Schwäbische Zeitung (Biberach)
Maskenpflicht macht Hörgeräte-Trägern zu schaffen
Der Mund-Nasen-Schutz dämpft die Lautstärke um mehrere Dezibel – Welche Lösungen es gibt
BIBERACH - Die Lippen bedeckt und die Lautstärke gedämpft: Die Maskenpflicht in Geschäften und im Nahverkehr stellt Menschen mit einer Hörschädigung vor neue Herausforderungen. Deutschlandweit versorgt das Hörakustiker-Handwerk etwa 3,7 Millionen Betroffene mit Hörsystemen. Einer von ihnen ist der 36-jährige Christian Strahl aus Bad Schussenried, der seit Geburt an hochgradig schwerhörig ist. Auch für ihn brachte die Maskenpflicht zunächst Probleme mit sich – doch aussichtslos ist die Lage nicht.
„Die Maske erschwert die Verständigung im Alltag“, schildert Christian Strahl. Einerseits verstehe er Menschen im Supermarkt schlechter, andererseits könne er sich nicht länger mit dem Ablesen der Lippen behelfen. Denn die Alltagsmaske bedeckt vollständig den Mundbereich, die Mimik verschwindet aus den Gesichtern. Wichtig ist ihm: Er hält die Maskenpflicht für notwendig, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen: „Welche Folgen die Masken im Alltag haben können, habe ich erst kurz vor dem Start der Maskenpflicht realisiert.“
Wie sehr die Masken die Lautstärke drosseln, lässt sich in Zahlen darstellen. „Mund-Nasen-Masken dämpfen die Sprache um bis zu zehn Dezibel“, erläutert der Biberacher Hörakustiker Marcus Schmid. Er bezieht sich dabei auf Messungen des Tuttlinger Kollegen, Torsten Saile. Demnach kommen besonders Laute wie „s“oder „z“, „t“oder „k“gedämpft und verschwommen beim Zuhörer an.
„Daher haben wir ein spezielles Maskenprogramm für unsere Hörgeräte entwickelt“, sagt Schmid. Direkt am Hörgerät, per Fernbedienung oder App, können Träger dieses aufrufen: „Vereinfacht gesagt macht das Programm die Sprache hochtöniger.“Voraussetzung für die Einrichtung sei, dass der Kunde fit genug ist, selbstständig in das Programm zu wechseln.
Noch würden wenige Hörakustiker
diese Möglichkeit anbieten, erläutert ein Sprecher der „Fördergemeinschaft Gutes Hören“. Das werde sich aber sukzessive ändern, weil immer mehr Hörakustiker mit dieser Frage konfrontiert seien: „Die Branche diskutiert das Problem vielfach und nach dem Lockdown kommen zunehmend mehr betroffene Kunden in die Geschäfte.“Wie viele Menschen in Deutschland davon betroffen sind, ließe sich schwer sagen: „Die Dunkelziffer
ist sehr hoch.“Denn bevor jemand zu einem Hörgerät greife, versuche er sich erst einmal mit dem Ablesen der Lippen oder mehrmaligem Nachfragen zu behelfen. Die Bundesinnung der Hörakustiker gehe von etwa 5,4 Millionen Menschen mit indizierter Schwerhörigkeit aus, Tendenz steigend. Marcus Schmid – er ist seit 35 Jahren Hörakustiker – weiß aus eigener Erfahrung, dass es in den meisten Fällen auch die Angehörigen sind, denen das schlechte Hören auffällt. „Sie kommen dann mit dem Betroffenen zu uns“, sagt Schmid.
Auch bei ihm im Geschäft gelten strenge Hygieneregeln. Bevor jemand ins Anpassstudio geht, muss er sich die Hände desinfizieren. Weil Schmid den Sicherheitsabstand bei der Anpassung der Hörgeräte nicht immer wahren kann, trägt er zusätzlich zur Maske ein Schutzschild. Und auch die Maske ist etwas anders. Die Stoffmaske enthält Plexiglas vor dem Mund, sodass ihm Kunden von den Lippen ablesen können. Mitglieder des Verbands „Pro Akustik“hätten diese entwickelt, erläutert Schmid. „Ich verteile sie nun bei HNO-Ärzten und der Sprachheilschule. Mit der Maske wird auch wieder ein Lächeln sichtbar.“
Das Programm und die Maske mit Sichtfenster sei für ihn eine Erleichterung, erzählt Christian Strahl. „So kann ich von den Lippen ablesen, wenn mir das Hörgerät für die Anpassung abgenommen wird.“Für ihn funktioniere die Umschaltung ins Maskenprogramm problemlos und er verstehe sein Umfeld dadurch wieder besser. Er hat noch einen Tipp für alle Hörgeräte-Träger parat: Beim Abziehen der Masken sollten sie vorsichtig vorgehen, damit das Hörgerät unbeschadet bleibt und sie es nicht verlieren. Er habe auf dem Wochenmarkt auch schon Menschen gesehen, denen das Hörgerät verrutscht sei, bestätigt Marcus Schmid. Zwei seiner Kunden hätten ihres sogar schon verloren: „Man kann auch auf eine Maske setzen, bei denen der Gummizug am Hinterkopf und nicht hinter den Ohren verläuft.“