Schwäbische Zeitung (Biberach)
Es bleibt nur der Jubel vor der grauen Wand
Dortmund glänzt im Derby gegen Schalke auch ohne Fans und schießt sich für die Bayern warm
DORTMUND (SID/dpa/sz) - Der traurige Derbyjubel vor der grauen statt der normalerweise gelben Wand der Südtribüne war das perfekte Schaubild eines historischen Spieltags. Wo sich sonst 25 000 Fans nach dem 4:0-Sieg gegen den Erzrivalen Schalke vor Ekstase überschlagen hätten, da reihten sich Mats Hummels und Erling Haaland, Raphael Guerreiro und Roman Bürki ganz brav mit Hygiene-Abstand auf – dann warfen sie die Arme in die Luft.
Genug zu feiern hatten die Profis von Borussia Dortmund schließlich. Das 4:0 war der höchste Derbysieg seit 54 Jahren, dazu hatte der BVB den personellen Problemen getrotzt und ein Zeichen im Meisterrennen gesetzt. „4:0 gegen Schalke – das ist schon ganz okay“, sagte Trainer Lucien Favre für seine Verhältnisse euphorisch. Nach zehnwöchiger Corona-Pause lieferte die Borussia den Beweis, dass ein Fußballspiel auch unter fast klinischen Bedingungen leidenschaftlich und unterhaltsam sein kann. Als Zündfunke wirkte dabei das 1:0 von Erling Haaland in der 29. Minute – das erste Tor der Bundesliga nach der Zwangsauszeit. Danach vertrieb der Tabellenzweite mit erstaunlicher Finesse und Spielfreude im ersten Geisterderby der Geschichte den Schalke-Komplex, unter dem er in den vergangenen acht Spielen gegen den Erzrivalen mit nur einem Sieg zumeist gelitten hatte.
„Was gibt es Schöneres, als mit so einem Sieg wieder in die Saison einzusteigen“, schwärmte Julian Brandt, der als Einziger nicht mit zur leeren Südtribüne gegangen war. „Ich hatte nicht mehr die Kraft“, sagte der Nationalspieler, der ein starkes Spiel abgeliefert hatte. Dabei schien die Ausgangslage alles andere als optimal. Marco Reus, Axel Witsel, Emre Can und Dan-Axel Zagadou fehlten, dazu verletzte sich der eigentlich für die Startelf vorgesehene Giovanni Reyna beim Aufwärmen – Thorgan Hazard spielte für ihn und traf kurz nach der Pause zum 3:0. Zudem saß Shootingstar Jadon Sancho bis kurz vor dem Spielende nur auf der Bank, weil es ihm nach einer Muskelblessur noch an Fitness mangelte.
Dass der BVB dennoch groß aufspielte, befreite Sportdirektor Michael Zorc von schwerer Last: „Wir waren alle nach dem Spiel sehr erleichtert. Wir wussten ja nicht, wo wir stehen nach dieser langen Pause.“Mit dem 4:0 – neben Haaland und Hazard traf Raphael Guerreiro doppelt – sammelten die Dortmunder Mut für den Ligagipfel am 26. Mai gegen Spitzenreiter FC Bayern. Entgegen aller Prognosen gelang es ihnen deutlich besser, sich mit den Bedingungen eines Geisterspiels zu arrangieren als den seit acht Spielen sieglosen Schalkern. „Wir haben viele Gespräche geführt und wussten, dass es eigentlich nichts anderes ist als das Spiel, was wir früher als Kinder gespielt haben: ohne Zuschauer und einfach Spaß haben“, sagte Torhüter Roman Bürki.
Die Schalker dagegen verließen das Stadion mit hängenden Köpfen. Das Vorhaben, den BVB wie im Vorjahr aus dem Titelrennen zu kegeln, schlug auf drastische Weise fehl. Mit dem Dortmunder Blitzfußball nach Balleroberung waren die spielerisch unterlegenen und ängstlichen Schalker heillos überfordert. Sie wurden überrollt. Und das vor den Augen der Fußballwelt: Frankreichs Weltmeister Kylian Mbappé und Zlatan Ibrahimovic schauten ebenso zu wie Englands Ikone Gary Lineker. „Ich glaube, dass die Spieler sehr beeindruckt waren“, vermutete Schalkes Aufsichtsratschef Clemens Tönnies, der sich „ein bisschen geprügelt“fühlte. Ähnlich gefühlt hatte sich der BVB nach dem Aus im Achtelfinale der Champions League – nach dem leblosen Auftritt im Geisterspiel in Paris. Das sei jetzt ein Vorteil gewesen, meinte Brandt: „Wir hatten einen kleinen Vorteil, wir kannten diese Stille im Stadion.“Jetzt kennen sie auch die graue Wand.