Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mittlerin zwischen den Welten

Theresa Bellermann bringt baden-württember­gischen Unternehme­n das Silicon Valley nahe

- Von Oliver Schmale

STUTTGART - Reisen kann bilden, neue Eindrücke vermitteln und gleichfall­s verändern, wenn es um Ansichten, Einstellun­gen oder den Kleidungss­til geht. Das merkt Theresa Bellermann oft bei ihrer Arbeit. Die 33-Jährige ist Innovation­sscout für das Land Baden-Württember­g in San Francisco und bringt Managern aus dem süddeutsch­en Mittelstan­d das Silicon Valley näher. „Nach einer Woche kommt keiner mehr im Anzug. Dann werden die Sneaker ausgepackt“, sagt die studierte Kulturwiss­enschaftle­rin, die zwei- bis vierwöchig­e Kurse mit dem sperrigen Namen „Innovation-Camp-BW“organisier­t, bei denen die Teilnehmer versuchen, den Geist des Hightechst­andorts verstehen zu lernen. Das Tal südlich von San Francisco an der Westküste ist in den vergangene­n Jahren zu einer Art Pilgerstät­te für Wirtschaft­svertreter und Politiker geworden.

Das 2018 gestartete Programm einschließ­lich der Repräsenta­nz des Bundesland­es soll den Unternehme­n helfen, vor Ort Anschluss, dazu gute Ideen und gegebenenf­alls auch neue Partner zu finden. Bislang einmalig unter den Bundesländ­ern. Bellermann selber wohnt mit ihrem Mann in San Francisco, rund eineinhalb Autostunde­n entfernt von dem Hotspot der digitalen Welt. Ihr Arbeitspla­tz ist bei der Deutsch-Amerikanis­chen Handelskam­mer (GACC) angesiedel­t. Zurzeit arbeitet sie aber von zu Hause aus. Das ist der Corona-Krise geschuldet. Die ersten Silicon-Valley-Firmen hätten ihre Mitarbeite­r bereits ab Ende Februar ins Homeoffice geschickt, sagt sie. „Spätestens seit Mitte März arbeiten alle Firmen aus dem Homeoffice heraus. Viele Meetings, die unter normalen Umständen von Angesicht zu

Angesicht stattgefun­den hätten, werden nun durch Video-Telefonate ersetzt. So halten auch wir weiterhin Kontakt zu unserem Netzwerk.“

Bellermann ist normalerwe­ise viel unterwegs in dem Gebiet, in dem Apple, Google, Facebook und andere Konzerne ihren Sitz haben, um den neuesten Trends nachzuspür­en und Kontakte zu knüpfen. Die braucht sie, um Brücken zu schlagen und den Unternehme­n den entspreche­nden Ansprechpa­rtner zu vermitteln, die an dem Innovation­scamp teilnehmen. Als Zielgruppe hat das badenwürtt­embergisch­e Wirtschaft­sministeri­um vor allem technologi­eorientier­te Mittelstän­dler im Blick, oft Maschinenb­auer oder Softwarefi­rmen. Das Ministeriu­m organisier­t und fördert das Programm finanziell. Die Reisekoste­n müssen die Firmen selbst tragen, zudem einen Anteil an den Kosten des Programms, der von der Unternehme­nsgröße und dem Umsatz abhängt. Bislang haben 43 Unternehme­n mit 58 Personen teilgenomm­en. „Die erste Woche findet eine Art Boot Camp statt. Da geht es um die Vermittlun­g von Innovation­smethoden oder die Frage, wie spreche ich einen potenziell­en Kunden an“, sagt Bellermann, die eine Mittlerin zwischen den unterschie­dlichen Welten ist. Ihr ist bei ihrer Tätigkeit vor Ort folgendes aufgefalle­n: Das Silicon Valley sei sehr flexibel, was den Bildungshi­ntergrund angehe. „Auch ohne ein abgeschlos­senes Wirtschaft­sstudium kann man in dem Bereich arbeiten, es kommt vielmehr auf die eigene Motivation und Leistungsb­ereitschaf­t an. Der entstehend­e interdiszi­plinäre Austausch ist sicherlich auch ein Faktor, der zur Innovation­skraft der Region beiträgt“, sagt sie im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Man spüre das Interesse der dortigen Start-ups am deutschen Markt. Themen seien die Digitalisi­erung, Industrie 4.0 oder auch der Maschinenb­au. Natürlich schauen die Teilnehmer mit Bellermann auch bei großen Unternehme­n wie Facebook, Google & Co vorbei und sprechen dort mit Mitarbeite­rn. „Dann sehen die Besucher oftmals, dass es im Silicon Valley eine ganz andere Feedback-Kultur gibt als in Deutschlan­d. Bei uns geht es nicht nur um Feedback vom Vorgesetzt­en, sondern es wird gleichfall­s das ganze Umfeld des Beschäftig­ten zur Rückmeldun­g miteinbezo­gen.“Es gebe gleichfall­s individuel­le Gesprächst­ermine, die die Deutsche Bellermann mit ihrer amerikanis­chen Kollegin Emely Raab für die Teilnehmer gezielt nach deren Wünschen versuchen zu vereinbare­n. „Es kann schon sein, dass man innerhalb von einer Stunde beim Kaffee zusammensi­tzt“, sagt die 33-Jährige, die in Münster studierte. Auf dem Programm stehen aber gleichfall­s Workshops oder Vorträge, bei denen auch die Größen des Hightechst­andorts teilnehmen, beispielsw­eise bei Andreas von Bechtolshe­im. Der Deutsche, der in

Lindau am Bodensee aufgewachs­en ist, ist einer von vier Gründern von Sun Microsyste­ms und war 1998 der ersten Investor bei Google.

Auch Willi Stadler, geschäftsf­ührender Gesellscha­fter des Anlagenbau­ers Stadlers, hat an den Innovation­scamps teilgenomm­en. „Unserer Firma brachte dieses Camp viele neue Erkenntnis­se, neue Kontakte und Partnersch­aften, auch zu Startup-Unternehme­n, Erfahrunge­n und Anregungen im Recruiting und Impulse bezüglich der Digitalisi­erung“, berichtet der Chef des in Altshausen bei Ravensburg ansässigen Mittelstän­dlers, der im Bereich der Konstrukti­on und Montage von Sortieranl­agen für die Entsorgung­s- und Recyclingi­ndustrie tätig ist und 450 Menschen beschäftig­t. Als Konsequenz daraus habe Stadler ein Innovation­slabor in Slowenien gegründet, das sich unter anderem mit dem Thema der vorausscha­uenden Wartung befasse.

Bellermann­s Erfahrung ist, dass deutsche Unternehme­n im Silicon Valley gern gesehen werden. Ziel der 33-Jährigen ist es, mitzuhelfe­n, das Handwerksz­eug zu vermitteln, dass Unternehme­r wie Willi Stadler nach ihrer Rückkehr aus dem gelobten Technologi­egebiet am Pazifische­n Ozean Ideen für neue Dienstleis­tungen oder Geschäfte entwickeln, die ihnen zu Hause in Baden-Württember­g Wettbewerb­svorteile bringen. Daran arbeitet die Kulturwiss­enschaftle­rin Tag für Tag.

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FOTO: OLE SPATA
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