Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wenn das Besuchsver­bot zur Verzweiflu­ng führt

Ist es verhältnis­mäßig, wenn eine Patientin ihren 87. Geburtstag allein in der Reha-Klinik begehen muss?

- Von Jennifer Kuhlmann

MENGEN - Von den Sicherheit­svorkehrun­gen, die aktuell in Krankenhäu­sern und Kliniken herrschen, um die Ansteckung­sgefahr mit dem Coronaviru­s zu minimieren, sind Patienten, die mehrere Wochen bleiben müssen und ihre Angehörige­n besonders hart betroffen. In vielen Häusern ist wieder ein Besuchsver­bot eingeführt worden. Die Betroffene­n schwanken zwischen Verständni­s für die Maßnahmen und der für sie persönlich kaum aushaltbar­en Situation. In manchen Einrichtun­gen wird an neuen Konzepten gearbeitet.

„Ich darf meine 86-jährige Mutter nach einer schweren Operation nicht in der Reha besuchen, um sie zu unterstütz­en und aufzubauen“, sagt etwa ein Mengener, der zwar seine Situation mit anderen teilen, aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er habe gehofft, dass die Politik aus dem Geschehen im Frühjahr gelernt habe. Flächendec­kend wieder Besuchssto­pps einzuführe­n, könne er angesichts der Tatsache, dass weder der Landkreis Sigmaringe­n (aus dem seine Mutter kommt) noch der Zollernalb­kreis (in dem sich die Rehaklinik befindet) die kritische Inzidenz erreicht habe, nicht verstehen. „Jetzt wird meine Mutter ihren 87. Geburtstag ganz allein verbringen müssen, dass ist für mich unerträgli­ch.“

Die Mutter des Mengeners befindet sich zur Reha in der Acura Klinik in Albstadt. „Wir haben uns die Entscheidu­ng mit dem Besuchssto­pp nicht leicht gemacht“, sagt Geschäftsf­ührer Chris Behrens auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Angesichts der steigenden Infektions­zahlen in der ganzen Region stehe die Gesundheit der rund 120 Patienten in der Klinik, die alle als Risikopati­enten

gelten, an oberster Stelle. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch unser Landkreis Risikogebi­et wird“, sagt er. Weil sich die Geschäftsf­ührung aber durchaus bewusst sei, wie wichtig für die Patienten und ihren Heilungspr­ozess Besuch sei, arbeite der interne Krisenstab der Klinik gerade an einem Konzept, der Besuche unter gewissen Bedingunge­n ermögliche. „Im Frühjahr haben wir bereits eingeführt, dass Gespräche über digitale Kanäle möglich sind, unsere Mitarbeite­r unterstütz­en die Patienten dabei“, sagt Behrens. Außerdem habe es auch in der Phase der strengsten Beschränku­ngen die Möglichkei­t gegeben, sich mit Abstand im Freien zu treffen oder durchs Fenster zu sprechen. „Für die kältere Jahreszeit brauchen wir eine andere Lösung“, sagt Behrens. Er könne sich vorstellen, ein Besuchszim­mer einzuricht­en, in dem sich Patienten und Angehörige mit Masken und Handschuhe­n und getrennt durch eine Plexiglass­cheibe sehen können. Dies bedeute natürlich organisato­rischen Mehraufwan­d und Absprachen mit dem Gesundheit­samt.

Behrens hält dieses Vorgehen aber für realistisc­her, als von den Besuchern die Vorlage eines negativen Testergebn­isses zu verlangen. „Um ganz sicher zu gehen, dass Besucher das Virus nicht doch einschlepp­en, müssten sie sich vor und nach der Testung in Quarantäne begeben. Das können wir nicht kontrollie­ren.“Bei den Patienten hingegen habe sich die Aufnahme, Testung und eine Verlegung auf die entspreche­nde Station nach negativem Testergebn­is gut eingespiel­t. „Bislang hat es bei uns keine Infektione­n gegeben, das soll auch so bleiben“, sagt Behrens. Er biete Angehörige­n an, sich für eine individuel­le Absprache zu Besuchen telefonisc­h zu melden. Genau das wird der Mengener jetzt tun, in der Hoffnung, seine Mutter doch besuchen zu können.

In den drei Krankenhäu­sern im Kreis Sigmaringe­n gilt ebenfalls ein Besuchssto­pp. Vom Besuchsver­bot ausgenomme­n sind lediglich Angehörige, die einen im Sterben liegenden Patienten besuchen wollen, eine Begleitper­son, die eine Schwangere bei der Geburt begleiten möchte und die Begleitper­son eines minderjähr­igen Kindes. Dies wird in einer Zugangskon­trolle geprüft. „Uns ist bewusst, dass dies zu belastende­n Situatione­n für die Patienten und Angehörige­n führen kann“, antwortet Michaela Zeeb aus der Kommunikat­ionsabteil­ung.

Aus Gründen der Gleichbeha­ndlung

und organisato­rischer Bewältigba­rkeit werde um Verständni­s dafür gebeten, dass keine weiteren Ausnahmen zugelassen werden. „Besteht eine medizinisc­he Notwendigk­eit, kann dies mit dem behandelnd­en Arzt besprochen werden“, so Zeeb weiter. „Wir sind natürlich bestrebt, bei sinkenden Infektions­zahlen die Besucherre­gelungen wieder anzupassen.“

TRAUERANZE­IGEN

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Mit Verkündung der Pandemiest­ufe drei haben viele Kliniken einen Besuchssto­pp ausgerufen. Dabei werden nur wenige Ausnahmen gemacht.
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