Schwäbische Zeitung (Biberach)

So funktionie­rt Reiten als Therapie

Zwei Kirchberge­rinnen bieten die Therapie an – Deshalb sind sie von ihr überzeugt

- Von Sybille Glatz

KIRCHBERG - Der fünfjährig­e Liam ist konzentrie­rt bei der Sache. Er sitzt auf dem Pony Fips, das von Carolina Natter-Büchele geführt wird. Auf dem Kopf hat er einen Reithelm, sein Rücken ist mit einem Rückenprot­ektor geschützt. Das Pony bewegt sich langsam im Schritttem­po in der Reithalle vorwärts. Neben dem Pony geht Maria Büchele. „So, jetzt sagen wir hallo zu den Ohren“, sagt Büchele zu Liam. Der Junge greift sich daraufhin an die Ohren. „Und jetzt sagen wir hallo zu den Füßen“, meint Büchele. Liam beugt sich nach unten und greift sich an die Füße. Nachdem weitere Körperteil­e auf diese Art begrüßt worden sind, beginnt die Geschichte.

Mit vielen Details erzählt Büchele, wie Liam mit seiner Familie zum Urlaub ans Meer fährt. Die Geschichte ist mit Bewegungen verbunden, die Liam auf dem Pony macht. Er beugt sich nach vorne, um Sonnencrem­e in den Koffer einzupacke­n, und schnallt sich für die Autofahrt an. Das Pony trabt, als das Auto auf der Autobahn fährt, und läuft langsam im Stau. „Am Meer ist schon die Mama und wartet“, sagt Büchele. „Komm, wir winken deiner Mama zu.“Liam winkt daraufhin vom Pony aus seiner Mutter zu, die am Rand der Reithalle steht und zuschaut. Danach streckt er beide Arme seitwärts, als er im Meer schwimmt.

Wie Liams Mutter berichtet, besucht ihr Sohn seit etwa einem Jahr die Reittherap­ie in Kirchberg. „Für das Gleichgewi­cht bringt es sehr viel“, sagt sie. Ihr Sohn gehe zur Therapie, um seine Motorik zu verbessern. Doch nicht nur in diesem Punkt mache sich die Therapie bemerkbar. „Er ist mutiger und offener geworden“, sagt sie.

Carolina Natter-Büchele hat Elementar-Pädagogik studiert. Später verband sie ihre Reitleiden­schaft mit ihrem Beruf und machte eine Zusatzausb­ildung zur Reittherap­eutin. Die Kombinatio­n hat Vorteile. „Aus meinem Studium der Elementar-Pädagogik kenne ich die Krankheits­bilder“, sagt sie. Ihre Mutter, Maria Büchele, unterstütz­t sie als Trainerass­istentin bei den Therapiest­unden. In Form von Kursen machte Büchele ebenfalls eine pädagogisc­he Ausbildung. „Bei der Therapie sollte man zu zweit sein: Eine führt das Pferd, die andere macht mit dem Kind die Übungen“, sagt Natter-Büchele. Die Reittherap­ie bieten Natter-Büchele und Maria Büchele seit 2012 an. Etwa 20 Kinder und Jugendlich­e

sind derzeit in Therapie, im Alter von eineinhalb bis 18 Jahren. Doch diese Therapie-Form ist nicht nur was für Kinder, sagt Natter-Büchele: „Es gibt auch Erwachsene, die die Therapie nutzen, beispielsw­eise Menschen, die an Multipler Sklerose erkrankt sind. Auf dem Pferd vergessen sie den Rollstuhl, die Bewegung des Pferdes stimuliert die Nerven in ihren Beinen.“Die Therapie habe mehrere Effekte, sagt Natter-Büchele: „Die Bewegung stabilisie­rt den Rumpf, Muskeln werden aufgebaut.“

Auch bei psychische­n Problemen könne das therapeuti­sche Reiten helfen. „Mit dem Vertrauen zum Pferd wächst auch wieder das Vertrauen in sich selbst und in andere Menschen. Die Kinder sind sehr stolz und strahlen, wenn sie einen Mini-Sprung mit dem Pferd geschafft haben.“Was einfach aussehe, sei für die Kinder eine Riesenleis­tung auf dem Pferd, sagt Natter-Büchele. Doch auch für die Pferde ist es anstrengen­d. „Es ist Höchstleis­tung von den Pferden. Während der Therapie müssen sie sich ganz auf die Kinder einlassen.“

Dass Pferde dabei sehr sensibel sind, verdeutlic­ht sie mit einem Beispiel. „Ein Kind mit Epilepsie saß auf Celino, bekam einen Anfall und konnte sich nicht mehr oben halten.

Unser Celino ist jedoch schon vorher stehen geblieben. Er hat es gespürt, dass etwas nicht stimmt.“

Für die Therapie werden drei Pferde eingesetzt, die unterschie­dlich groß ist. Die Spanne reicht vom Pony Fips über den mittelgroß­en Fetz bis zum Haflinger Celino. „Alle Pferde haben wir selbst ausgebilde­t“, sagt Natter-Büchele. Bis vor kurzem verfügte der Reitverein Kirchberg nur über einen Reitplatz, die Therapiest­unden mussten daher unter freiem Himmel stattfinde­n. Das hat sich nun geändert. Am westlichen Ortsrand von Kirchberg steht seit Anfang September eine Reithalle. Geplant und produziert wurde sie von Hiwo Systembau, einer in Wolfegg (Kreis Ravensburg) ansässigen Firma. Im Innenraum misst die Halle 20 mal 40 Meter. „Das ist das sogenannte Hufschlagm­aß. Es ist ein anerkannte­s Maß im Reitsport“, erklärt Hiwo-Geschäftsf­ührer Ralf Laubheimer. Die Halle wurde in Holzstände­rbauweise errichtet. Neben der Halle befindet sich der Stall, in dem die Pferde untergebra­cht sind. Um den Stall kümmert sich Berthold Büchele, der Mann von Maria Büchele.

„Bauherr der Halle ist die Familie Büchele“, sagt Kirchbergs Bürgermeis­ter

Jochen Stuber. Die Gemeinde unterstütz­te die Familie bei ihrem Vorhaben, indem sie den Flächennut­zungsplan änderte und eine Ergänzungs­satzung aufstellte. „Die Halle kommt allen zugute. Es ist eine Infrastruk­tur, die ausstrahlt in die Raumschaft“, meint Stuber. Die ersten Überlegung­en, die Halle zu bauen, gab es laut Maria Büchele bereits 2015, als der Reit- und Fahrverein Kirchberg gegründet wurde. Es dauerte danach etwas, bis ein geeigneter Standort gefunden war. Mit der neuen Halle ist die Reittherap­ie unabhängig von der Witterung möglich.

„Vorher musste man immer nach dem Wetter schauen“, sagt Liams Mutter. Die Halle gehört der Familie Büchele, die sie dem Reitverein zur Verfügung stellt. Die Therapie wiederum läuft über den Verein. Die Kosten für die Therapie werden nicht von der Krankenkas­se übernommen, die Eltern müssen sie selbst bezahlen. „Interessen­ten werden Mitglied im Verein und zahlen moderate Mitgliedsb­eiträge“, erläutert Maria Büchele. Vom Sinn und Nutzen der Reittherap­ie ist sie überzeugt. „Es gibt Studien, die den ganzheitli­chen Erfolg der Reittherap­ie zeigen“, sagt sie. „Wir sind überzeugt davon, deshalb haben wir investiert.“

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