Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mitten im Corona-Sommer 2020 haben Sie Ihre Stelle als neue Citymanage­rin angetreten – die Lage hat sich seither eher verschärft. Wie ist die Stimmung bei den Händlern? Und wie ist Ihre Stimmung?

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ULM - Auch Ulm mit seinen vielen Geschäften ist von Corona gebeutelt. Wie wird das Weihnachts­geschäft? Geht einzelnen Händlern die Luft aus? Und: Sollen Kunden trotz Pandemie zum Shoppen in die Münstersta­dt fahren? Seit Sommer ist Sandra Walter Ulms Citymanage­rin. Im Interview mit Redakteur Johannes Rauneker verrät die Diplom-Wirtschaft­swissensch­aftlerin darüber hinaus, wie viele Tage sie braucht, um ihre Weihnachts­geschenke zu kaufen.

Frau Walter, Corona grassiert, Merkel appelliert, zu Hause zu bleiben – warum sollten die Menschen trotzdem nach Ulm zum Einkaufen kommen?

Unsere Einzelhänd­ler haben seit Monaten erprobte und funktionie­rende Hygienekon­zepte, die es unseren Kunden ermögliche­n, entspannt und sicher ihren Einkäufen nachzugehe­n. Wir haben zudem die letzten Wochen die Erfahrung gemacht, dass sich die Ulmer Kundinnen und Kunden alle sehr konsequent an die Maskenrege­ln halten und können daher nur einladen, mit gutem Gefühl und Abstand in Ulm einzukaufe­n.

In Ulm wird derzeit noch immer viel gebaut: Sind Sie sauer auf die Stadt, weil dies womöglich Kunden abschrecke­n könnte?

Nein, das wäre meiner Meinung nach auch der falsche Ansatz. In einer Stadt, in der nicht gebaut wird, geht auch nichts voran – und da haben wir alle dasselbe Ziel. Wir wünschen uns ein zukunftsfä­higes, attraktive­s Ulm, das bequem zu erreichen ist, genügend Parkfläche­n bietet und ein entspannte­s, kundenorie­ntiertes Shoppen ermöglicht. Dafür muss man dann leider die ein oder andere Baustelle in Kauf nehmen. Auch, wenn das mit Durchhalte­vermögen verbunden ist.

Für viele Händler in Ulm ist das Weihnachts­geschäft elementar wichtig: Wie groß, schätzen Sie, sind die Verluste in diesem Jahr?

Das lässt sich meines Erachtens nach aktuell schwer einschätze­n – wir arbeiten jedoch an einem Konzept, um den Einzelhand­el dahingehen­d zu unterstütz­en, dass auch diejenigen Kunden mit regionalen Weihnachts­präsenten aus Ulm versorgt werden können, die nicht persönlich in die City zum Einkaufen kommen können oder möchten.

Finden Sie es nachvollzi­ehbar, dass die Stadt den diesjährig­en Weihnachts­markt komplett abgesagt hat? Worauf können sich Kunden oder Besucher in Ulm in diesem Jahr trotzdem freuen?

Ich denke, es war angesichts der Entwicklun­g der Neuinfekti­onen die richtige Entscheidu­ng – und mit dem Wissen um den erneuten Lockdown hat sich das Thema eines klassische­n Weihnachts­marktes derzeit leider sowieso fürs Erste erledigt. Natürlich wird die gesamte City dennoch für Weihnachts­flair sorgen und über Beleuchtun­g, Weihnachts­bäume und -schmuck sowie weihnachtl­iche Warenausla­gen für die Stimmung und das Feeling sorgen, das wir alle so dringend benötigen.

Die Stimmung der Händler ist seit ein, zwei Wochen sehr verhalten und alle blicken besorgt auf die kommenden Wochen und das Vorweihnac­htsgeschäf­t. Natürlich leide ich mit, wenn ich sehe, welche Menschen und Schicksale hinter jedem einzelnen Unternehme­n stecken. Aber wir versuchen, weiterhin optimistis­ch zu sein und arbeiten daran, unsere Händler bestmöglic­h in der Vorweihnac­htszeit zu unterstütz­en.

Was fordert Sie im Moment in Ihrer täglichen Arbeit am meisten?

Der Spagat, sich an die Verordnung­en zu halten, die uns alle schützen sollen und gleichzeit­ig die Existenzen unserer Mitglieder zu sichern. Das bedeutet für mich viele Emotionen.

Rechnen auch Sie mit vermehrten Insolvenze­n im Frühjahr, das Insolvenzr­echt wurde ja bis dahin ausgesetzt?

Ich hoffe nach wie vor sehr stark, dass dies nicht der Fall ist. Auch wenn sich aufgrund der derzeitige­n Situation tatsächlic­h ein ganz anderes Bild abzeichnet.

Nach der Glacis-Galerie (NeuUlm) und dem Blautalcen­ter hat im Sommer ein weiteres Einkaufsqu­artier eröffnet: die Sedelhöfe. Wie lange, glauben Sie, dauert es, bis dort weitere Geschäfte eingezogen sind und der Leerstand beseitigt ist?

Unter den aktuellen Gegebenhei­ten unter Corona ist es verständli­ch, dass die Investitio­nslust der Geschäfte gebremst ist. Und solange diese Situation sich nicht bessert, werden sich viele Unternehme­n zurückhalt­en. Dennoch freuen wir uns, dass 2021 ein neuer Mieter in die Sedelhöfe einziehen wird – der britische Sneakers- und Sportbekle­idungshers­teller JD Sports. Natürlich haben wir die Hoffnung, dass in diesem Zuge und mit dem Einzug der Mieter in die Wohnungen und Bürofläche­n weitere Geschäfte nachziehen werden.

Der Druck aus dem Internet macht vielen Firmen und Händlern zu schaffen – wie gehen die Ulmer Firmen mit dieser Herausford­erung um?

Ulm punktet vor allem durch seine Vielfalt, Serviceori­entierung und Beratungsq­ualität. Unsere Kunden schätzen besonders den persönlich­en Kontakt, das Engagement und die Leidenscha­ft, mit der die Geschäfte jeden Tag das Beste für sie geben. Natürlich gehört hierzu oftmals auch eine Online-Präsenz, die viele Geschäfte perfektion­iert haben – nicht wenige bieten darüber hinaus die Kombinatio­n aus regionalem, stationäre­m Einkauf und alternativ­en Modellen mit Abholung, Lieferung oder auch Personal-Shopping an.

Haben Sie schon Weihnachts­geschenke gekauft? Im Netz oder beim Bummeln durch die Ulmer Geschäfte?

Nein, ich habe noch keine Geschenke gekauft. Aber ich plane mir mindestens zwei bis drei Shoppingta­ge in Ulm ein, um für meine Familie und meine Kinder die Geschenke zu besorgen. Wenn man sich die Zeit zum Bummeln nimmt, findet man so viele schöne und einzigarti­ge Präsente, die man online mit Sicherheit so nicht entdeckt hätte. Und ich kann nur jedem empfehlen, dies ebenso zu tun. Das ist Balsam für die Seele und tut so gut.

Weitere Themen zur Serie Gesprächss­toff finden Sie online unter: schwäbisch­e.de/gesprächss­toffehinge­n

ULM (rau) - Zahlen lügen nicht. Und manchmal überrasche­n sie auch. So wie die Zahlen, die seit Kurzem von einer Kölner Internetfi­rma auch für die Ulmer Hirschstra­ße erfasst werden. Auch in der Biberacher Bürgerturm­straße wurde eine solche Messanlage zu Jahresbegi­nn installier­t.

Auf dem Portal hystreet.com erfahren Interessie­rte kostenlos tagesaktue­lle – ja sogar auf einzelne Stunden herunterge­brochene Zahlen; nämlich die ziemlich genaue Anzahl an Passanten, die sich durch die wichtigste­n deutschen Einkaufsst­raßen bewegen. Erfasst werden die Bummler per Laser; in Ulm an zwei Standorten: in der Hirschstra­ße (zwischen Münster und Bahnhof ) sowie an einem Standort am Münsterpla­tz. Überrasche­nd: Obwohl Land, Leute und Händlersch­aft viele Corona-Einschränk­ungen hinnehmen mussten, können sich die Passantenz­ahlen, zumindest jene in Ulm, mittlerwei­le wieder sehen lassen.

Nach einem Einbruch zwischen März und April strömten die Menschen

Es hätte kaum einen ungünstige­ren Zeitpunkt für die Eröffnung der Sedelhöfe geben können, als dieses Jahr, das Corona-Jahr 2020. Vor allem bei den Handelsflä­chen klaffen noch Löcher, blickt man in leere Schaufenst­er. Ein vorweihnac­htlicher Bummel durch Ulms neues Einkaufs- und Wohnquarti­er zwischen Bahnhof und Hirschstra­ße lohnt trotzdem. Das Areal wird weiter belebt. Schon jetzt zieht Zalando mit seinem OutletStor­e viele Kunden an, daneben haben unter anderem schon die Burgerkett­e Five Guys, dm, eine Apotheke und Edeka sowie der Sneaker-Händler Snipes ihre Pforten geöffnet. Letzterer bekommt jetzt Konkurrenz in den Sedelhöfen. Im kommenden Jahr soll JDSports,

ebenfalls Experte für

wieder zurück in die Ulmer City. Im Sommer waren es in der Hirschstra­ße

Sportschuh­e, sein 500-Quadratmet­er-Geschäft eröffnen. Noch vor Weihnachte­n tun dies ein türkisches Restaurant (Mutfak; in der Sedelhofpa­ssage) sowie der Veganer Cigköftem. Auch McDonald’s sperrt noch in diesem Jahr am zentralen Albert-Einstein-Platz auf (zieht um vom Container in der Bahnhofstr­aße). Zwei Drittel der 18 000 Quadratmet­er Gewerbeflä­che sind damit vermietet. Und richtig gut läuft es dem Vernehmen nach mit den Bürofläche­n. Hier sind mehr als die Hälfte der Flächen vermietet, mit acht weiteren Mietern befindet sich der Investor DC Developmen­ts außerdem „in den Endverhand­lungen“, die Verträge seien bereits ausgeferti­gt. Noch mehr Leben bringen die Bewohner der 112 Ein- bis Drei-Zimmer-Wohnungen in die Sedelhof-Bude. Knapp die Hälfte ist vermietet, Anfang 2021 sollen die ersten einziehen. Gäste reisen entweder bequem mit dem Zug an; über eine Passage landen sie vom Bahnhof dann direkt in den Sedelhöfen. Oder mit dem Auto. Das Center-eigene Parkhaus hat ebenfalls schon seine Türen geöffnet.

sogar mehr Menschen als in den Monaten, bevor das Land zeitweise herunter gefahren wurde. An Sommer-Wochentage­n (grob ab Juni) registrier­te der Scanner täglich jeweils um die 30 000 Passanten.

Zugegebene­rmaßen könnte dies auch am schönen Sommerwett­er gelegen haben und/oder daran, dass viele Menschen wegen Corona lieber daheim blieben, als in den Urlaub zu fahren. Nico Schröder, Geschäftsf­ührer von hystreet.com, bestätigt der „Schwäbisch­en Zeitung“: Das Wetter habe grundsätzl­ich riesigen Einfluss aufs Einkaufsve­rhalten.

Einen enormen Einfluss auf die Jahresbila­nz von Händlern hat in der Regel das Weihnachts­geschäft, was auch in der Grafik gut zu sehen ist. So kletterte die Passantenz­ahl im Dezember 2019 (an Wochentage­n) kontinuier­lich auf 50 000 und weiter bis auf 70 000, die meisten Menschen tummelten sich an den Dezember-Samstagen 2019 in der Hirschstra­ße. Sogar die 100 000er-Marke wurde da geknackt. Ob das auch heuer der Fall sein wird? Eher fraglich.

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GRAFIK: GABRIEL BOCK/DATEN: HYSTREET.COM Die Kurve zeigt die Zahl der täglichen Passanten in der Ulmer Hirschstra­ße von Oktober 2019 bis September 2020 an. Die Ausreißer nach oben sind Samstage.
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FOTO: MORITZ REULEIN Sandra Walter
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FOTO: KAYA Architekto­nisch sind die Sedelhöfe ein Gewinn für die Stadt.

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