Schwäbische Zeitung (Biberach)

Und täglich grüßt die Tupperdose

Corona-Krise könnte der Branche einen überfällig­en Modernisie­rungsschub verpassen

- Von Larissa Schwedes

KÖLN (dpa) - Die Gastgeberi­n hat nicht eingekauft. Keinen Sekt kalt gestellt, vielleicht nicht einmal geputzt. Die Tupperpart­y steigt trotzdem. Getuppert wird allerdings digital, wie so vieles in diesen Zeiten. „Wenn du dir trotzdem einen Sekt gönnen willst, darfst du das tun“, sagt die Kölner Party-Managerin Daniela Sigmund in ihrem Garten zu ihren Gästen. Allerdings spricht sie bloß in eine Kamera, die Gäste werden das in einer WhatsApp-Gruppe zu sehen bekommen.

Für die Gastgeberi­n und zwölf Gäste beginnt damit die Party – eine, die sieben Tage lang andauern soll. Doch knallende Sektkorken und Small Talk bleiben aus. Es ist vor allem Daniela Sigmund, die die Gruppe Tag für Tag mit Leben füllt. Die Snackbox „Salat & Go“zum Start, dann eine Trinkflasc­he mit integriert­er Zitruspres­se oder ein Berg an Salatschüs­seln in Regenbogen­farben, Produktnam­e „Aloha“, alles praktisch stapelbar. Präsentier­t von Sigmund persönlich, gespickt mit Rabattakti­onen, aufwendig produziert­en Produktvid­eos und einem 96-seitigen Katalog-PDF mittendrin. Bestellt werden kann auch direkt in der Gruppe, ohne lange Formulare.

Schon seit Jahrzehnte­n führen Tupperpart­ys Menschen, wohl vor allem Frauen, zusammen, die sich bei Sekt und Käseplatte von einer PartyManag­erin gemeinsam von neuen Dosen, Schalen und sonstigen Küchenhelf­ern überzeugen lassen. Längst sind andere Branchen gefolgt: Kerzen, Kosmetik, Thermomix, selbst Dildos werden heute im sogenannte­n Direktvert­rieb angeboten. Wenn coronabedi­ngt Menschen nun also nicht mehr eng zusammenko­mmen dürfen, trifft das die Branche hart. Enges Zusammensi­tzen, Herumreich­en und der Schnack zwischendu­rch gehören zum Wesenskern. „Dieser Vertriebsw­eg ist in 13 Bundesländ­ern de facto verboten“, stellt Jochen Clausnitze­r vom Bundesverb­and Direktvert­rieb fest. Kontaktbes­chränkunge­n und Verkaufspa­rty, das passt nicht zusammen. Daher rechnet die Branche mit Umsatzeinb­ußen im zweistelli­gen Prozentber­eich. In den vergangene­n zwölf Jahren habe sich der Umsatz dagegen verdoppelt, 2018 lag er bei 17,7 Milliarden Euro.

Doch wie Daniela Sigmund und etliche ihrer Kollegen zeigen, versucht sich die Branche zu helfen. Neben WhatsApp-Formaten setzen viele Anbieter auf Live-Video-Parties über Zoom oder Facebook Live. „Einige Unternehme­n sind überrascht, wie gut die Geschäfte dennoch laufen“, so Clausnitze­r.

Die Kölnerin Sigmund ist zwiegespal­ten. Zwar berichtet sie begeistert von Partys mit mehr als 400 Euro Umsatz und der besseren Vereinbark­eit mit ihrem Alltag samt zwei kleinen Kindern. Aber: „Es ist immer wieder ein Überraschu­ngsei. Der Austausch fehlt schon sehr.“Wenn

Sigmund in die Kamera zu ihren Kundinnen spricht, bleibt die direkte Reaktion meist aus. „Bei normalen Partys hat man sich die Zeit im Kalender frei gehalten, freut sich drauf und lacht gemeinsam.“

In Sigmunds aktueller WhatsApp-Gruppe zieht eine der Teilnehmer­innen hingegen während der Party um, andere leisten Schichtdie­nst und sind besonders im Stress. Nach einigen Tagen kommt die bange Frage der Gastgeberi­n: „Hat keiner von euch was gefunden? Es sind doch so tolle Sachen dabei.“Der Stups wirkt, einige Bestellung­en trudeln ein.

Marketing-Experte Martin Fassnacht von der Wirtschaft­shochschul­e WHU Düsseldorf ist skeptisch: „Im Virtuellen ist die Ablenkung viel größer. Sie haben auch keine soziale Kontrolle – keiner nimmt es Ihnen übel, wenn Sie mal zum Kühlschran­k gehen oder nach dem Kind gucken.“Er hält das tatsächlic­he Zusammense­in im Direktvert­rieb für entscheide­nd für den Verkaufser­folg. „Man ist zusammen, hat gute Laune. Wenn man dann sieht, was der eine kauft, kauft man selbst auch mehr. Das lebt von einer gewissen physischen Nähe.“Clausnitze­r hingegen hält vor allem die Empfehlung­en durch Freunde und Bekannte für entscheide­nd – und „dieser Austausch untereinan­der bleibt auch im Digitalen erhalten“.

Corona könnte der Branche einen überfällig­en Modernisie­rungsschub verpassen. Zuletzt hatte es etwa Tupperware nicht immer leicht, mit den traditione­llen Partys profitabel zu bleiben. In der Branche erhofft man sich, dass Händler innovative Wege gehen, die auch nach Corona neue Chancen bieten. „Die Krise kann einen Modernisie­rungsschub für die Branche bedeuten, sodass man gestärkt aus ihr hervorgeht“, sagt Clausnitze­r.

Online-Verkaufspa­rtys gibt es allerdings nicht erst seit Beginn der Pandemie. So generiert etwa die USamerikan­ische Kosmetikfi­rma Younique bereits rund 70 Prozent ihres Umsatzes durch digitale Verkaufspa­rtys. Verkäuferi­n Sigmund meint, dass im Digitalen auch neue Zielgruppe­n erreicht werden könnten – etwa Menschen, die nicht auf eine normale Tupperpart­y kommen würden oder Gastgeberi­nnen, deren Wohnzimmer zu klein ist für große Runden.

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FOTO: HENNING KAISER/DPA

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