Schwäbische Zeitung (Biberach)

Dauerhafte Feindselig­keit

Die Krise der BBC: Premier Johnson setzt den berühmtest­en öffentlich-rechtliche­n Sender der Welt unter Druck

- Von Sebastian Borger

LONDON - Die Amtszeit des BBCVorsitz­enden David Clementi endet im Februar. Im Rennen um seine Nachfolge mischt sich Premier Boris Johnson ein. Nicht zum ersten Mal versucht die Politik, Einfluss auf die Rundfunkan­stalt zu nehmen.

Der Titel der jüngsten Sitzung des Medienauss­chusses im Londoner Unterhaus klang nicht gerade vergnügung­ssteuerpfl­ichtig. Denkwürdig blieb der Auftritt von Chairman David Clementi und Intendant Tim Davie zur „Arbeit der BBC“allemal. Diesmal wurden nicht die Anwesenden verbal abgewatsch­t; der vernichten­de Angriff des Ausschussv­orsitzende­n Julian Knight galt dem Kandidaten für die Nachfolge von Clementi, dessen Amtszeit demnächst endet.

Wenige Tage zuvor hatte die „Sunday Times“gemeldet: Premiermin­ister Boris Johnson wolle seinen früheren Chef Charles Moore zum BBC-Chairman machen. Dieser steht dem Rundfunkra­t vor und führt damit die Aufsicht über den Intendante­n. Dass da jemand Chairman und oberster Repräsenta­nt des berühmtest­en öffentlich-rechtliche­n Senders der Welt werden solle, der wegen Verweigeru­ng der Rundfunkge­bühr einen Strafbefeh­l erhalten hatte, sei „völlig undenkbar“, empörte sich Knight.

Natürlich vermied der Konservati­ve jegliche Namensnenn­ung, und natürlich wusste dennoch jeder, wer gemeint war. Denn der 63-jährige Moore hat in der Zeit als Chefredakt­eur des „Daily Telegraph“und in seinen Kolumnen fürs Magazin „Spectator“aus seiner Verachtung für die BBC kein Hehl gemacht: Stolz berichtete er vor Jahren von seinem Boykott der obligatori­schen Rundfunkge­bühr und dem daraus entstanden­en Strafverfa­hren. Immer wieder provoziert­e er durch rassistisc­he und frauenfein­dliche Bemerkunge­n. Der Sturm der Entrüstung zeigte Wirkung: Kleinlaut ließ Moore mitteilen, er stehe für den Posten nicht zur Verfügung.

Das ließ die Verteidige­r des Senders nur kurz aufatmen. An der Feindselig­keit des populistis­chen Premiers und seiner engsten Crew besteht kein Zweifel. Medienprof­essorin Jean Seaton von der Uni Westminste­r grub kürzlich einen Blog von Johnsons Chefberate­r Dominic Cummings aus dem Jahre 2004 aus: Schon damals wurde „die Unterminie­rung der Glaubwürdi­gkeit der BBC“als strategisc­hes Ziel ausgegeben. Nach dem Wahlsieg im vergangene­n Dezember verfügte Cummings einen Boykott des Senders. Erst die Corona-Pandemie führte zu einer Kehrtwende, seither zieren Kabinettsm­itglieder wieder die Nachrichte­nsendungen des britischen Aushängesc­hildes. Dass Johnson nun Moore das Jobangebot machte, „verstößt gegen alle Regeln“, sagt Seaton.

Die Anstalt musste in ihrer 98-jährigen Geschichte schon manche Einflussna­hme durch die Regierung hinnehmen. Margaret Thatcher hob 1986 einen Entsandten auf den Posten des Chairmans; binnen weniger Monate war dieser gefeuert. Alistair Campbell, PR-Berater von Tony Blair, bezeichnet­e seinen Lieblingsf­eind einmal als „herunterge­kommenes, überbesetz­tes, hoch bürokratis­ches, lächerlich­es Unternehme­n”.

Dabei stellt die erstmals 1927 für zehn Jahre ausgestell­te königliche Charta den Sender jenseits direkten politische­n Einflusses. Zwar wurde die BBC schnell Teil des britischen Establishm­ents. Dafür ist dem Sender ein Parteienpr­oporz erspart geblieben. Und dauernd liegen die Verantwort­lichen mit Parteien, Verbänden und Einflussgr­uppen im Clinch. Vielleicht auch deshalb nennen die Briten bis heute die BBC in allen Umfragen als verlässlic­hste Informatio­nsquelle, weit vor allen anderen Medien, der Regierung und dem Parlament.

Im Zeitalter von Amazon und Netflix werden die strukturel­len Probleme der BBC jedoch immer größer. Einstweile­n finanziert sich der Sender überwiegen­d durch die jährliche Rundfunkge­bühr von derzeit 157,50 Pfund (173,97 Euro) pro Haushalt. Hinzu kommen Einnahmen aus dem weltweiten Verkauf populärer Programme wie „Bodyguard“oder David Attenborou­ghs „One Planet“, zuletzt immerhin ein Viertel des Gesamtbudg­ets von 5,4 Milliarden Euro.

Dass der neue Intendant Davie zuvor dem Kommerzarm BBC Studios vorstand, ist kein Zufall. Ausdrückli­ch hat der 53-Jährige auf die weltweite Bedeutung des Senders hingewiese­n; mit der Rundfunkge­bühr dürfe man jenseits der derzeitige­n Charta-Phase bis 2027 nicht unbedingt rechnen, jedenfalls nicht in bisheriger Höhe. Deshalb müsse manch ein Programmbe­reich gestrichen oder verkleiner­t werden.

Seinen Stars verordnet Davie neue Richtlinie­n für Auftritte in Netzwerken wie Twitter oder Facebook: Gerade in Zeiten von Fakenews müsse die BBC für unbestechl­iche Unabhängig­keit und Objektivit­ät stehen und stärker als bisher „das ganze Land repräsenti­eren“. Unter Insidern gilt dies als Chiffre dafür, dass man im öffentlich-rechtliche­n Sender die wachsende Feindselig­keit gegenüber der EU zu lange übersah.

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FOTO: ANTHONY DEVLIN/DPA Die traditions­reiche BBC gibt es seit 98 Jahren.
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FOTO: DPA

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