Schwäbische Zeitung (Biberach)
Ausgebremst
Seit den 1980er-Jahren steht Kennzeichen D in der Formel 1 für Quantität und Qualität – Bald könnte das anders aussehen
Privileg des Besten: sieben Weltmeistertitel mit Benetton (1994, 1995) und Ferrari (2000 bis 2004), 91 gewonnene Rennen (bei
306 Starts), 68-mal Pole-Position, 77 schnellste Runden. Das brachte Anerkennung, Respekt. Gemocht allerdings wurde Michael Schumacher nicht von jedem. Wie auch? Rennfahrer ticken anders. Sagen Sätze wie: „Es ist eine große Befriedigung, alles ans Limit zu bringen ... Du absorbierst alles, was dir das Auto, die Reifen und der Motor geben. Das gibt dir die Chance, alles herauszuholen, was möglich ist. Wenn du es schaffst, dann schwebst du wie im siebten Himmel.“Michael Schumacher hat diese eigene Welt, die da irgendwo bei Tempo 300 beginnt, beherrscht wie kein Zweiter. Sein Antrieb war der Wettbewerb (auch der mit sich selbst), kompromisslos war er in ihm (auch
Den Anspruch an 2020, an sich und das sechste Jahr seiner Partnerschaft mit Ferrari hat Sebastian Vettel schon vorigen November kundgetan. Unmissverständlich kundgetan. Sein 100. Rennen für die Scuderia stand an, in Brasilien. Das vorletzte einer überaus mittelprächtigen Saison, die ihm Rang fünf im WM-Klassement bringen sollte. Mit nur einem Sieg – in Singapur, dem 53. seiner Karriere –, mit zweimal Pole-Position und sonst ziemlich viel Frust. Deshalb: „Es ist eine große Ehre, das relevanteste Auto im ganzen Feld zu fahren. Es liegt an uns, dass das relevanteste auch das schnellste Auto wird.“
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft bislang Corona; der SF1000, das aktuelle Dienstfahrzeug des 32-jährigen Wahl-Thurgauers aus Heppenheim, hat den Formel-1Ernstfall nur bei den Wintertests geprobt. Wo er steht, weiß Sebastian Vettel nicht. Weiß er doch: Seit Dienstag vergangener Woche ist offiziell, dass nach Ende dieser Saison und seines zweiten Dreijahresvertrags nichts mehr kommen wird an Gemeinsamem mit Ferrari. Der Vettel’sche Part der entsprechenden Mitteilung ist vielsagend: „Um die bestmöglichen Ergebnisse in diesem Sport zu erzielen, ist es für alle Beteiligten wichtig, in perfekter Harmonie zu arbeiten.“
2021 also könnte eine schwäbische PS-Schmiede (ihre Stützpunkte liegen in Brackley und Brixworth in Northamptonshire, die entscheidenden Köpfe sind britisch und österreichisch) letzte Bastion der Formel D sein. Es sei denn, Sebastian Vettel macht weiter. Pikanterie am Rand: Die Mercedes-Verträge von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas enden mit Saisonende. Vierfach-Weltmeister Vettel im Silberpfeil? AutoDeutschland darf träumen. Noch.
Bestmögliches Ergebnis, wenn einer mit vier Weltmeistertiteln kommt, ist der fünfte; ihn wollte Sebastian Vettel in Rot holen. Der Mann hat ein ausgeprägtes Interesse für die Historie seines Sports, Platz drei bei Ferrari-Start eins garnierte 2015 eine Liebeserklärung: „Seit meinem ersten Tag ist da etwas Magisches.“Gehörig Zauber ist verflogen. 2017 etwa wurden 14 Zähler Vorsprung zu 46 Zählern Rückstand auf Mercedes-Rivale Lewis Hamilton. Gern ärgerten die streikende Technik und manchmal eine eigenwillige Strategie, 2018 kamen auch ungewohnt viele Fehler auf Fahrerseite dazu. Und: Das Team reagierte viel zu spät auf eine missratene Aerodynamik-Entwicklung. Zwei zweite WMPlätze, die wehtaten ...
Abhilfe schufen selbst Ferraris Personalrochaden nicht. Teamchef seit 2019 ist Mattia Binotto, auch unter ihm wollte der große Wurf Weltmeisterauto nicht gelingen. Sebastian Vettels Vertrauen litt. Auch weil Konflikte mit Teamkollege Charles Leclerc uneindeutig-unbeholfen moderiert wurden. Der 22-Jährige holte mehr Siege, mehr WM-Punkte, Gesamtrang vier und einen Vertrag bis 2024 heraus. Um ihn baut Ferrari seine Zukunft auf; Zugang Carlos Sainz wird konfliktfrei den Adlatus geben. Und Sebastian Vettel? Harmonie suchen. Wo auch immer. (lin)