Schwäbische Zeitung (Biberach)
Ein Glück, wenn’s nicht mehr juckt
Forscher finden für Dermatitis-Patienten immer mehr Therapien, die ohne starke Nebenwirkungen helfen – Moderne Heilpflanzenkunde gibt Anlass zur Hoffnung
Sie ist trocken, rot und juckt bis zur Unerträglichkeit: In der Haut eines Dermatitis-Patienten möchte niemand stecken. Doch für rund zehn Prozent der Kinder und drei Prozent der Erwachsenen gehört das zum Alltag. Ihr Leidensdruck ist hoch, viele sind resigniert, weil ihnen scheinbar nichts helfen kann. Doch wissenschaftliche Studien machen Hoffnung auf neue Therapien – und sie kommen auch aus der Komplementärmedizin.
Es erinnert weniger an den Klinikalltag als an eine Teezeremonie, was da in der Dermatologie-Abteilung der Universität Lübeck geschieht. Denn die Wissenschaftler lassen einen Zwei-Gramm-Beutel mit schwarzem Tee für zehn Minuten in 200 Milliliter heißem Wasser ziehen – und gießen dann dieses Wasser einfach weg. So etwas kennt man eher aus Japan, wo man gerne den ersten Teeaufguss entfernt, um das anregende Koffein „herauszuwaschen“. Doch in Lübeck geht es, wie Iakov Shimanovich betont, „um die Reduktion des Gerbstoffgehalts“. Mit dem Ziel, „den Tee milder und verträglicher zu machen“. Denn der wird in Lübeck nicht etwa verzehrt, sondern in einem getränkten Mulltuch auf die Gesichter von Patienten gelegt, die es gar nicht sanft genug haben können. Sie leiden nämlich unter einer Dermatitis, die auch ihr Gesicht befallen hat.
Also bereiten die Forscher um Shimanovich noch einen zweiten Aufguss zu. Abermals mit 200 Milliliter heißem Wasser, in dem der Teebeutel zehn Minuten zieht. Danach lässt man es auf Raumtemperatur abkühlen, um mit ihm ein Mullstück zu tränken, das für 20 Minuten auf die Gesichter der Patienten gelegt wird. Fünfmal täglich, und immer mit dem gleichen Teeaufguss, der jeweils einUnd mal am Morgen zubereitet wird. 22 Männer und Frauen werden auf diese Weise behandelt. Ihre Werte auf den üblichen Symptom-Skalen für Ekzempatienten gehen daraufhin um zwölf bis 31 Prozent zurück, und das schon nach drei Tagen. „SchwarzteeAuflagen sind offenbar eine ebenso leicht zu handhabende wie preiswerte und schnell wirksame Methode für die Behandlung einer Gesichtsdermatitis“, resümiert Shimanovich. das dürfte auch für andere Hautareale gelten. Allerdings muss man einschränken, dass zwischen den Teeauflagen in Lübeck auch eine Creme zum Einsatz kam, um das Austrocknen der Haut zu verhindern. Ohne diese – von vielen Patienten im Laufe der Zeit als nervtötend empfundenen – Cremes geht es also auch bei dieser Therapie nicht.
Nichtsdestoweniger zeigt sie, dass Mediziner in der Behandlung von Dermatitis mehr denn je bereit sind, auch ungewöhnliche Wege zu gehen. Und das ist auch nötig. Denn nicht nur, dass es immer mehr Patienten mit den juckenden Hautekzemen gibt. Sie werden auch oft mit Corticosteroiden, Calcium-Inhibitoren und anderen Präparaten behandelt, die teilweise schwere Nebenwirkungen haben können. „Es gibt daher nach wie vor einen Bedarf an effektiven und sicheren Therapien“, betont Shimanovich.
Der Tee scheint sich dabei nicht nur in äußerlicher, sondern auch in innerlicher Anwendung anzubieten. An der Universitätshautklinik im japanischen Otsu ließ man knapp 120 Dermatitis-Patienten täglich einen Liter Oolong-Tee trinken, verteilt auf vier Portionen. Bei 63 Prozent der Probanden gingen daraufhin die Hautirritationen zügig zurück, das Jucken ließ ebenfalls nach. Die Forscher vermuten dahinter die Wirkung entzündungshemmender Polyphenole von Oolong, der aus Taiwan stammt, mittlerweile aber auch in Apotheken und Teegeschäften hierzulande erhältlich ist.
Das vom Lakritz bekannte Süßholz bewährte sich sogar schon in Studien an mehreren Hundert Dermatitis-Patienten. Doch die Anwendung erfolgte hier nicht innerlich, sondern in Form einer Creme. An der China Medical University in Shenyang hat man nun herausgefunden, wie Süßholz wirkt. Demnach hemmt es einen körpereigenen Alarmstoff namens HMGB1, der sonst für hektische Aktivitäten im Immunsystem sorgt. Die Heilpflanze beruhigt also die daueraktiven Alarmglocken in der Dermatitiker-Haut, sodass die Immunabwehr keine Eingriffstruppen mehr dorthin schickt.
Was deutlich macht: Die moderne Heilpflanzenkunde blickt mittlerweile auch tief in die biologischen Prozesse der Dermatitis. Aber dies tun natürlich auch die Forscher, die an den sogenannten Biologicals arbeiten. Deswegen kommen auch von dieser Seite aufmunternde Nachrichten. Das Wesen der Biologicals besteht darin, dass sie direkt in die menschliche Physiologie eingreifen und körpereigenen Substanzen so ähnlich sind, dass man trotz starker Wirkung kaum mit Unverträglichkeiten, Allergien oder gar Vergiftungen rechnen muss. Zwei von ihnen erweisen sich derzeit als besondere Hoffnungsträger für die DermatitisTherapie: Etokimab und Dupilumab.
Etokimab stoppt nicht nur allergische Reaktionsketten, die vielen Ekzemen zugrunde liegen. Sondern es verhindert auch, dass die Granulozyten,
also die den Juckreiz auslösenden „Fußsoldaten“der Immunabwehr, in die Haut vordringen können. Für die Patienten kann das ein Segen sein. Denn sie bekommen ihre Krankheitsschübe oft auch ohne allergische Reaktionen, nämlich dadurch, dass sie sich wegen ihrer Juckattacken immer wieder kratzen. Das Problem ist jedoch bislang, dass Etokimab in klinischen Studien bisher nicht so eindeutig abgeschnitten hat, wie es sein Wirkmechanismus nahelegt. Die Zulassung wird also noch auf sich warten lassen.
Da ist Dupilumab schon weiter. In Europa wurde es 2017 für Erwachsene und letztes Jahr auch für 12- bis 17jährige Jugendliche zugelassen. Seine Besonderheit besteht darin, mit der Blockade eines einzigen Rezeptors gleich zwei Botenstoffe auszuschalten, die bei Hautekzemen eine zentrale Rolle übernehmen. Dupilumab hilft auch bei sehr schweren Fällen der Erkrankung. Es muss allerdings immer wieder injiziert werden – und kostet über 20 000 Euro pro Jahr. Da sind Teebeutel schon deutlich preiswerter zu bekommen.