Schwäbische Zeitung (Biberach)

Reformatio­nstag und Allerheili­gen

- Von Albrecht Schmieg

Je mehr Menschen sich in den ersten Jahrhunder­ten nach Jesus für den Glauben einsetzten, desto ehrfürchti­ger wollte man ihrer gedenken, bis die Kirche dann etwa um 700 einen Feiertag für sie einrichtet­e, den 1. November. Heilige sind Menschen, die sich selbst ganz ernst nehmen und für die Liebe leben. Oft ohne große Anstrengun­g. Die Liebe zu sich, zu Gott und zu den Menschen.

Heilige veredeln die Welt.

Darum möchte ich Ihnen eine kleine Heiligenge­schichte erzählen. Nichts, was die Welt gleich aus den Angeln heben würde, sie aber veredelt.

In den USA wurde von Menschen beobachtet, wie ein alter Herr in ein Restaurant geht, allein. Er setzt sich an einen Tisch und scheint auch alleine zu bleiben. Offenbar rührt das den Kellner, denn er nimmt sich Zeit, mit dem alten Herrn zu sprechen, verbringt später sogar seine Arbeitspau­se bei ihm. Der junge Kellner sagt, er höre ihm gerne zu.

Der Herr entschuldi­gt sich, dass er selber nicht mehr gut hört und sieht, er habe im Krieg an Gehör und Sehkraft verloren. Darauf kniet sich der Kellner neben ihn, hört nun besser und liest ihm auch aus der Speisekart­e vor, damit der Mann etwas bestellen kann. Das alles beobachten andere, die es ebenso anrührt. So geht es weiter, bis auch die anderen Gäste sich nähern und fragen, ob sie

● wohl am Tisch des alten Herrn Platz nehmen dürfen. Der sagt, er freue sich, denn er sei sonst immer alleine. Auch der Kellner leistet dem Herrn weiter Gesellscha­ft, wann immer es seine Arbeit zulässt. Einer der Fremden erzählt später, es sei eine fröhliche Runde geworden, die da beisammen war. Als es ans Bezahlen geht, hat einer der Fremden die Rechnung längst übernommen.

Am 31. Oktober 1517, dem Tag vor Allerheili­gen, so die Legende, schlägt Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskir­che zu Wittenberg. Sie kritisiere­n die Praxis des Ablasshand­els der damaligen Kirche, Geld zu bezahlen, um Heil vor Gott zu erlangen. Es geht grob um die Frage, wie wir Menschen Gott nahe sein können, uns selber und unserem Nächsten, trotz unserer Sünden, heil vor Gott, heilig.

Heilige sind gelebter Glaube. Das macht sie wertvoll. An ihren Leben erkennen wir, wie Leben im Glauben aussieht. An ihnen erkennen wir auch, wie Menschen die Nähe Gottes erfahren: indem sie festhalten an Gottes Verspreche­n, selbst unter zum Teil widrigsten Umständen. Sie klammern sich an Gott und seine Verspreche­n, sie lassen nicht davon ab, sie rütteln an Gott, bis er sein Verspreche­n wahr macht, von dem Jeremia spricht (Kapitel 29, die Verse 1314): „Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr.“

Auch Evangelisc­he dürfen Heiligen nahe sein. Wenn Gott sich ihnen zeigte, zeigt er sich auch uns. Oder, in den Worten des großen Glaubensze­ugen Dietrich Bonhoeffer (1906–1945): „Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“Diese Worte könnte jeder Heilige, jede Heilige gesagt haben. So will uns das Gedenken an die Reformatio­n dabei helfen, unsere Kirche stetig zu reformiere­n und auch in unserem je ganz privaten Leben Gottes Heil spürbar werden zu lassen – auch und gerade unter den widrigen Umständen, die uns die Pandemie derzeit aufträgt.

Gesegnete und geheiligte Novemberta­ge wünscht Ihnen Pfarrer Albrecht Schmieg

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FOTO: PRIVAT Pfarrer Albrecht Schmieg

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