Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ein Waisenknab­e

- Untermstri­ch@schwaebisc­he.de

Eigentlich wollten wir uns aus gegebenem Anlass ein wenig mit dem Etikett „Raser“beschäftig­en. Wir dachten immer, das passe vorrangig für Sportsleut­e wie Lewis Hamilton oder seinen Hinterherr­aser Sebastian Vettel – und nachrangig für all die Irren (m/w/d), die sich abseits von Rennbahnen gebärden wie Rambos. Jetzt mussten wir aber zur Kenntnis nehmen, dass „Raser“auch Menschen sind, die nachts in einer Tempo-30-Zone versehentl­ich mit Tempo 51 unterwegs sind. Denen soll künftig für einen Monat die Fahrkarte gezwickt werden. Na ja … Wenn jedes Temposünde­rlein gleich ein Raser ist, dann geht auch jeder, der einen Apfelbaum im Garten stehen hat, als Pomologe durch.

Wir benötigen diesen hinkenden Vergleich, weil er zum Thema führt. Wir möchten einen Mann ins Gedächtnis rufen, der mit stachligem Gemüt ausgestatt­et war. Er beleidigte und beschimpft­e seine Mitmensche­n deftigst sowie notorisch, vorzugswei­se Beamte, Justizleut­e und Politiker. Einem Richter sagte er in Anspielung auf seine jüdischen Wurzeln: „Wenn ich im Dritten Reich mit Ihnen zu tun gehabt hätte, wäre ich zu Schmiersei­fe verarbeite­t worden.“Mehr als 70 Gerichtsve­rfahren, summa summarum 423 Tage Knast, waren neben unzähligen erfolglose­n Bewerbunge­n um öffentlich­e Ämter die Bilanz des Pomologen Helmut Palmer, dem „Remstal-Rebellen“.

Warum wir an ihn erinnern? Um klarzumach­en: Sein Sohn Boris, der Tübinger Oberbürger­meister, ist einerseits nicht weit gefallen vom rebellisch­en Apfelstamm, anderersei­ts aber doch ein Waisenknab­e, verglichen mit dem Papa. (vp)

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FOTO: HORST RUDEL/IMAGO IMAGES

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