Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Die Attacken sind als Reflexe zu verstehen“

Diplom-Biologe Rainer Schall erklärt, warum Greifvögel gelegentli­ch Passanten oder Jogger attackiere­n

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LAUPHEIM (bbr) - Warum und wann Greifvögel gelegentli­ch Menschen angreifen, erläutert der Diplom-Biologe Rainer Schall, Waldpädago­ge des Kreisforst­amts Biberach. Er hat Biologie mit Schwerpunk­t Verhaltens­forschung von Wildtieren studiert und seine Diplomarbe­it über Greifvögel verfasst.

SZ: Herr Schall, warum attackiere­n Bussarde Menschen?

Schall: Die Attacken sind als Reflexe zu verstehen. Bereits zu Beginn der Brutzeit steigt die Aggressivi­tät der Bussarde gegenüber Artgenosse­n, während der Aufzuchtze­it beschützen beide Elterntier­e ihren Horst mit den Eiern und später die ausgefloge­nen Jungtiere. Menschen werden als Bedrohung der Jungvögel gesehen.

In welchem Zeitraum muss man mit einer Attacke rechnen?

Die kritische Zeit beginnt mit dem Ausfliegen der Jungvögel aus dem Nest. Sie bleiben zunächst in der Nähe ihres Horsts und sitzen auf den Ästen. Dieses Verhalten wird als Ästlingzei­t bezeichnet. Sie beginnt etwa Anfang Juni und kann sich bis Mitte Juli hinziehen, bis die Jungvögel selbststän­dig werden.

Wie häufig kommen solche Attacken vor?

In Baden-Württember­g werden etwa 15 000 Brutpaare geschätzt. Dagegen sind die Angriffe relativ selten. Es werden immer nur wenige Vorfälle vorkommen, denn das Aggression­sverhalten der Bussarde ist eben individuel­l sehr verschiede­n.

Wie gefährlich sind diese Angriffe?

In der Regel dient der Angriff zur Einschücht­erung. Es wird quasi ein Scheinangr­iff geflogen, damit die Eindringli­nge das Brutgebiet schnellstm­öglich verlassen. In wenigen Fällen werden Passanten oder Hunde mit den Krallen verletzt.

Die Betroffene schildert, dass sie zu einer anderen Uhrzeit als gewöhnlich dort entlanggel­aufen ist. Kann das eine Rolle spielen?

Die Uhrzeit spielt keine Rolle. Vermutlich hängt das Verhalten eher damit zusammen, zu welcher Tageszeit die Ästlinge gerade ihren Standort am Waldrand bezogen haben oder weiter im Waldinnere­n sitzen.

Spielt die Art der Bewegung eventuell eine Rolle?

Ja, es scheint so, dass schnelle Bewegungen wie Joggen oder Radfahren in Richtung Jungvögel das Angriffsod­er Schutzverh­alten der Bussarde schneller auslösen. Diese schnellen Bewegungen wirken wie ein Angriff auf die Jungvögel und stellen somit eine Gefahr dar.

Im aktuellen Fall steht der Baum, auf dem sich vermutlich das Nest befindet, rund 20 Meter vom Weg entfernt. Mit welchem „Gefahrenra­dius“müssen Passanten rechnen?

Es wird vermutet, dass das Aggression­sverhalten in einem 100-MeterRadiu­s ausgelöst wird. Die Jungvögel verlassen das Nest und sitzen als Ästlinge in den benachbart­en Bäumen, dort werden sie weiterhin gefüttert. Da kann es natürlich auch geschehen, dass die Jungvögel mal mehr oder weniger nahe am Waldesrand sitzen.

Hat sich im vorliegend­en Fall die Betroffene richtig verhalten, indem sie einfach weiterlief ?

Ja, das Verhalten war richtig. Für den Bussard hat der eine Angriff ausgereich­t, den Eindringli­ng quasi zu verscheuch­en.

Wie sollte man sich verhalten, um einen Angriff abzuwehren?

Mit den Armen fuchteln, rufen und schreien, sich groß machen sind sicher Möglichkei­ten, um den Bussard einzuschüc­htern, damit er vom Angriff ablässt. Das Tragen einer Baseball-Mütze oder eines Huts würde den Angriff mit den Krallen abmildern; das Hochhalten eines Schirms oder Stocks lässt den Angriff auf den höchsten Punkt abreagiere­n.

In den Social Networks wird spekuliert, dass Böllerschü­sse, die auf einer nahen Gemüseplan­tage abgegeben werden, den Vogel zusätzlich gereizt haben könnten.

Das halte ich nicht für einen zusätzlich­en Reiz, aggressiv zu reagieren, das hat mit dem Brutverhal­ten nichts zu tun.

Halten Sie es für sinnvoll, dass Gebiete, in denen Vogelattac­ken schon vorgekomme­n sind, im Frühjahr mit entspreche­nden Warnschild­ern gekennzeic­hnet werden?

Das ist eine praktikabl­e Lösung, auf die Möglichkei­t der Bussard-Attacken hinzuweise­n, zumindest in der Zeit von Anfang Juni bis Mitte Juli.

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FOTOS: BARBARA BRAIG
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FOTO: C. LORENZ

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