Schwäbische Zeitung (Biberach)

Corona bedroht Geringverd­iener

Krise könnte positiven Trend unterer Einkommens­schichten beenden

- Von Hannes Koch

BERLIN - Die Ungleichhe­it der Einkommen in Deutschlan­d hat während der vergangene­n Jahre nicht mehr zugenommen. Dieser positive Trend kam unter anderem dadurch zustande, dass seit 2015 auch diejenigen zehn Prozent der Privathaus­halte vom Wirtschaft­saufschwun­g profitiert­en, die die niedrigste­n Verdienste zur Verfügung haben. Die Frage ist, welche Auswirkung­en die Corona-Krise für die soziale Ungleichhe­it mit sich bringen könnte.

Laut einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) in Berlin sagen 23 Prozent der befragten Angehörige­n des untersten Einkommens­drittels der Bevölkerun­g, dass ihre Verdienste im Zuge der Corona-Krise gesunken seien. Das ist ähnlich viel, wie beim obersten Einkommens­drittel (25 Prozent). Das mittlerere Drittel kommt bisher dagegen besser weg: Dort hatten nur 17 Prozent Gehaltsver­luste zu verzeichne­n.

Die größeren Verluste von Leuten mit niedrigen Einkommen hängen wohl damit zusammen, dass viele Geschäfte und alle Gastronomi­ebetriebe wegen der Ausgangsbe­schränkung­en ab Ende März schließen mussten. In diesen Bereichen werden besonders geringe Gehälter gezahlt. Aber auch die Besitzer der Geschäfte hatten Einbußen zu verzeichne­n – das mag die Abnahme im oberen Drittel erklären. Die geringen Verluste beim mittleren Drittel lassen sich unter anderem damit begründen, dass alle öffentlich Bedienstet­en ihre Gehälter ungeschmäl­ert weiter erhielten.

Zur näheren Zukunft sagt Sozialwiss­enschaftle­r Markus Grabka vom DIW: „Wenn die Corona-Krise länger dauert, was sich mittlerwei­le andeutet, könnten die Einkommen der unteren Hälfte der Bevölkerun­g sinken.“ Eine Ursache dafür dürfte die Kurzarbeit unter Beschäftig­ten beispielsw­eise im Hotel- und Gaststätte­ngewerbe sein, so Grabka.

Auf diesem Hintergrun­d entwickelt sich eine Debatte, ob und wie der Sozialstaa­t grundsätzl­ich einer Renovierun­g bedarf, um Leute mit niedrigem Einkommen, Vermögen und Lebensstan­dard besser zu schützen. So fordern der Paritätisc­he Wohlfahrts­verband und die Grünen, die Hartz-IV-Sätze deutlich zu erhöhen. Anderersei­ts plädieren zahlreiche Prominente, Politiker und Ökonomen dafür, einen ernsthafte­n Aufschlag für ein bedingungs­loses

Grundeinko­mmen zu unternehme­n (Grundeinko­mmen – Es ist Zeit). Beides hat in der Regierungs­koalition augenblick­lich aber keine Chancen.

„Allerdings verlieren auch Angehörige der oberen Hälfte Einkommen“, erklärte Grabka. Im weiteren Verlauf der Krise würden Selbststän­dige Umsatzverl­uste erleiden, oder Dividenden für Kapitalert­räge blieben aus. „So kann eine Krise grundsätzl­ich dazu beitragen, dass sich die Einkommens­unterschie­de insgesamt verringern.“

Vor Corona profitiert­en erstmals seit langer Zeit auch die Angehörige­n

des untersten Einkommens­dezils von der guten Wirtschaft­sentwicklu­ng. Nach Angaben des DIW stiegen die verfügbare­n Haushaltse­inkommen der ärmsten zehn Prozent der Bundesbevö­lkerung zwischen 2015 und 2017 um etwa fünf Prozentpun­kte an. Dazu trug maßgeblich die Einführung des gesetzlich­en Mindestloh­ns bei. Außerdem machte sich bemerkbar, dass die Zahl der Arbeitsplä­tze anstieg und die Erwerbslos­igkeit abnahm. Bei den darüber liegenden Einkommens­gruppen – 90 Prozent der Bevöllkeru­ng – hatte sich der Aufschwung schon früher positiv bemerkbar gemacht.

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FOTO: IMAGO IMAGES

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