Schwäbische Zeitung (Biberach)
Corona wirbelt CDU-Pläne durcheinander
Vor dem Superwahljahr 2021 bleiben nach der Verschiebung der Chef-Kür zentrale Fragen offen
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BERLIN (dpa) - Die Lage für die CDU ist gefährlich, nicht einmal ein Jahr vor der Bundestagswahl. Die Vorsitzendenfrage absehbar wohl bis ins Frühjahr ungelöst, von einer Entscheidung über die Kanzlerkandidatur der Union ganz zu schweigen. Gut möglich, dass der interne Kampf zwischen Friedrich Merz und Armin Laschet um den Parteivorsitz mit dem Beschluss des CDU-Vorstands vom Montag, den von vielen in der Partei so dringend herbeigesehnten Wahlparteitag ins nächste Jahr zu verschieben, nun richtig an Schärfe gewinnt.
Die Gefahr nimmt zu, dass die Partei zerstritten ins Superwahljahr 2021 zieht – das dürfte in der Geschichte der CDU ziemlich einmalig sein. Dass die massiv gestiegenen Corona-Infektionszahlen bis zur letzten regulären Vorstandssitzung in diesem Jahr am 14. Dezember soweit zurückgehen, dass dann schon ein Beschluss für einen Präsenzparteitag am 16. Januar fallen kann, glaubt kaum jemand in der CDU-Spitze. Das dürfte auch ExFraktionschef Merz klar sein.
Die Junge Union und die Mittelstandsvereinigung – eher auf Seiten von Merz – verhandelten in den Beschluss hinein, dass der 14. Dezember in einer Art Stufenplan zum nächsten Parteitag doch noch eine größere Rolle spielen soll. Aber das gilt eben nur, falls sich die Corona-Lage entspannt. Diese Hintertür hat sich der Vorstand offengelassen – wohl auch als Zeichen des Entgegenkommens an Merz und seine Anhänger.
Die Konsequenz – Verschiebung voraussichtlich bis ins Frühjahr – wird von manchen als Erfolg von NRW-Ministerpräsident Laschet gegenüber Merz gewertet. CDU-Vize Laschet hatte am Wochenende wissen lassen, er sei wegen Corona für eine Verschiebung des Parteitags. Als Ministerpräsident könne er nicht größere Veranstaltungen verbieten, während die CDU mit 1001 Delegierten zusammenkomme. Merz dagegen kämpfte bis zuletzt um eine Klärung der Führungsfrage noch 2020. In der Partei heißt es, der Sauerländer habe unbedingt die für ihn derzeit guten Umfragewerte nutzen wollen.
Dass sich in den nächsten Monaten der Ton zwischen Merz und Laschet verschärfen dürfte, ist schon am Montagmorgen zu erkennen, da tagt der Vorstand noch gar nicht. Im ARD-„Morgenmagazin“holt Merz zur Attacke aus. Er merke seit Wochen: Es gebe „beachtliche Teile des Partei-Establishments, die verhindern wollen, dass ich Parteivorsitzender werde“. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak müht sich später, den Zoff nicht weiter eskalieren zu lassen – er könne die Argumente aller Seiten gut verstehen, versichert er.
Zerlegt sich die CDU nun also in den nächsten vermeintlich führungslosen Monaten? Das wäre ein Desaster für die CDU – gerade angesichts der Umfragewerte, die die Union mit weitem Abstand vor den anderen Parteien sehen. Oder siegt am Ende doch noch der bei der CDU geradezu sprichwörtliche Wille zur Macht? Und Merz und Laschet unterdrücken trotz aller Gegensätze die Emotionen – und halten an ihrem bislang weitgehend sachlichen Zweikampf fest? Wohl wissend, dass die CDU sich eine Spaltung wie nach dem Sieg von Annegret
Kramp-Karrenbauer 2018 über Merz nicht leisten kann. Bei der Entscheidung vom Montag könnten bei einigen in der CDU-Spitze allerdings auch ganz andere taktische Überlegungen eine Rolle gespielt haben – und die haben letztlich mit dem Bundestagswahlkampf zu tun. Denn einigen sich die Fraktionen im Bundestag nicht rasch auf eine Änderung des Parteiengesetzes, die wie von der CDU angepeilt eine virtuelle Abstimmung auch über den Parteivorsitz erlauben würde, wäre auch ein virtueller Wahlparteitag mit Online-Abstimmung
über den neuen Vorsitzenden perdu. Dass sich die Fraktionen demnächst einigen, gilt auch in der Union als unwahrscheinlich.
Dann bliebe bei einer auch im kommenden Jahr anhaltenden dramatischen Corona-Lage wohl nur der quälende Prozess einer Briefwahl übrig. Ziemiak sagt, in diesem Fall brauche man etwa 70 Tage, einen neuen Vorsitzenden und einen kompletten Vorstand zu bestimmen. Zweieinhalb Monate Selbstbeschäftigung direkt zu Beginn des Wahljahres – das will in der CDU eigentlich niemand.
Würde der CDU-Vorstand erst bei seiner Jahresauftaktklausur am 15. und 16. Januar über das weitere Vorgehen entscheiden und ein Verfahren mit digitaler Kandidatenvorstellung und anschließender Briefwahl starten, könnte die CDU wohl erst nach den wichtigen Landtagswahlen am 14. März in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz einen neuen Vorsitzenden haben. Dann müsste – so könnte eine Kalkulation sein – der neue Vorsitzende wenigstens nicht mögliche Niederlagen als Ballast in den Bundestagswahlkampf nehmen.