Schwäbische Zeitung (Biberach)

Nichts ist schlimmer als die Unsicherhe­it

Die baden-württember­gische Wirtschaft fürchtet einen wochenlang­en Streit um das US-Wahlergebn­is

- Von Benjamin Wagener und Florian Peking

RAVENSBURG - Es ist ja nicht so, dass die deutsche Wirtschaft, allen voran die verarbeite­nde Industrie, keine Probleme gehabt hätte. Nach dem Einbruch infolge der CoronaPand­emie im Frühjahr sorgt nun ein neuer Teil-Lockdown für Verunsiche­rung. Dazu kommt, dass die Auftragsfl­aute im Maschinenb­au schon lange vor dem Auftauchen des Virus in Europa eingesetzt hat. Während die Unternehme­n der für BadenWürtt­emberg so wichtigen Branche an einer Digitalisi­erung ihrer Geschäftsp­rozesse arbeiten, kämpfen die Autobauer und ihre Zulieferer mit der Umstellung von Verbrennun­gsmotoren auf Elektroant­riebe.

Auf neues Ungemach – vor allem auf die Unruhe beim wichtigste­n deutschen Handelspar­tner – hätten die Unternehme­n also verzichten können. Doch mit der knappen Ausgang der Präsidente­nwahl in den USA und der Gefahr, dass Amtsinhabe­r Donald Trump eine mögliche Niederlage nicht anerkennen und sich die Übernahme der Macht in Washington über Wochen und Monate hinziehen könnte, entsteht genau das: Unruhe und Ungewisshe­it. Eine Situation, die es den Unternehme­n nicht einfacher macht, sich aus der Rezession zu kämpfen.

Genau die Gefahr sieht das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Eine längere Auseinande­rsetzung über die Legitimitä­t der Wahl würde ein Führungsva­kuum in den USA schaffen, das für die amerikanis­che und die Weltwirtsc­haft kritische Folgen hätte, sagt IW-Wissenscha­ftschef Hubertus Bardt. „Die Weltwirtsc­haft ist durch die CoronaPand­emie bereits schwer angeschlag­en. Vom wirtschaft­lichen Zentrum USA und dessen Führungskr­aft muss Stabilität ausgehen, nicht weitere Unsicherhe­it.“Eine schnelle Klärung der Wahlergebn­isse sei wichtig – nicht nur für die USA.

Genau diese für Unternehme­n so entscheide­nde Planungssi­cherheit fordert auch der Motorenbau­er Rolls-Royce Power Systems (RRPS) aus Friedrichs­hafen am Bodensee. „Für das amerikanis­che Volk und die Wirtschaft hoffe ich, dass ein Ergebnis zügig feststeht. Und dass der Unterlegen­e das Ergebnis akzeptiert, ohne eine längere juristisch­e Hängeparti­e zu verursache­n“, sagt Vorstandsc­hef Andreas Schell. „Denn alle wünschen sich ein Mindestmaß an Planungssi­cherheit wie man sich in den nächsten vier Jahren auf die US-Administra­tion einstellen kann. Wer immer das Rennen macht, es wäre gut, wenn die EU wieder ein relevanter­er Partner wird.“

Der Friedrichs­hafener Autozulief­erer ZF wünscht sich „als global tätiges Unternehme­n, das seit mehr als 40 Jahren in den USA präsent ist und dort rund ein Viertel seines Umsatzes erwirtscha­ftet“, eine „verlässlic­he und kooperativ­e US-Politik“, wie ein Sprecher auf Anfrage erklärte. „Wir hoffen, dass wir diese Beziehung aufrechter­halten können. Dazu gehört ein freier Welthandel ebenso wie ein klares Bekenntnis zu internatio­nalen Abkommen und Institutio­nen.“

Aus diesen Worten spricht die Hoffnung, dass mit einer Abwahl von Amtsinhabe­r Trump auch die Politik der USA ein Ende haben könnte, die in den vergangene­n Jahren vor allem darauf setzte, internatio­nale Organisati­onen wie die Welthandel­sorganisat­ion oder die Vereinten Nationen systematis­ch zu schwächen und multilater­ale Verträge aufzukündi­gen. Aber auch die Gefahr von neuen Strafzölle­n auf deutsche Autos, mit denen Trump zuletzt immer wieder gedroht hat.

Nicht zuletzt das Handelsbil­anzdefizit der USA gegenüber Deutschlan­d kritisiert US-Präsident Donald Trump seit Jahren. Während deutsche Unternehme­n im Jahr 2019 Waren in einem Wert von rund 119 Milliarden – neben chemischen Produkten in der Hauptsache Maschinen, Autos und Fahrzeugte­ile – in die USA einführten, exportiere­n US-Unternehme­n im gleichen Zeitraum nur Produkte mit einem Wert von 71,4 Milliarden Euro in die Bundesrepu­blik. „Die USA sind unser wichtigste­r Exportmark­t, viele unserer Unternehme­n sind dort auch mit eigener Produktion engagiert. Deshalb sind sie auf stabile Verhältnis­se angewiesen“, sagt ein Sprecher von Südwestmet­all. Der Verband vertritt Unternehme­n der Metall- und Elektroind­ustrie in Baden-Württember­g. „Unsere Hoffnung ist, dass sobald ein Ergebnis feststeht, dies auch von der unterlegen­en Seite anerkannt wird“, sagte der Sprecher weiter. „Wenn irgendwelc­he Bürgerwehr­en auf die Straße gingen, um einen Regierungs­wechsel zu verhindern, wäre dies der Worst Case.“

Thomas Burger, Präsident des Wirtschaft­sverbands Industriel­ler Unternehme­n Baden, spricht sogar von einem „schlechten Tag für Wohlstand und Hoffnung“nach den wohl länger ungeklärte­n Machtverhä­ltnissen in den USA. „Die Welt leidet. Heute politisch, bald wirtschaft­lich“, sagt Burger weiter. „Ein eindeutige­s Wahlergebn­is hätte Klarheit geschaffen. Das knappe und umstritten­e Ergebnis, das zudem quälend lange auf sich warten lassen wird, macht die mehrfache innere Spaltung der USA nach außen sichtbar wie nie zuvor.“

Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtsc­haft (ifw) in Kiel, befürchtet wegen des knappen Wahlausgan­gs, dass der spätere Sieger – egal ob es Trump oder sein demokratis­cher Herausford­erer Joe Biden sein wird – mit einem schwachen Mandat ausgestatt­et sein wird. „Damit drohen viele wichtige Entscheidu­ngen in der Schwebe zu bleiben. Auch das noch vor der Amtseinfüh­rung des neuen Präsidente­n kurzfristi­g geplante Stimuluspa­ket für die Konjunktur in der Corona-Krise könnte scheitern“, sagt Felbermayr. Der Schluss, der aus dieser Analyse zu ziehen wäre, liegt für den ifwChef allerdings auf der Hand. „Die Wahl führt Deutschlan­d und Europa erneut vor Augen, dass wir uns darauf konzentrie­ren müssen, unsere eigenen Stärken auszubauen“, sagt Felbermayr. „Wesentlich­er Baustein dafür ist der europäisch­e Binnenmark­t, der möglichst groß und integriert sein sollte. Er ist das Pfund, mit dem Europa wuchern kann.“

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FOTO: DPA Daimler-Chef Ola Källenius stellt Anfang des Jahres auf der CES in Las Vegas das Fahrzeug Vision AVTR vor: Vor allem für die deutschen Premiumher­steller Mercedes, BMW und Audi sind die USA ein entscheide­nder Markt.

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