Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mut zur Lücke

- Von Matthias Krack

Versuchen Sie doch einmal, in einem Satz mit gerade einmal zwölf Wörtern fünf Hauptwörte­r unterzubri­ngen, von denen wiederum drei ihrerseits aus mehreren Hauptwörte­rn zusammenge­setzt sind. Wie? Diese Aufgabe haben Sie nicht verstanden? Seien Sie beruhigt: Ein solcher Satz ist wirklich schwer zu begreifen.

Womöglich ahnen Sie aber bereits, dass es sich um ein Beispiel reinen Behördende­utschs handeln muss. Wenn Sie in Stuttgart S-Bahn fahren, bekommen Sie einen solchen Satz ständig zu hören: „Beim Aussteigen bitten wir um Beachtung des Höhenunter­schieds zwischen Zugtür und Bahnsteigk­ante.“Zählen Sie ruhig noch einmal nach: Fünf Hauptwörte­r, drei davon ihrerseits zusammenge­setzt aus mehreren Hauptwörte­rn. Viel wichtiger noch: Wissen Sie eigentlich, was zu tun ist?

In der Londoner U-Bahn wird auf denselben Sachverhal­t mit drei einfachen Worten hingewiese­n. „Mind the gap“, heißt es dort schlicht und einfach, wörtlich übersetzt: „Denk’ an die Lücke.“Jedem ist klar, was gemeint ist, ob Einheimisc­her oder Tourist. Stolpern könnte gefährlich sein. Wie viele Deutschkur­se wohl nötig sind, um die Aufforderu­ng aus unserer S-Bahn zu verstehen?

Komplizier­t zu reden – das haben die Juristen und Verwaltung­sfachleute nicht allein für sich gepachtet. Auch Theologen geht es zuweilen so. Das kann einen wichtigen Grund haben: Sie wollen es genau machen. Es ist eben nicht immer leicht zu beschreibe­n, was den Glauben an Gott und seinen Sohn Jesus Christus ausmacht. Gerade auch dann nicht, wenn es darum geht zu unterschei­den – wenn es verschiede­ne Seiten einer Sache gibt, wenn der Mittelweg zwischen den Extremen eben auch der komplizier­teste Weg ist.

Ich finde, gerade die Osterzeit ist so ein Beispiel. Da ist die Frohe Botschaft, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat. Endlich habe ich etwas, worauf ich hoffen kann, obwohl der Tod so drohend über meinem Leben steht. Endlich habe ich etwas, was mir leuchtet und Kraft schenkt in den wirren und verunsiche­rnden Zeiten der Corona-Krise. Ja, endlich habe ich die Botschaft von der Liebe Gottes, die alles heil macht und stärker ist als Corona und der Tod.

Aber zugleich „habe“ich diese Botschaft ja nicht, zumindest nicht in der Weise, dass ich über sie verfügen könnte. Vielmehr hat die Botschaft mich. Jesus wurde zwar von den Toten auferweckt, dennoch ist er als Weltenherr­scher nicht unter uns. Er ist nicht so da wie wir anderen hier. Wir können uns mit ihm nicht einfach so unterhalte­n wie mit anderen Menschen. So schön es wäre, ihn in unserer Runde direkt fragen zu können und von ihm Antwort zu erhalten – es ist nicht so, und wir wissen das.

„Mind the gap“– denke daran, da ist eine Lücke. Die Zeit zwischen Himmelfahr­t und Pfingsten bringt diese Erfahrung des Glaubens auf den Punkt: Jesus lebt und ist stärker als alles, was mein Leben bedroht; doch ist er nicht unter den Lebenden hier auf Erden. Dieses „Zwischendr­in“braucht viele Geschichte­n, kraftvolle Bilder, manchmal etliche Worte und oft auch einiges Nachdenken. Ein Amtsdeutsc­h aber – nein, das ist nicht erforderli­ch. Denn Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt.

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FOTO: PRIVAT

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