Schwäbische Zeitung (Biberach)
Mittlerin zwischen den Welten
Theresa Bellermann bringt baden-württembergischen Unternehmen das Silicon Valley nahe
STUTTGART - Reisen kann bilden, neue Eindrücke vermitteln und gleichfalls verändern, wenn es um Ansichten, Einstellungen oder den Kleidungsstil geht. Das merkt Theresa Bellermann oft bei ihrer Arbeit. Die 33-Jährige ist Innovationsscout für das Land Baden-Württemberg in San Francisco und bringt Managern aus dem süddeutschen Mittelstand das Silicon Valley näher. „Nach einer Woche kommt keiner mehr im Anzug. Dann werden die Sneaker ausgepackt“, sagt die studierte Kulturwissenschaftlerin, die zwei- bis vierwöchige Kurse mit dem sperrigen Namen „Innovation-Camp-BW“organisiert, bei denen die Teilnehmer versuchen, den Geist des Hightechstandorts verstehen zu lernen. Das Tal südlich von San Francisco an der Westküste ist in den vergangenen Jahren zu einer Art Pilgerstätte für Wirtschaftsvertreter und Politiker geworden.
Das 2018 gestartete Programm einschließlich der Repräsentanz des Bundeslandes soll den Unternehmen helfen, vor Ort Anschluss, dazu gute Ideen und gegebenenfalls auch neue Partner zu finden. Bislang einmalig unter den Bundesländern. Bellermann selber wohnt mit ihrem Mann in San Francisco, rund eineinhalb Autostunden entfernt von dem Hotspot der digitalen Welt. Ihr Arbeitsplatz ist bei der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer (GACC) angesiedelt. Zurzeit arbeitet sie aber von zu Hause aus. Das ist der Corona-Krise geschuldet. Die ersten Silicon-Valley-Firmen hätten ihre Mitarbeiter bereits ab Ende Februar ins Homeoffice geschickt, sagt sie. „Spätestens seit Mitte März arbeiten alle Firmen aus dem Homeoffice heraus. Viele Meetings, die unter normalen Umständen von Angesicht zu
Angesicht stattgefunden hätten, werden nun durch Video-Telefonate ersetzt. So halten auch wir weiterhin Kontakt zu unserem Netzwerk.“
Bellermann ist normalerweise viel unterwegs in dem Gebiet, in dem Apple, Google, Facebook und andere Konzerne ihren Sitz haben, um den neuesten Trends nachzuspüren und Kontakte zu knüpfen. Die braucht sie, um Brücken zu schlagen und den Unternehmen den entsprechenden Ansprechpartner zu vermitteln, die an dem Innovationscamp teilnehmen. Als Zielgruppe hat das badenwürttembergische Wirtschaftsministerium vor allem technologieorientierte Mittelständler im Blick, oft Maschinenbauer oder Softwarefirmen. Das Ministerium organisiert und fördert das Programm finanziell. Die Reisekosten müssen die Firmen selbst tragen, zudem einen Anteil an den Kosten des Programms, der von der Unternehmensgröße und dem Umsatz abhängt. Bislang haben 43 Unternehmen mit 58 Personen teilgenommen. „Die erste Woche findet eine Art Boot Camp statt. Da geht es um die Vermittlung von Innovationsmethoden oder die Frage, wie spreche ich einen potenziellen Kunden an“, sagt Bellermann, die eine Mittlerin zwischen den unterschiedlichen Welten ist. Ihr ist bei ihrer Tätigkeit vor Ort folgendes aufgefallen: Das Silicon Valley sei sehr flexibel, was den Bildungshintergrund angehe. „Auch ohne ein abgeschlossenes Wirtschaftsstudium kann man in dem Bereich arbeiten, es kommt vielmehr auf die eigene Motivation und Leistungsbereitschaft an. Der entstehende interdisziplinäre Austausch ist sicherlich auch ein Faktor, der zur Innovationskraft der Region beiträgt“, sagt sie im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Man spüre das Interesse der dortigen Start-ups am deutschen Markt. Themen seien die Digitalisierung, Industrie 4.0 oder auch der Maschinenbau. Natürlich schauen die Teilnehmer mit Bellermann auch bei großen Unternehmen wie Facebook, Google & Co vorbei und sprechen dort mit Mitarbeitern. „Dann sehen die Besucher oftmals, dass es im Silicon Valley eine ganz andere Feedback-Kultur gibt als in Deutschland. Bei uns geht es nicht nur um Feedback vom Vorgesetzten, sondern es wird gleichfalls das ganze Umfeld des Beschäftigten zur Rückmeldung miteinbezogen.“Es gebe gleichfalls individuelle Gesprächstermine, die die Deutsche Bellermann mit ihrer amerikanischen Kollegin Emely Raab für die Teilnehmer gezielt nach deren Wünschen versuchen zu vereinbaren. „Es kann schon sein, dass man innerhalb von einer Stunde beim Kaffee zusammensitzt“, sagt die 33-Jährige, die in Münster studierte. Auf dem Programm stehen aber gleichfalls Workshops oder Vorträge, bei denen auch die Größen des Hightechstandorts teilnehmen, beispielsweise bei Andreas von Bechtolsheim. Der Deutsche, der in
Lindau am Bodensee aufgewachsen ist, ist einer von vier Gründern von Sun Microsystems und war 1998 der ersten Investor bei Google.
Auch Willi Stadler, geschäftsführender Gesellschafter des Anlagenbauers Stadlers, hat an den Innovationscamps teilgenommen. „Unserer Firma brachte dieses Camp viele neue Erkenntnisse, neue Kontakte und Partnerschaften, auch zu Startup-Unternehmen, Erfahrungen und Anregungen im Recruiting und Impulse bezüglich der Digitalisierung“, berichtet der Chef des in Altshausen bei Ravensburg ansässigen Mittelständlers, der im Bereich der Konstruktion und Montage von Sortieranlagen für die Entsorgungs- und Recyclingindustrie tätig ist und 450 Menschen beschäftigt. Als Konsequenz daraus habe Stadler ein Innovationslabor in Slowenien gegründet, das sich unter anderem mit dem Thema der vorausschauenden Wartung befasse.
Bellermanns Erfahrung ist, dass deutsche Unternehmen im Silicon Valley gern gesehen werden. Ziel der 33-Jährigen ist es, mitzuhelfen, das Handwerkszeug zu vermitteln, dass Unternehmer wie Willi Stadler nach ihrer Rückkehr aus dem gelobten Technologiegebiet am Pazifischen Ozean Ideen für neue Dienstleistungen oder Geschäfte entwickeln, die ihnen zu Hause in Baden-Württemberg Wettbewerbsvorteile bringen. Daran arbeitet die Kulturwissenschaftlerin Tag für Tag.