Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zerreißprobe in der AfD nach Kalbitz-Rauswurf
Aufnahmeantrag des Rechtsaußen-Politikers verschwunden – Verbündeter Höcke spricht von „Verrat“
BERLIN - Der Brandenburger AfDChef Andreas Kalbitz soll die Mitgliedschaft in einem Neonazi-Verein verschwiegen haben und wurde deswegen vom Bundesvorstand aus der Partei geworfen. Dagegen will der Rechtsaußen-Politiker kämpfen, der Partei droht die Zerreißprobe. Das entscheidende Dokument ist verschollen.
„Ich würde bei Andreas Kalbitz bestreiten, dass wir es mit einem Rechtsextremisten zu tun haben.“Es ist noch gar nicht so lang her, dass AfD-Parteichef Jörg Meuthen diese Worte in einem ARD-Interview gesagt hat. Nur wenige Monate später ist es Meuthen selbst, der den Brandenburger Landes- und Landtagsfraktionschef aus der AfD beförderte. Ironischerweise genau deshalb: Weil Kalbitz ein Rechtsextremer sei und dies dem Vorstand verschwiegen habe. Für seinen Vorstoß erntete Meuthen Lob, aber auch jede Menge Kritik. Der Rauswurf des Brandenburgers hat den Machtkampf in der AfD neu entfacht – es könnte zu einer Spaltung kommen.
Freitagabend erklärte der Bundesvorstand die AfD-Mitgliedschaft von Kalbitz für nichtig. Hintergrund seien seine früheren Kontakte ins rechtsextreme Milieu. Der Strippenzieher des rechtsnationalen „Flügels“habe Kontakte zu dem neonazistischen Verein „Heimattreue Deutsche Jugend“(HDJ) sowie eine Mitgliedschaft bei den Republikanern verschwiegen. Schon die Stimmenvergabe am Freitag zeigte jedoch, wie zerrissen der Vorstand, wie zerrissen die Partei ist: Mit nur sieben zu fünf Stimmen und einer Enthaltung setzten sich die KalbitzGegner durch.
Björn Höcke, Kalbitz-Vertrauter und Galionsfigur des „Flügels“, sprach von einem „Verrat an der Partei“. Er werde „die Spaltung und Zerstörung“der AfD „nicht zulassen“. Meuthen und der stellvertretenden Parteivorsitzenden Beatrix von Storch warf er vor, sie wollten eine „andere Partei“, die keine echte Alternative zu den etablierten Parteien mehr darstelle.
Meuthen wies Höckes Vorwurf am Sonntag zurück: „Ein Landesvorsitzender, der erst vor wenigen Wochen wörtlich ankündigte, ihm missliebige Mitglieder aus der Partei ,ausschwitzen‘ zu wollen und der freiheitlich-marktwirtschaftlich und bürgerlich-konservativ gesonnenen Mitgliedern wiederholt den Wechsel zu anderen Parteien anrät, sollte vielleicht eher sein eigenes Verhalten hinterfragen, als der Mehrheit des Bundesvorstandes ,Verrat an der Partei‘ und Spaltung vorzuwerfen, wenn sie einen satzungsgemäßen Beschluss fassen, eine Parteimitgliedschaft wegen des Verschweigens einer Vormitgliedschaft in einer rechtsextremen Organisation zu annullieren.“
Ob Kalbitz nun tatsächlich aus der Partei ausgeschlossen wird, ist unklar. Er kündigte an, sich juristisch gegen die Vorstandsentscheidung zur Wehr zu setzen. Helfen könnte Kalbitz, dass der Aufnahmeantrag mit den darin aufgeführten Angaben über seine politische Vergangenheit verschollen ist. Das berichtete die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“unter Berufung auf Meuthen und den Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland. Damit dürfte schwerer zu beweisen sein, ob Kalbitz bei seinem Beitritt 2013 tatsächlich seine früheren Kontakte zur HDJ verschwiegen habe.
Allerdings gibt es Zeugen. So sagte der AfD-Landtagsabgeordnete Franz Josef Wiese, dass er sich noch gut an Kalbitz’ Aufnahmeantrag aus dem Jahr 2013 erinnere. Der sei durch seine Hände gegangen, bei den als unvereinbar geltenden Mitgliedschaften sei überall ein „Nein“angekreuzt worden. Fraktionskollege Andreas Galau hingegen ist „völlig gelassen“: Kalbitz werde juristisch gegen den Ausschluss vorgehen, bis dahin sei er „nicht endgültig geklärt“.
Mit Skepsis reagierten Bundespolitiker anderer Parteien auf den Rauswurf von Kalbitz aus der AfD. „Nur wenn sich die AfD ernsthaft von rechtsextremen Positionen und Personen trennt und auch alle Brücken zu diesen Verfassungsfeinden abbricht, werden die Beteuerungen glaubhaft“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg dem „Handelsblatt“. Der SPD-Politiker Ralf Stegner sagte, die „Posse“um Kalbitz und die kürzlich verkündete Selbstauflösung des rechtsextremen „Flügels“der Partei seien „nur PR-Lametta und Propagandaseifenblasen der Rechtsradikalen, um das bürgerliche Wahlpublikum“.
Dem Konflikt in der AfD liegt ein tiefgreifender Richtungsstreit zugrunde. Das Meuthen-Lager sieht keine Chance auf eine Weiterentwicklung der Partei, solange die rechtsnationalen Kräfte um Kalbitz und Höcke so dominant sind. Diese wiederum fühlen sich bestätigt durch ihre Ergebnisse bei den ostdeutschen Landtagswahlen.