Schwäbische Zeitung (Biberach)
Mut zur Lücke
Versuchen Sie doch einmal, in einem Satz mit gerade einmal zwölf Wörtern fünf Hauptwörter unterzubringen, von denen wiederum drei ihrerseits aus mehreren Hauptwörtern zusammengesetzt sind. Wie? Diese Aufgabe haben Sie nicht verstanden? Seien Sie beruhigt: Ein solcher Satz ist wirklich schwer zu begreifen.
Womöglich ahnen Sie aber bereits, dass es sich um ein Beispiel reinen Behördendeutschs handeln muss. Wenn Sie in Stuttgart S-Bahn fahren, bekommen Sie einen solchen Satz ständig zu hören: „Beim Aussteigen bitten wir um Beachtung des Höhenunterschieds zwischen Zugtür und Bahnsteigkante.“Zählen Sie ruhig noch einmal nach: Fünf Hauptwörter, drei davon ihrerseits zusammengesetzt aus mehreren Hauptwörtern. Viel wichtiger noch: Wissen Sie eigentlich, was zu tun ist?
In der Londoner U-Bahn wird auf denselben Sachverhalt mit drei einfachen Worten hingewiesen. „Mind the gap“, heißt es dort schlicht und einfach, wörtlich übersetzt: „Denk’ an die Lücke.“Jedem ist klar, was gemeint ist, ob Einheimischer oder Tourist. Stolpern könnte gefährlich sein. Wie viele Deutschkurse wohl nötig sind, um die Aufforderung aus unserer S-Bahn zu verstehen?
Kompliziert zu reden – das haben die Juristen und Verwaltungsfachleute nicht allein für sich gepachtet. Auch Theologen geht es zuweilen so. Das kann einen wichtigen Grund haben: Sie wollen es genau machen. Es ist eben nicht immer leicht zu beschreiben, was den Glauben an Gott und seinen Sohn Jesus Christus ausmacht. Gerade auch dann nicht, wenn es darum geht zu unterscheiden – wenn es verschiedene Seiten einer Sache gibt, wenn der Mittelweg zwischen den Extremen eben auch der komplizierteste Weg ist.
Ich finde, gerade die Osterzeit ist so ein Beispiel. Da ist die Frohe Botschaft, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat. Endlich habe ich etwas, worauf ich hoffen kann, obwohl der Tod so drohend über meinem Leben steht. Endlich habe ich etwas, was mir leuchtet und Kraft schenkt in den wirren und verunsichernden Zeiten der Corona-Krise. Ja, endlich habe ich die Botschaft von der Liebe Gottes, die alles heil macht und stärker ist als Corona und der Tod.
Aber zugleich „habe“ich diese Botschaft ja nicht, zumindest nicht in der Weise, dass ich über sie verfügen könnte. Vielmehr hat die Botschaft mich. Jesus wurde zwar von den Toten auferweckt, dennoch ist er als Weltenherrscher nicht unter uns. Er ist nicht so da wie wir anderen hier. Wir können uns mit ihm nicht einfach so unterhalten wie mit anderen Menschen. So schön es wäre, ihn in unserer Runde direkt fragen zu können und von ihm Antwort zu erhalten – es ist nicht so, und wir wissen das.
„Mind the gap“– denke daran, da ist eine Lücke. Die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten bringt diese Erfahrung des Glaubens auf den Punkt: Jesus lebt und ist stärker als alles, was mein Leben bedroht; doch ist er nicht unter den Lebenden hier auf Erden. Dieses „Zwischendrin“braucht viele Geschichten, kraftvolle Bilder, manchmal etliche Worte und oft auch einiges Nachdenken. Ein Amtsdeutsch aber – nein, das ist nicht erforderlich. Denn Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt.