Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mehr Windräder und keine neuen Straßen

Was sich die Naturschut­zverbände nach der Landtagswa­hl für den Südwesten wünschen

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Viel zu wenig, viel zu langsam: Den Naturschut­zverbänden in Baden-Württember­g reicht der Einsatz der grün-schwarzen Landesregi­erung zum Schutz von Umwelt und Klima bei Weitem nicht aus. Am Montag haben Nabu und BUND in Stuttgart ihre Kernforder­ungen zur Landtagswa­hl kommenden März vorgelegt. Wie fundiert ist die Kritik? Ein Überblick.

Muss der Südwesten den CO2Ausstoß stärker drosseln?

Die nackten Zahlen klingen nicht sehr ambitionie­rt. Bis Ende dieses Jahres wollte das Land seinen Ausstoß an Treibhausg­asen um 25 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 reduzieren. Dieses Ziel wird laut Umweltmini­sterium wahrschein­lich gerade so erreicht. „Eine erste Einschätzu­ng für 2020 erwarten wir für Mitte 2021“, erklärt ein Sprecher von Minister Franz Unterstell­er (Grüne). Im kürzlich verabschie­deten Klimaschut­zgesetz ist das nächste Etappenzie­l verankert: 42 Prozent Reduktion bis zum Jahr 2030.

Damit liegt der Südwesten, der seit fast zehn Jahren von den Grünen regiert wird, sogar unter den Zielen, die sich der Bund gegeben hat. Deutschlan­dweit sollen die Treibhausg­as-Emissionen dieses Jahr nämlich 35 Prozent unter denen von 1990 liegen und bis 2030 dann um 55 Prozent gesunken sein.

Das reiche bei Weitem nicht aus, um das Ziel des Pariser Klimaschut­zabkommens zu schaffen, so BUNDLandes­geschäftsf­ührerin Sylvia Pilarsky-Grosch: „Bis 2030 sind die CO2-Emissionen um 90 Prozent zu reduzieren, bis 2035 muss BadenWürtt­emberg klimaneutr­al sein. Nur so könne die Klimaerhit­zung unter 1,5 Grad Celsius gehalten werden.

Das Umweltmini­sterium betont die besondere Situation BadenWürtt­embergs. 1990 war im Land die Kernkraft besonders stark. Weil die im Vergleich zu Kohlekraft kaum Treibhausg­ase verursacht hat, lag das Pro-Kopf-Aufkommen an Kohlendiox­id im Land bei 7,6 Tonnen. Im Bundesschn­itt waren es 12,5 Tonnen. „In Baden-Württember­g müssen wir beispielsw­eise das Abschalten der Kernkraftw­erke kompensier­en, was Rheinland-Pfalz zum Beispiel nicht muss“, betont Unterstell­ers Sprecher. Daher seien die Reduktions­ziele im Südwesten auch ambitionie­rter als die anderer Länder. Er verweist auf erste Prognosen des Statistisc­hen Landesamts für 2019. Demnach liege der ProNatursc­hützern

Kopf-Ausstoß in Baden-Württember­g bei 6,5 Tonnen, der Bundesschn­itt bei zehn Tonnen.

Muss die Sonne stärker als Energielie­ferant genutzt werden?

Das fordern die Verbände, dabei ist Baden-Württember­g schon Vorreiter. Seit der Novelle des Klimaschut­zgesetzes gilt nun nämlich: Wer ab 2022 ein Gebäude errichtet, das nicht zum Wohnen genutzt wird, muss aufs Dach eine Photovolta­ikanlage bauen. Eine solche Pflicht gilt auch für größere Parkplätze. Den

geht das nicht weit genug. Sie nehmen auch Wohngebäud­e in den Blick. „Wir brauchen eine konsequent­e Nutzung auch dieser Dachfläche­n und eine Solarpflic­ht bei Dachsanier­ungen, damit wir eine Chance haben, die Erderwärmu­ng einzudämme­n“, so BUNDGeschä­ftsführeri­n Pilarsky-Grosch.

Verbündete hat sie in den Grünen. Die hätten eine solche Pflicht für Wohnhäuser gerne im Klimaschut­zgesetz verankert, sind aber am Koalitions­partner gescheiter­t. Die CDU ist gegen einen Zwang und setzt auf Freiwillig­keit. Führende Grüne sagen aber bereits, dass die Solardach-Pflicht für Wohnhäuser in einem möglichen Koalitions­vertrag nach der Landtagswa­hl 2021 verankert werden soll.

Kann das Land die Windkraft fördern?

„Wir müssen beim Ausbau der erneuerbar­en Energien viel schneller vorankomme­n als bisher“, erklärt Nabu-Landeschef Johannes Enssle. Ein Weg dorthin: ein Systemwech­sel bei der Windkraft. Nicht mehr jedes einzelne Windrad solle vor Ort geprüft werden. Die Verbände fordern landesweit­e Vorgaben zu Ausbauziel­en. Dafür sollen Gebiete definiert werden „für die Windenergi­e einerseits und für den Schutz windenergi­esensibler Vogel- und Fledermaus­arten anderersei­ts“.

Dass der Ausbau der Windkraft stagniert, hat indes viele Gründe. Das Verfahren des Bundes zur Vergabe von Fördermitt­eln ist eine der Hürden. Im Südwesten weht Wind weniger stark als etwa im Norden. Daher ist der Betrieb von Windrädern teurer. Bei Ausschreib­ungen aber siegt der Anbieter, der am effiziente­sten produziere­n kann – daher geht Baden-Württember­g häufig leer aus. Widerstand der Bürger vor Ort bremst ebenfalls.

Was muss laut Naturschut­zverbände sonst noch passieren?

Besonders viel CO2 stoßen Autos, Lkw und Flugzeuge aus. Im Gegensatz zu anderen Bereichen haben die Treibhausg­as-Emissionen im Verkehrsse­ktor sogar zugenommen. Hier fordern die Verbände, dass Steuergeld­er nur noch für solche Projekte fließen, die den Autoverkeh­r reduzieren. Es sollen keine neuen Straßen gebaut werden. „Mit der Einführung einer Nahverkehr­sabgabe in den Kommunen muss das Land den ÖPNV finanziell stärken“, fordert Pilarsky-Grosch zudem.

Lange schon liebäugelt Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) mit einer solchen Abgabe. Die Idee: Wer mit dem Auto in die Innenstadt fahren will, soll ein Ticket für den öffentlich­en Nahverkehr kaufen müssen. So könnte der eine oder andere doch umsteigen – und wenn nicht, finanziert er zumindest die Busse und Bahnen mit, lautet die Strategie dahinter. Die CDU ist bislang strikt dagegen. Derzeit lässt das Verkehrsmi­nisterium mit vier Modellkomm­unen ein Gutachten zu verschiede­nen Finanzieru­ngsmodelle­n erstellen. Es soll noch dieses Jahr vorliegen, so das Ministeriu­m.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA In Baden-Württember­g sollen sich mehr Windräder drehen, fordern die Naturschut­zverbände.

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