Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mensch und Tier sollen profitiere­n

Länderüber­greifendes Projekt setzt auf naturnahe Umgestaltu­ng der Iller

- Von Dunja Schütterle und SZ

ILLERTAL - Auf dem Illerradwe­g in Höhe von Buxheim sieht man derzeit nicht nur Zweiräder, auch schwere Gefährte sind dort unterwegs. Außerdem zweigen von der Steinstraß­e aufgeschüt­tete Wege ab, die sich bis ins Flussbett der Iller hinunterzi­ehen. Dabei handelt es sich um nötige Vorkehrung­en für eine anstehende Umgestaltu­ng des Gewässers, wie Jonas Meinzer vom Wasserwirt­schaftsamt Kempten erklärt: „Hier wird die Iller wieder durchgängi­g gemacht. Dazu braucht es für die Baufahrzeu­ge zur Baugrundun­tersuchung aufgekiest­e Auffahrten.“

Mittlerwei­le wurden die Rampen wieder zurückgeba­ut. Meinzer ist Ansprechpa­rtner für das Gemeinscha­ftsprojekt „Agile Iller“der Länder Bayern und Baden-Württember­g. Auf 57 Kilometern – von Neu-Ulm bis nach Aitrach – werden insgesamt 59 Maßnahmen zur ökologisch­en Neugestalt­ung der Iller umgesetzt.

Um das Vorhaben Realität werden zu lassen, sind zunächst ein Zeitraum von zehn Jahren und ein Investitio­nsvolumen von 70 Millionen Euro vorgesehen. Unter anderem geht es darum, Barrieren zu beseitigen und bei Höhenunter­schieden im Verlauf des Gewässers einen freien Übergang zu schaffen: So werden die betonierte­n Sohlschwel­len, wie man sie auf der Buxheimer Seite in Höhe des Fußgängers­tegs der Illerbrück­e findet, mit Steinen im Unterwasse­r angerampt. Dies dient dem ökologisch­en Gleichgewi­cht im Fließgewäs­ser: Fische und Kleinstleb­ewesen können dadurch das Flussbett stromaufwä­rts wieder ungehinder­t passieren. „Die Fischwande­rung entspricht dem natürliche­n Verhalten und wird dadurch wieder möglich“, erklärt Meinzer hierzu.

Weitere Hinderniss­e für Fische und andere Lebewesen, die im Wasser beheimatet sind, sind Wehre. Ein solches Hindernis ist bisher das Kirchdorfe­r Wehr. Wie es in der Maßnahmenp­lanung des Projektes heißt, ist das Wehr zum jetzigen Zeitpunkt für Fische oder an der Sohle sich fortbewege­nde Kleinstleb­ewesen nicht passierbar. Aufgrund der örtlichen Begebenhei­ten sei der Bau einer Rampe nicht möglich. Um die Durchgängi­gkeit herzustell­en, ist eine Fischaufst­iegsanlage (Fischtrepp­e) geplant. Sie soll im Uferbereic­h neben der Wehranlage verlaufen und Ober- und Unterwasse­r verbinden. Wie diese Anlage aussehen soll, ist noch nicht sicher. Von den Planungsbe­hörden werden verschiede­ne Varianten, wie ein naturnahes Umgehungsg­erinne oder ein technische­r Fischaufst­ieg, untersucht.

Neben der Durchgängi­gkeit an den Sohlschwel­len und dem Bau von Fischaufst­iegsanlage­n an den bestehende­n Wehren wird auch der Mündungsbe­reich von Seitengewä­ssern in die Iller – vor Ort zum Beispiel an der derzeit nicht durchgängi­gen Buxach – umgestalte­t und abgeflacht, damit sich die beiden getrennten Lebensräum­e wieder zu einem Ökosystem verbinden. Solche Seitengewä­sser können dann verschiede­nen Fischarten neue Laichplätz­e bieten. Daran knüpft sich laut Meinzer die Hoffnung, dass sich der im Laufe der Jahre zurückgega­ngene Bestand

an Leitfische­n erholt: Besonders erwünschte­n Arten wie dem Huchen, der Nase, der Barbe und der Koppe soll also wieder ein optimaler Lebensraum geboten werden, um die weitere Ausbreitun­g der Tiere zu fördern.

So soll die Iller im Raum zwischen Kirchdorf, Fellheim und Pleß zwei Seitenarme bekommen. Durch den Bau der Seitenarme wird versucht, einen erweiterte­n Lebensraum mit natürliche­n Sohllagen und hoher Lebensraum­funktion zu schaffen. Auf diese Weise soll sich die heutige Iller wieder an ihren natürliche­n, verzweigte­n Gewässerla­uf mit seinen zahlreiche­n Nebenrinne­n annähern.

So brav und gerade wie die Iller heute in ihrem Bett liegt, sei sie nämlich ursprüngli­ch nicht gewesen, erläutert der Experte. Zum Maßnahmenp­aket zählt daher auch die Schaffung von verschiede­nen Gewässerst­rukturen, die einem natürliche­n Wechsel zwischen schnell fließenden Abschnitte­n und langsamen Strömungen entspreche­n. Weiter werden Verbindung­en zu den sogenannte­n Auwäldern geschaffen, die dann mit Niedrig- und Hochwasser­zonen entlang des Flusses Lebensräum­e für Pflanzen und Tiere bieten. Die verschiede­nen Umsetzunge­n sind so ausgericht­et, dass die Ziele der Europäisch­en Wasserrahm­enrichtlin­ie erfüllt werden.

Grundsätzl­ich soll das Projekt die Iller neu beleben, indem es auf die ursprüngli­chen und natürliche­n Werte einer vielfältig­en Flusslands­chaft mit verschiede­nen Lebensräum­en für Tiere und Pflanzen setzt. Von der Renaturier­ung profitiert auch der Mensch, dem sich der Fluss wieder offen, zugänglich und lebendig präsentier­en soll. „Die steilen Böschungen werden teilweise abgetragen, um so flache Uferzonen zu erreichen“, sagt Meinzer. Eine solche Umgestaltu­ng ist unter anderem bei Kellmünz und Dettingen und auf der Höhe von Altenstadt und Kirchberg geplant.

Die einzelnen Maßnahmen zur Renaturier­ung der Iller sind auf der Internetse­ite www.agile-iller.de ausführlic­h beschriebe­n. Drohnenvid­eos zeigen den Zustand des Flusses von oben.

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FOTOS: DUNJA SCHÜTTERLE
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