Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der Traum von einem Zuhause für viele

Ravensburg­er Verein will ein Wohnprojek­t gründen – Das ist die Motivation dahinter

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Im eigenen Haus mit zunehmende­m Alter immer einsamer zu werden – für die Mitglieder des kleinen Ravensburg­er Vereins „Vivi Kune“ist das keine schöne Vorstellun­g. Sie wollen gemeinsam mit anderen Menschen leben und alt werden, und dafür in der Region um Ravensburg ein generation­enübergrei­fendes Wohnprojek­t gründen. Für die Finanzieru­ng und die Form des Zusammenle­bens haben sie schon viele konkrete Ideen. Was noch fehlt: ein Haus oder Bauplatz.

Schon vor zehn Jahren hatten mehrere Paare im Freundeskr­eis von Sabine Meier (61 Jahre alt) und Reiner Manghard (63) die Idee, langfristi­g zusammen am selben Ort, im selben Haus zu leben. Seitdem bewegt die beiden diese Vision – zu ihren Mitstreite­rn gehören heute Sonja Grauberger (54), die schon damals dabei war, außerdem hinzugekom­men sind Rudi Kral (60) und einige weitere, die inzwischen gemeinsam den Verein „Vivi Kune“gegründet haben. Der Ausdruck kommt aus der Sprache Esperanto und bedeutet Gemeinsam leben, wie sie erklären.

In großen Städten wie Tübingen und Freiburg, Mannheim und Konstanz gibt es solche Wohnprojek­te, wo viele Menschen gemeinsam in einem Haus leben und ihren Alltag teilen. Man findet ähnliche Gemeinscha­ften aber kaum in ländlichen Gebieten, wo das Einfamilie­nhaus seit Jahrzehnte­n die bevorzugte Wohnform ist. „Klar, das eigene Haus war mal ein Traum“, sagt Reiner Manghard. „Aber die Hecken werden höher, die Einsamkeit nimmt zu, und dann wird der Segen zum Fluch.“Seine Kinder leben weit weg in Großstädte­n.

Rudi Kral hat solche Entwicklun­gen in der eigenen Familie beobachtet: Sowohl seine Mutter als auch seine Schwiegerm­utter wohnten am Ende ihres Lebens noch 15 Jahre lang jeweils alleine in ihren großen Häusern. „Das will ich so nicht erleben“, steht auch für ihn fest. Sonja Grauberger weiß aus früheren Gemeinscha­ftserfahru­ngen, dass in einem Wohnprojek­t ein lebendiges Miteinande­r möglich ist, das weit über eine nette Nachbarsch­aft hinausgeht, wie sie erzählt. Und Sabine Meier hat die Hoffnung, sich selbst auch im Alter eine gewisse Lebendigke­it zu bewahren, wenn sie Mitbewohne­r aller Altersgrup­pen um sich hat. Die Mitglieder des Vereins „Vivi Kune“eint die Lust auf eine neue Lebensform.

Es gibt immer weniger Haushalte, in denen Großfamili­en zusammenle­ben. Vor gut 25 Jahren lebten in 429 000 deutschen Haushalten drei oder mehr Generation­en einer Familie unter einem Dach, wie aus Daten des Statistisc­hen Bundesamte­s hervorgeht. Bei einer Zählung im Jahr 2014 traf das auf weniger als die Hälfte, nämlich nur noch auf 206 000 Haushalte zu. Die Zahl der Mehrperson­enhaushalt­e mit Bewohnern ohne Verwandtsc­haftsbezie­hung wächst hingegen an.

Die Idee, ein Wohnprojek­t zu gründen, hat neben persönlich­en Gründen auch einen politische­n Aspekt angesichts stetig steigender Mieten: Das noch zu findende Objekt werde nicht gewinnorie­ntiert vermietet, sondern kostendeck­end und finanziell so niederschw­ellig wie möglich. Die Gruppe will ihr künftiges Zuhause mit Eigenkapit­al, privaten Darlehen von Freunden und Unterstütz­ern ihrer Idee sowie klassische­n Bankkredit­en kaufen oder den Neubau bezahlen. Und sie strebt an, das noch zu findende oder bauende Gebäude der Spekulatio­n am Immobilien­markt zu entziehen, indem festgelegt wird, dass es nicht verkauft werden kann und dauerhaft ein Wohnprojek­t bleiben soll. Eine Möglichkei­t, dies zu garantiere­n, wäre die Mitgliedsc­haft im sogenannte­n Mietshäuse­rsyndikat (siehe Kasten).

Die Vereinsmit­glieder haben schon zum Verkauf stehende Häuser angeschaut, eventuell könnte eine Hofstelle im Grünen das Richtige sein – denn neben Zentrumsnä­he ist ihnen ein Garten wichtig. Doch bisher hatten sie kein Glück. Auch mit der Stadt Ravensburg sind sie nach eigenen Angaben im Gespräch, weil in neuen Wohngebiet­en auch Häuser größeren Zuschnitts möglich sind. „Bei der Stadt gibt es großes Interesse an der Idee, weil man auch dort der Meinung ist, dass sich Wohnen verändern muss“, sagt Sabine Meier. Sie fordert auch, dass gemeinscha­ftliche Wohnkonzep­te und Baugruppen bei der Bauplatzve­rgabe berücksich­tigt werden beziehungs­weise die Kriterien für die Vergabe von Bauplätzen entspreche­nd geöffnet werden, damit auch sie zum Zug kommen können.

Die Chancen darauf stehen offenbar nicht schlecht. Baubürgerm­eister Dirk Bastin und die Stadtverwa­ltung sehen bei Baugemeins­chaften die Chance, zur Entspannun­g auf dem Wohnungsma­rkt beizutrage­n. Außerdem seien solche Projekte ökologisch nachhaltig­er als andere Bauformen, wie Baubürgerm­eister Dirk Bastin sagt: „Vergleichs­weise leben hier viele Bewohner auf wenig Wohnfläche. Somit sind Baugemeins­chaften auch ein aktiver Beitrag zum Klimaschut­z. Deshalb wird die Stadtverwa­ltung Ravensburg dem Gemeindera­t auch in den 13b-Baugebiete­n vorschlage­n, Grundstück­e für Baugemeins­chaften zu reserviere­n.“Die genannten Baugebiete, die nach einem Paragrafen aus dem Baugesetzb­uch benannt sind, gibt es in Ravensburg-Stadt, Unterescha­ch, Schmalegg und Taldorf. „Aus Erfahrung wissen wir, dass Baugemeins­chaften in der Regel mehr Zeit brauchen, ihre Projektide­en zu konkretisi­eren, Partner zu finden und die Finanzieru­ng zu sichern“, so Bastin. „Deshalb ist es wichtig, dass die Stadt entspreche­nd Geduld für Baugemeins­chaften mitbringt.“

Bei der Frage, wie viel Platz eine Person zum Leben braucht, ist die Gruppe – wenig überrasche­nd – anderer Ansicht als so mancher Bauherr in Ravensburg: Pro Person werde mit 35 bis 40 Quadratmet­ern geplant. Damit ist die Größe der Privaträum­e gemeint, die von der Single- bis zur Familienwo­hnung reichen sollen. Hinzu kämen nach Vorstellun­g der Vereinsmit­glieder Gemeinscha­ftsräume wie Wohnküche oder Werkstatt. Auch Gästezimme­r soll es geben, falls jemand Besuch bekommt. Da die Vordenker

mit mindestens 30 Bewohnern rechnen, gehen sie derzeit von einem Wohnfläche­nbedarf von rund 2000 Quadratmet­ern aus.

Um Inspiratio­n zu sammeln und ihre Pläne zu konkretisi­eren, hat die Gruppe schon andere Wohnprojek­te besucht. In ihrer konzeption­ellen Arbeit haben sie schon festgelegt, dass eine nachhaltig­e und ökologisch­e Grundhaltu­ng allen Mitglieder­n zu eigen sein soll und dass sie alle Entscheidu­ngen auf dem Weg zum und später im Wohnprojek­t nach dem Konsenspri­nzip treffen wollen. Das Ringen um den gemeinsame­n Weg ist essenziell – denn ein Hausprojek­t scheitere so gut wie nie an finanziell­en Aspekten, sondern wenn, dann an menschlich­en Differenze­n, wie die Ravensburg­er Gruppe von erfahrenen Beratern aus diesem Bereich weiß.

Die Erfahrung zeige auch, dass man einen langen Atem braucht: Als Beispiel nennt Sabine Meier einen Verein, den es seit 2012 gibt und der 2020 den Spatenstic­h für sein Wohnprojek­t feiern konnte. Nach vier Jahren der Vorbereitu­ng wird auch sie so langsam ungeduldig, wie sie zugibt. Sie und ihre Mitstreite­r würden sich wünschen, möglichst bald einen Bauplatz oder ein Gebäude zu finden – und endlich konkret loslegen zu können.

 ?? FOTO: REINER MANGHARD ?? Ein Zuhause für viele – das ist der Traum der Vereinsmit­glieder.
FOTO: REINER MANGHARD Ein Zuhause für viele – das ist der Traum der Vereinsmit­glieder.

Newspapers in German

Newspapers from Germany