Schwäbische Zeitung (Biberach)
Teure Post aus Brüssel
EU will Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit ahnden
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BRÜSSEL (dpa) - Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz könnten für EU-Staaten wie Polen und Ungarn künftig teuer werden. Trotz Drohungen aus Warschau und Budapest einigten sich Vertreter anderer EU-Länder und des Europaparlaments am Donnerstag auf ein Verfahren zur Kürzung von EU-Mitteln bei bestimmten Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit. Mit Spannung wird nun erwartet, ob Ungarn und Polen wirklich aus Protest dagegen wichtige Entscheidungen blockieren.
Polens Vize-Justizminister Sebastian Kaleta bezeichnete den Deal als eine „Einigung auf einen beispiellosen Bruch der EU-Verträge. Die per Mehrheitsentscheidung vorgesehene Einführung des Rechtsstaatsmechanismus stelle aus Polens Sicht eine „totale Missachtung“der Rechtsstaatlichkeit dar. Genauso gut könne sich eine Mehrheit der EUStaaten darauf einigen, dass alle nationalen Steuereinnahmen künftig in den EU-Haushalt fließen müssten, kommentierte Kaleta.
Die für die Mehrheit der EU-Regierungen sprechende deutsche EU-Ratspräsidentschaft verteidigte das Vorgehen. „Der neue Konditionalitätsmechanismus wird den Schutz des EU-Haushalts stärken, wenn Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze zu einem Missbrauch von EU-Mitteln führen“, sagte Botschafter Michael Clauß. Nun gelte es auch, die Verhandlungen über den langfristigen EUHaushalt und das Corona-Konjunkturpaket schnell abzuschließen.
Mit dem neuen Rechtsstaatsmechanismus könnte es erstmals in der Geschichte der Europäischen Union möglich werden, die Missachtung von grundlegenden EUWerten im großen Stil finanziell zu ahnden. Konkret soll dies zum Beispiel dann der Fall sein, wenn eine mangelnde Unabhängigkeit von Gerichten in einem Empfängerstaat den Missbrauch von EU-Mitteln ermöglicht oder ganz klar fördert.
Vor allem dem mächtigen Chef der nationalkonservativen polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, und dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán wurde vorgeworfen, ihren Einfluss auf die Justiz in unzulässiger Weise auszubauen. Gerade deswegen birgt die Einigung auch politischen Sprengstoff. Ungarn und Polen haben mit einer Blockade von wichtigen EU-Entscheidungen zum Gemeinschaftshaushalt gedroht, sollte der Rechtsstaatsmechanismus wirklich eingeführt werden. Dies könnte auch dazu führen, dass das Corona-Konjunkturprogramm der EU nicht starten kann.