Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wenn das Besuchsverbot zur Verzweiflung führt
Ist es verhältnismäßig, wenn eine Patientin ihren 87. Geburtstag allein in der Reha-Klinik begehen muss?
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MENGEN - Von den Sicherheitsvorkehrungen, die aktuell in Krankenhäusern und Kliniken herrschen, um die Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus zu minimieren, sind Patienten, die mehrere Wochen bleiben müssen und ihre Angehörigen besonders hart betroffen. In vielen Häusern ist wieder ein Besuchsverbot eingeführt worden. Die Betroffenen schwanken zwischen Verständnis für die Maßnahmen und der für sie persönlich kaum aushaltbaren Situation. In manchen Einrichtungen wird an neuen Konzepten gearbeitet.
„Ich darf meine 86-jährige Mutter nach einer schweren Operation nicht in der Reha besuchen, um sie zu unterstützen und aufzubauen“, sagt etwa ein Mengener, der zwar seine Situation mit anderen teilen, aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er habe gehofft, dass die Politik aus dem Geschehen im Frühjahr gelernt habe. Flächendeckend wieder Besuchsstopps einzuführen, könne er angesichts der Tatsache, dass weder der Landkreis Sigmaringen (aus dem seine Mutter kommt) noch der Zollernalbkreis (in dem sich die Rehaklinik befindet) die kritische Inzidenz erreicht habe, nicht verstehen. „Jetzt wird meine Mutter ihren 87. Geburtstag ganz allein verbringen müssen, dass ist für mich unerträglich.“
Die Mutter des Mengeners befindet sich zur Reha in der Acura Klinik in Albstadt. „Wir haben uns die Entscheidung mit dem Besuchsstopp nicht leicht gemacht“, sagt Geschäftsführer Chris Behrens auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Angesichts der steigenden Infektionszahlen in der ganzen Region stehe die Gesundheit der rund 120 Patienten in der Klinik, die alle als Risikopatienten
gelten, an oberster Stelle. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch unser Landkreis Risikogebiet wird“, sagt er. Weil sich die Geschäftsführung aber durchaus bewusst sei, wie wichtig für die Patienten und ihren Heilungsprozess Besuch sei, arbeite der interne Krisenstab der Klinik gerade an einem Konzept, der Besuche unter gewissen Bedingungen ermögliche. „Im Frühjahr haben wir bereits eingeführt, dass Gespräche über digitale Kanäle möglich sind, unsere Mitarbeiter unterstützen die Patienten dabei“, sagt Behrens. Außerdem habe es auch in der Phase der strengsten Beschränkungen die Möglichkeit gegeben, sich mit Abstand im Freien zu treffen oder durchs Fenster zu sprechen. „Für die kältere Jahreszeit brauchen wir eine andere Lösung“, sagt Behrens. Er könne sich vorstellen, ein Besuchszimmer einzurichten, in dem sich Patienten und Angehörige mit Masken und Handschuhen und getrennt durch eine Plexiglasscheibe sehen können. Dies bedeute natürlich organisatorischen Mehraufwand und Absprachen mit dem Gesundheitsamt.
Behrens hält dieses Vorgehen aber für realistischer, als von den Besuchern die Vorlage eines negativen Testergebnisses zu verlangen. „Um ganz sicher zu gehen, dass Besucher das Virus nicht doch einschleppen, müssten sie sich vor und nach der Testung in Quarantäne begeben. Das können wir nicht kontrollieren.“Bei den Patienten hingegen habe sich die Aufnahme, Testung und eine Verlegung auf die entsprechende Station nach negativem Testergebnis gut eingespielt. „Bislang hat es bei uns keine Infektionen gegeben, das soll auch so bleiben“, sagt Behrens. Er biete Angehörigen an, sich für eine individuelle Absprache zu Besuchen telefonisch zu melden. Genau das wird der Mengener jetzt tun, in der Hoffnung, seine Mutter doch besuchen zu können.
In den drei Krankenhäusern im Kreis Sigmaringen gilt ebenfalls ein Besuchsstopp. Vom Besuchsverbot ausgenommen sind lediglich Angehörige, die einen im Sterben liegenden Patienten besuchen wollen, eine Begleitperson, die eine Schwangere bei der Geburt begleiten möchte und die Begleitperson eines minderjährigen Kindes. Dies wird in einer Zugangskontrolle geprüft. „Uns ist bewusst, dass dies zu belastenden Situationen für die Patienten und Angehörigen führen kann“, antwortet Michaela Zeeb aus der Kommunikationsabteilung.
Aus Gründen der Gleichbehandlung
und organisatorischer Bewältigbarkeit werde um Verständnis dafür gebeten, dass keine weiteren Ausnahmen zugelassen werden. „Besteht eine medizinische Notwendigkeit, kann dies mit dem behandelnden Arzt besprochen werden“, so Zeeb weiter. „Wir sind natürlich bestrebt, bei sinkenden Infektionszahlen die Besucherregelungen wieder anzupassen.“
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