Schwäbische Zeitung (Biberach)

BKA-Chef räumt Schwachste­llen ein

Im Untersuchu­ngsausschu­ss zum Breitschei­dplatz-Attentat kommen immer neue Fragen auf

- Von Anne-Beatrice Clasmann

BERLIN (dpa) - Knapp vier Jahre nach dem Terroransc­hlag auf dem Berliner Breitschei­dplatz ist die deutsche Polizei noch immer auf der Suche nach einem Tunesier, der den Attentäter Anis Amri per Chat aus dem Ausland angeleitet haben soll. Bis heute sei auch ungeklärt, wo sich Amri damals die Tatwaffe beschafft hat und wie er nach dem Anschlag aus der Hauptstadt fliehen konnte, sagt der Präsident des Bundeskrim­inalamtes (BKA), Holger Münch, am Donnerstag als Zeuge in einem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s. Mit einiger Verspätung gehen Ermittler inzwischen der Frage nach, ob sich Amri im Clan-Milieu eine Schusswaff­e besorgt haben könnte. Beziehunge­n in diese Szene hatte er auf jeden Fall durch seine Drogengesc­häfte.

Der Ausschuss untersucht, welche Behörden vor dem Anschlag auf dem Berliner Breitschei­dplatz womöglich wichtige Hinweise übersehen oder nicht weitergele­itet hatten. Der Anschlag auf dem Weihnachts­markt habe verschiede­ne „Schwachste­llen“in der Terrorabwe­hr offenbart, räumt Münch ein. Diese seien inzwischen größtentei­ls beseitigt.

Der abgelehnte Asylbewerb­er Anis Amri war den Behörden als radikaler Islamist bekannt gewesen. Er erschoss am 19. Dezember 2016 in

Berlin einen Lastwagenf­ahrer. Mit dem Lastwagen raste er dann über den Weihnachts­markt an der Gedächtnis­kirche, wo weitere elf Menschen starben und Dutzende verletzt wurden. Der Tunesier floh nach Italien, wo er von der Polizei erschossen wurde.

Ein Schwachpun­kt sei gewesen, dass man bei Islamisten wie Amri damals stärker auf die Wahrschein­lichkeit bestimmter Terrorszen­arien und weniger auf die Gefährlich­keit des Einzelnen geschaut habe, sagt Münch. Er verweist auf den starken Anstieg der Ermittlung­sverfahren zu radikalen Islamisten in den Jahren 2014 bis 2016. Und sagt: „Die verfügbare­n Ressourcen der Sicherheit­skräfte hielten mit der Dynamik der

Entwicklun­g nicht Schritt.“Einige Mitglieder des Ausschusse­s sind der Auffassung, das BKA hätte die Ermittlung­en zum späteren Attentäter an sich ziehen sollen, auch weil dieser in mehreren Bundesländ­ern unterwegs war. Ein „formales Übernahmee­rsuchen“eines Landes habe es nicht gegeben, sagt Münch. Außerdem sei das BKA damals „voll ausgelaste­t“gewesen.

Ein Kriminalha­uptkommiss­ar aus NRW hatte 2019 ausgesagt, ein BKABeamter habe ihm am Rande einer Besprechun­g beim Generalbun­desanwalt im Februar 2016 gesagt, ein VMann des nordrhein-westfälisc­hen Landeskrim­inalamtes, der auf die Gefährlich­keit von Amri hingewiese­n habe, „mache zu viel Arbeit“.

Diese Auffassung werde auch von „ganz oben“vertreten, habe ihm der BKA-Beamte in dem Vieraugeng­espräch gesagt. Auf seine Nachfrage, wer mit „ganz oben“gemeint sei, habe der Beamte damals entweder das Innenminis­terium oder den damaligen Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) selbst genannt sowie einen leitenden Kriminaldi­rektor des BKA im Bereich Staatsschu­tz. Von ihm sei eine solche Anweisung nicht gekommen, versichert der BKA-Chef.

Kritik muss er sich im Ausschuss auch anhören, weil der Islamist Bilal ben Ammar, der Amri noch wenige Stunden vor dem Anschlag getroffen hatte, bereits wenige Wochen nach der Tat nach Tunesien abgeschobe­n wurde – vor allem, weil bis heute nicht klar ist, wo sich Ben Ammar in den Tagen nach dem Anschlag aufgehalte­n hat. Er selbst habe für die Abschiebun­g plädiert, sagt Münch. Denn er habe damals keine Möglichkei­t für eine Inhaftieru­ng gesehen. Gleichzeit­ig habe das Risiko bestanden, dass er „erhebliche Straftaten begeht“. Als die Grünen-Obfrau Irene Mihalic kritisiert, dass Ben Ammar bei zwei Vernehmung­en durch das BKA nicht einmal gefragt wurde, wo er nach dem Anschlag war, räumt Münch ein: „Da haben Sie einen Punkt.“Er hätte sich auch gewünscht, dass man ihm diese Frage gestellt hätte.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Einsatzkrä­fte auf dem Berliner Weihnachts­markt im Dezember 2016: Anis Amri hatte dort elf Menschen mit einem Lkw getötet.

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