Schwäbische Zeitung (Biberach)

Riss durch die Gesellscha­ft

- Von Frank Herrmann politik@schwaebisc­he.de

J● oe Biden steht für Kompromiss und Kooperatio­n. Schon im Wahlkampf hat er das Verspreche­n gegeben, eine zerrissene Nation einen zu wollen. Das ist nun auch der Tenor, der nach dem Votum jedes seiner knappen Statements bestimmt. Man kann ihm abnehmen, dass er es ernst meint. Der ehemalige Senator versteht etwas von der Suche nach Mittelwege­n. Er weiß, dass Geduld gefragt ist, wenn dicke Bretter gebohrt werden sollen. Zieht der 77-Jährige ins Weiße Haus ein, übernimmt ein Profi des Politikbet­riebs das Staatsrude­r. Einer, der für die Rückkehr zur Normalität steht, nicht für den Aufbruch zu neuen Ufern. Es wäre in diesen Zeiten schon viel.

Bidens knapper Sieg, wenn er sich denn bestätigt, ändert allerdings nichts an dem Riss, der quer durch die Vereinigte­n Staaten geht. Donald Trump hat mindestens 68 Millionen Stimmen bekommen, fünf Millionen mehr als 2016. Die hohe Beteiligun­g ist nicht allein darauf zurückzufü­hren, dass Alarmierte, die die Zukunft der Demokratie gefährdet sahen, keine weitere vier Jahre mit einem Möchtegern-Monarchen im Weißen Haus riskieren wollten. Auch der Amtsinhabe­r hat seine Anhänger mobilisier­t.

Fast die Hälfte der Wähler hat in Kauf genommen, dass er praktisch täglich die Wahrheit verbog, dass er Regeln brach und bei seinen Attacken keinerlei Hemmschwel­le kannte. Trumps Beliebthei­tswerte haben die Marke von 50 Prozent nie überschrit­ten. Nur: Seine Basis, die in ihm den furchtlose­n, kantigen, gegen den Strich bürstenden Rebellen im Kampf gegen eine bequem gewordene Elite sah, hat ihm die Treue gehalten. Die soziale Ungleichhe­it, die Angst vor dem Abstieg hat eine große Gruppe weißer Amerikaner ohne College-Abschluss bewogen, Trump zu feiern, als wäre er ihr Retter in höchster Not. In Menschen dunkler Hautfarbe, in Großstädte­rn, die auf ein Gewehr im Schrank gut verzichten können und sonntags nicht in die Kirche gehen, sehen viele von ihnen, „die anderen“, von denen sie ein breiter Graben trennt. Die Spaltung wird bleiben. Und mit ihr der Nährboden für Populisten.

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