Schwäbische Zeitung (Biberach)
Mit Kunst gegen Hass
Ausstellung der Attenweiler Künstlerin Marlis Glaser zu Antisemitismus ist in Oberstadion eröffnet worden
●
OBERSTADION - „Kunst verbindet – Gegen Antisemitismus, gegen das Vergessen“ist der Titel einer Ausstellung, die am Sonntag coronabedingt mit nur wenigen Besuchern eröffnet worden ist. Zu sehen sind im Oberstadioner Krippenmuseum die Gemälde der regionalen Künstlerin Marlis Glaser, die im Rahmen eines bereits vor 15 Jahren begonnenen Kunstprojekts entstanden seien.
Eine Auswahl der mehr als 200 Porträtzeichnungen und Gemälde mit biblischen, historischen oder biografischen Elementen war am Sonntag im Oberstadioner Bürgersaal ausgestellt und wird in den kommenden Monaten im Krippenmuseum zu sehen sein. Mit der hebräischen Lied „Die ganze Welt kann eine Brücke sein“eröffnete Kantor Nikola David die Ausstellung am vergangenen Sonntag.
„Wir müssen heute alle die Masken nicht tragen, sondern wir wollen die Masken tragen, um uns und andere Menschen zu schützen“, mahnte Bürgermeister Kevin Wiest zur Begrüßung. Genauso hätte jeder die Möglichkeit und die Pflicht, sich gegen Antisemitismus zu stellen. „Die Ausstellung soll dazu eine Aufforderung sein. Über die Brücke der Kunst wollen wir uns diesem Thema nähern“, sagte Wiest. Unter den Gästen waren Landrat Heiner Scheffold, der Landtagsabgeordnete und CDUGeneralsekretär Manuel Hagel, Kreisräte und Bürgermeister der Region sowie der Ulmer Rabbiner Schneur Trebnik.
Das Krippenmuseum als Ort einer Ausstellung gegen Antisemitismus könne nicht besser gewählt sein, betonte Manuel Hagel. „In der Geschichte um die Weihnachtskrippe geht es um Menschen und um ihre Haltung zueinander“, sagte der Abgeordnete und nannte die Ablehnung der Fremden bei der Herbergssuche und König Herodes, der um seine Macht bangte, aber auch die verbindende Freude von Armen und Reichen, also der Hirten und der Könige, als Beispiele. „Es geht darum, immer wieder Wege zu finden, um aufeinander zugehen zu können. Es geht darum, Mensch zu sein“, sagte Hagel.
„Die rechtsextreme Gefährdung nimmt zu. Da ist es wichtig, dass Ausrufezeichen und Leuchttürme wie diese Ausstellung gesetzt werden. Erinnerung ist die Grundlage, dass wir uns gegen Antisemitismus und Rassismus stellen“, fügte er weiter an. Er wünsche sich, dass Juden in unserem Land nicht nur mit dem
Blick zurück, sondern auch mit dem Blick auf heute und auf die Zukunft begegnet werde, sagte der Landtagsabgeordnete. Das Krippenmuseum sei eine Besonderheit im Alb-Donau-Kreis mit großer Strahlkraft.
„Ich wünsche mir auch für diese ganz besondere Ausstellung eine große Strahlkraft, die viele Menschen aus nah und fern anlockt“, sagte Landrat Heiner Scheffold. „Was einmal war, bleibt ewig möglich“, zitierte der Landrat ein jüdisches Sprichwort und betonte: „Wir dürfen nicht nur an die Ereignisse der Vergangenheit erinnern, sondern müssen deutlich vor Wiederholung warnen.“
Die Alltagssprache habe eine bedeutende Rolle auf dem Weg zum Holocaust gespielt, sagte Scheffold. Und aus Worten seien schließlich Taten geworden. „Leider müssen wir heute eine ähnliche Entwicklung hin zu einem veränderten Sprachgebrauch feststellen. Mit latenter Allmählichkeit verschieben sich die Grenzen dessen, was gesagt werden darf“, mahnte Scheffold. „Wir alle sind in der Pflicht, dieser Entwicklung deutlich entgegenzutreten“, betonte der Landrat.
Der Ulmer Rabbiner Schneur Trebnik sagte, dass die Menschen Schritt für Schritt ihre Menschlichkeit verloren hätten, und erklärte, dass zwischen 1950 und 1989 nur etwa zehn Menschen mit jüdischem Glauben in der Ulmer Region gelebt hätten. „Heute wohnen wieder mehrere Tausend Juden in Baden-Württemberg und im Alb-Donau-Kreis.“Nicht wegen oder trotz der Vergangenheit, sondern mit Blick in die Zukunft freue er sich über die neue Ulmer Synagoge und das jüdische Leben in der Region. „Aber der Antisemitismus wächst, das ist deutlich zu spüren“, sagte der Rabbiner.
Aus ihrem Leben erzählte anschließend Esther Ellrodt-Freiman, die 1942 in Dresden geboren wurde, eine jüdische Mutter hatte, als Kleinkind deportiert werden sollte und schließlich als Flüchtling auf der Schwäbischen Alb landete. Viele ihrer Verwandten kamen in Konzentrationslagern ums Leben, einige flüchteten nach Israel oder in die USA. „Heute bin ich mit meinen Vorträgen aufklärend und versöhnend unterwegs“, sagte sie am Sonntag in Oberstadion.
Weil Menschen keine Nummern sind, wolle sie mit ihren Werken diesen Menschen einen Namen geben, sagte Künstlern Marlis Glaser bei ihrer Einführung in ihre Werke. Ihr sei es ein Anliegen, das breite Spektrum des Judentums zu zeigen und dabei Bibeltexte zu interpretieren oder jüdische Gegenstände darzustellen. „Alles hat eine Bedeutung, auch wenn sie den Menschen nicht auf Anhieb bewusst ist“, sagte Glaser. Und weil „Kunst zu verstehen gelernt sein will“, bietet die Künstlerin in den kommenden Wochen mehrere Führungen durch ihre Ausstellung im Oberstadioner Krippenmuseum an. „Antisemitismus ist kein Problem der Juden, sondern ein Problem der Nichtjuden. Und Antisemitismus ist bei uns schon wieder ganz in der Nähe dessen, was als normal bezeichnet wird“, so Marlis Glaser.
Mit der Oberstadioner Ausstellung wolle sie ein Zeichen setzen gegen Antisemitismus und gegen das Vergessen. „Ich will über das Judentum aufklären mit den Mitteln der Kunst und der Kultur“, sagte die Künstlerin.