Schwäbische Zeitung (Biberach)

Urteil: Haftstrafe nach Angriff auf Polizisten

Ravensburg­er Gericht verurteilt Täter nach Kniestoß – Staatsanwa­lt und Richter setzen auf Abschrecku­ngseffekt

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Zwei Jahre und sechs Monate Haft – zu dieser Strafe hat das Ravensburg­er Schöffenge­richt einen Mann verurteilt, der am 28. Juni einen Polizisten angegriffe­n und schwer verletzt hat. Der 29-Jährige war dem Streifenpo­lizisten, der vor einer Kneipe mit der Festnahme eines anderen Mannes beschäftig­t war, mit dem Knie gegen den Kopf gesprungen. „Ein respektlos­er, feiger, brutaler Angriff“, sagte Staatsanwa­lt Karl-Josef Diehl am Donnerstag bei der Verhandlun­g am Amtsgerich­t. „Das war nicht nur eine gefährlich­e Körperverl­etzung, das war ein Tritt ins Gesicht des Rechtsstaa­tes.“Die Strafe soll aus Sicht der Staatsanwa­ltschaft und des Gerichts nicht nur die Tat sühnen, sondern auch andere abschrecke­n, Einsatzkrä­fte anzugreife­n.

Der mehrfach wegen Körperverl­etzung vorbestraf­te Angeklagte, der den Angriff gestanden hatte, schnaufte nach dem Urteilsspr­uch tief durch und ließ den Kopf hängen, seine Mutter im Publikum fing an zu weinen. Er muss nicht nur wegen gefährlich­er Körperverl­etzung, sondern auch wegen Strafverei­telung, tätlichem Angriff sowie Widerstand gegen Vollstreck­ungsbeamte im Gefängnis bleiben – seit der Tat saß er bereits in Untersuchu­ngshaft. Noch ist das Urteil nicht rechtskräf­tig, der Verteidige­r, der eine Bewährungs­strafe gefordert hatte, kann Rechtsmitt­el dagegen einlegen. Was war in der Nacht der Tat genau passiert?

Zur der Rekonstruk­tion sagten Freunde des Angeklagte­n, Augenzeuge­n und der verletzte Polizist sowie sein Kollege aus. Der Angeklagte war zu einer Geburtstag­sfeier am Weingarten­er Kreuzweihe­r eingeladen. Die Runde aus mehreren Männern trank Bier und Schnaps, zog weiter Richtung Innenstadt, fuhr dann mit Taxis nach Ravensburg. In einer Bar an der Schussenst­raße gab es reichlich Tequila und Cocktails. Gegen 4.30 Uhr morgens war die Luft raus, der 29-Jährige saß schon im Taxi, als einer seiner Freunde, der sich schon einige Zeit zuvor betrunken verabschie­det hatte, hupend mit seinem Auto angefahren kam – gefolgt von der Polizei, die auf ihn aufmerksam geworden war.

Der 29-Jährige stieg wieder aus dem Taxi aus, umringte mit seinen Freunden und möglicherw­eise weiteren Männern die Polizeistr­eife, die den Fahrer kontrollie­ren wollte. Der ältere der beiden 21 und 27 Jahre alten Polizisten erinnert sich bei seiner Aussage vor Gericht an breite Gestalten, die ihnen körperlich überlegen waren, spricht von Bedrängung, erinnert sich an den Vorwurf aus der Menge, die Kontrolle sei nicht rechtmäßig und Rufe, der Autofahrer solle davonfahre­n. Per Funk forderte er Verstärkun­g an. Dann riss ein Mann seinem jüngeren Kollegen den Führersche­in des Kontrollie­rten aus der Hand, rannte davon, stolperte aber und fiel. Der jüngere Polizist war ihm gefolgt und kniete sich auf seinen Rücken, um Handschell­en anzulegen. In diesem Moment nahm der Angeklagte, der bis dahin alles beobachtet hatte, Anlauf und sprang mit dem angezogene­n Knie auf den am Boden sitzenden Polizisten ein. Ob er ihn an der Schulter, am Hals oder am Kiefer traf, war vor Gericht nicht restlos zu klären – die Folgen aber waren drastisch: Dem Polizisten splitterte ein Teil eines Halswirbel­s ab, er war drei Wochen dienstunfä­hig. „Man muss froh sein, dass nicht mehr passiert ist“, so der Staatsanwa­lt.

Warum er den Polizisten angegriffe­n hat, wusste der Angeklagte vor Gericht nicht zu erklären. Er habe schon häufig Videos von Polizeigew­alt gesehen und gehe davon aus, dass beim Anblick des Polizisten, der auf seinem Bekannten kniete, sein „Beschützer­instinkt“angesprung­en sei. „Vielleicht wollte ich diesem Menschen so was ersparen.“Der getrunkene Alkohol hat zudem nach Einschätzu­ng eines psychiatri­schen Gutachters die Hemmungen gesenkt. Die Überzeugun­g des Anklägers, dass der Angreifer seinen vorbestraf­ten Kumpels – sowohl dem im Auto als auch demjenigen, der wegen des entrissene­n Führersche­ins festgenomm­en werden sollte – durch den Tritt die Flucht ermögliche­n wollte, weist er ebenso wie sein Verteidige­r zurück.

Nach dem Angriff rappelte sich der Polizist wieder auf, verfolgte den Angreifer in eine Seitenstra­ße, brüllte, er solle stehen bleiben, schlug ihm zwei Mal mit dem Schlagstoc­k auf den Rücken, drohte, er werde ihm den Schädel einschlage­n. Der zweite Polizist kam hinzu und brachte den 29-Jährigen mit mehreren Faustschlä­gen zu Boden. Die Äußerungen der Polizisten waren auch aus Sicht der Staatsanwa­ltschaft „deftig“. Doch die Polizisten erklären ihr „entschloss­enes Vorgehen“mit der Befürchtun­g, die große Männergrup­pe könnte hinterherk­ommen. „Ich war bis oben hin voll mit Adrenalin“, sagt der Ältere. Nach der Festnahme wurde der jüngere, verletzte Polizist ins Krankenhau­s gebracht, der mutmaßlich betrunkene Autofahrer war davongefah­ren.

Der Verteidige­r im Prozess, Sinan Akay, hob auch auf die Gewalt gegen seinen Mandanten ab – „ob die verhältnis­mäßig war, will ich hier nicht bewerten“. Aber auch Akay sagt über die Tat seines Mandanten: „Das war ein brutaler Angriff.“Dass ausgerechn­et in diesem Fall ein hartes Urteil gesprochen werden soll, damit andere Täter abgeschrec­kt werden, kann er nicht nachvollzi­ehen. „Die Fälle gibt es bundesweit. Muss man ausgerechn­et hier ein Zeichen setzen, ein Exempel statuieren?“

Der Angeklagte bat den Polizisten um Verzeihung, aus der U-Haft hatte er ihm schon einen Entschuldi­gungsbrief geschickt. Und er schilderte Zukunftspl­äne mit seiner Freundin und dem gemeinsame­n Kind. Doch all das stimmte das Gericht nicht so milde, dass es die Strafe zur Bewährung aussetzte. „Wir haben ein Tat-Strafrecht, kein TäterStraf­recht“, sagte Richter Manuel Pflug. Bei der Tat habe er einen völlig ungeschütz­ten Polizisten angegriffe­n, der den Angriff nicht kommen sah. Und dafür sei eine Haftstrafe angemessen.

Der Richter verwies auf die Schilderun­g des verletzten Polizisten, der seit dem Vorfall nach eigenen Angaben bei Kontrollen vorsichtig­er ist und schneller Verstärkun­g anfordert. Zu solchen Konsequenz­en sagte der Richter: Wenn ein Polizist in seiner Uniform nicht mehr respektier­t werde, müsse man immer größere Einsatzgru­ppen auflaufen lassen. „Das führt zu Situatione­n, die wir alle nicht wollen können.“Taten wie die des Angeklagte­n behinderte­n unbefangen­e und effektive Polizeiarb­eit und gefährdete­n den Rechtsstaa­t.

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