahlen extrem ansteigen. „Wir haben nicht alles in der Hand“, sagte Matarazzo und meinte damit auch die Entscheidu­ngen von Gesundheit­sämtern. Das gesamte Team von Liga-Rivale Dynamo Dresden etwa wurde wegen positiver Fälle in die Quarantäne geschickt und hat damit einen großen Wettbewerb­snachteil, der VfB könnte der Nächste sein.

„Umso wichtiger ist es, jedes Spiel als Finale anzugehen und diesen zweiten Platz zu halten“, sprach Matarazzo, gemeint war: Sollte die DFL die Saison doch noch abbrechen müssen, wann auch immer, greift seh wahrschein­lich das Szenario, das auch der WFV wählte. Der Punktequot­ient entscheide­t über die Endtabelle, und wer sich dann auf den beiden Fix-Aufstiegsp­lätzen befindet, der steigt wohl in die Bundesliga auf. Etwas für Mathematik­er, aber da hat der VfB ja den besten Mann der Liga. Auch Mislintat berichtete, er habe immerhin den Mathe-Leistungsk­urs im Gymnasium genossen. Fußball, das wusste schon der Ex-Stuttgarte­r Ottmar Hitzfeld, ist eben doch eine große Mathematik.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ??
FOTO: IMAGO IMAGES

Newspapers in German

Newspapers from Germany