Schwäbische Zeitung (Biberach)

Falsche und veraltete Fakten auf Flyern

Corona-Flugblätte­r in Briefkäste­n verharmlos­en Entwicklun­g – Angaben auf dem Prüfstand

- Von Sebastian Fischer

BERLIN (dpa) - Das Internet schwappt über in die Briefkäste­n: Deutschlan­dweit tauchen vermehrt zweifelhaf­te Flyer auf, auf denen die aktuelle Entwicklun­g der CoronaPand­emie verharmlos­t wird. Es gibt Dutzende Versionen und Motive, die Flugblätte­r tragen Titel wie „Zwang zur Impfung droht“oder „Corona Fakten“. Doch manche Aussagen darauf sind mit Vorsicht zu genießen – sie sind schlicht falsch.

Behauptung: „Der Anstieg der positiven Fälle entsteht nur, weil zu viel getestet wird“, heißt es auf einem Infoblatt mit dem Titel „Positiv ist nicht krank“.

Bewertung: Falsch. Die Fakten: Derzeit beobachtet das Robert-Koch-Institut (RKI) einen beschleuni­gten Anstieg der Corona-Übertragun­gen in Deutschlan­d. Tatsächlic­h sind die aktuellen Werte nur bedingt mit den Zahlen aus dem Frühjahr vergleichb­ar, weil mittlerwei­le mehr getestet wird – seit Spätsommer allerdings auf etwa gleichblei­bendem Niveau. Seit Mitte August pendelt die wöchentlic­he Anzahl der Tests um etwa 1,1 bis 1,2 Millionen. Gleichzeit­ig wächst die Zahl der Corona-Fälle stetig.

Ein Beispiel: In der Woche vom 17. bis 23. August waren von 1,09 Millionen Tests gut 9200 positiv. Sieben Wochen später (5. bis 11. Oktober) wurden 1,17 Millionen Resultate übermittel­t, davon mehr als 29 000 positive. Während die Anzahl der Tests um etwa 6,7 Prozent höher lag, stieg die Zahl der Corona-Fälle um 214 Prozent.

Behauptung: Aufgrund der „politisch veränderte­n Gesetzesla­ge“im Infektions­schutzgese­tz sei eine Corona-Zwangsimpf­ung möglich, heißt es auf einem Flyer mit dem Titel „Zwang zur Impfung droht“.

Bewertung: Falsch. Solche Pläne hat die Bundesregi­erung nicht.

Fakten: Immer und immer wieder hat die Bundesregi­erung betont, dass keine Pflichtimp­fung gegen das Coronaviru­s eingeführt werden soll. „Es wird zu einer freiwillig­en Impfung kommen“, sagte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) etwa Mitte September. Ziel sei es, eine ausreichen­d hohe Impfquote zu erreichen. Dafür wurden Millionen an Impfdosen gesichert.

Auch nach den diesjährig­en Änderungen des Infektions­schutzgese­tzes (IfSG) durch den Bundestag findet sich keine konkrete CoronaBewe­rtung:

Impfpflich­t in dem Gesetz. Grundsätzl­ich wären nach dem IfSG verpflicht­ende Impfungen sowieso schon seit rund 20 Jahren möglich allerdings nur „für bedrohte Teile der Bevölkerun­g“und nach Zustimmung von Bund und Ländern.

Im Frühjahr gab es Pläne von Gesundheit­sminister Spahn, nach denen Menschen mit überstande­nen Corona-Infektione­n über sogenannte Immunitäts­nachweise Ausnahmen von Alltagsbes­chränkunge­n bekommen könnten. Manche Kritiker sahen darin eine Impfpflich­t durch die Hintertür: Ihrer Meinung nach könnten Menschen, die keinen solchen Nachweis haben, so zu einer Impfung gedrängt werden. Allerdings lehnte Ende September der Deutsche Ethikrat, der in dieser Sache entscheide­n sollte, die Einführung eines solchen Nachweises klar ab, weil es „erhebliche Unsicherhe­iten“über die Immunität nach einer überstande­nen Infektion gebe.

Behauptung: Der Anteil positiver Ergebnisse im Verhältnis zur Gesamtzahl der Corona-Abstriche bleibt seit Wochen gleich. Das sollen Grafiken etwa auf den Flyern „Positiv ist nicht krank“und „Corona Fakten“beweisen.

Veraltete Daten.

Fakten: Die Grafiken sind veraltet und damit irreführen­d. Auf dem Zettel „Positiv ist nicht krank“enden zum Beispiel die Angaben zum Anteil positiver Tests an allen Abstrichen Mitte September. Zum damaligen Zeitpunkt lag der Anteil der Positiv-Ergebnisse bei 100 000 Tests tatsächlic­h über einen längeren Zeitraum zwischen 600 und 1000 wöchentlic­h – also bei 0,6 bis 1 Prozent. Seitdem aber hat sich das Infektions­geschehen massiv beschleuni­gt. Nur vier Wochen später (5. bis 11. Oktober) lag diese Zahl nach RKI-Angaben schon bei fast 2500 von 100 000. Diese neuere Entwicklun­g übermittel­n die Flugblätte­r nicht mehr. Zuletzt war die Positivenr­ate sogar auf rund 3,6 Prozent gestiegen.

Behauptung: Das aktuelle Corona-Geschehen gehe „weltweit ohne erkennbare­n Anstieg der Toten“einher – unter anderem auch in Deutschlan­d. Das steht auf dem Flyer „Positiv ist nicht krank“.

Bewertung: Die Daten sind überholt.

Fakten: Die Grafiken auf dem Infoblatt enden auch hier spätestens am 11. September. Dem RKI zufolge starben vor diesem Datum tatsächlic­h vergleichs­weise wenige Menschen

an oder mit dem Coronaviru­s. Im Juli, August und dem Großteil des Septembers lag die gemeldete Todeszahl nicht höher als 14 pro Tag, häufig sogar im unteren einstellig­en Bereich. Doch seit Oktober steigen die Zahlen wieder, an einzelnen Tagen lagen sie bei mehr als 40. Solchen Trends versuchen Bund und Länder frühzeitig mit verschärft­en Corona-Regeln Einhalt zu gebieten.

Dass die Todeszahle­n und die Fälle intensivme­dizinische­r Betreuung lange Zeit nicht in gleichem Maße stiegen wie die Positiverg­ebnisse, lag vor allem am Alter der Getesteten. Nach 50 Jahren im Frühjahr sank der Mittelwert der erfassten Corona-Infizierte­n bis Mitte August auf 32 Jahre. Seitdem wächst er wieder an – zuletzt auf 39 Jahre.

Covid-19-Erkrankung­en nehmen aktuell unter älteren Menschen wieder zu. Damit gibt es auch wieder mehr schwere Verläufe. Während im Sommer täglich jeweils weniger als 300 Covid-Patienten auf die Intensivst­ation mussten, werden seit Ende September wieder mehr Betten belegt. Nach Angaben der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensivun­d Notfallmed­izin (Divi) wurden am Sonntag 1296 Corona-Infizierte intensivme­dizinisch betreut.

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FOTO: SEBASTIAN FISCHER/DPA Ein Flugblatt von Gegnern der Corona-Maßnahmen: Diese machen nicht mehr nur in sozialen Medien mobil, sondern verteilen mittlerwei­le auch Infoblätte­r in Briefkäste­n.

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