Schwäbische Zeitung (Biberach)

AHA-Erlebnis am Arbeitspla­tz

Lockdown 2.0: Die Rechtslage rund um die Corona-Verordnung­en in Unternehme­n

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Die Rechtslage rund um die Corona-Verordnung­en ist auch in der zweiten Phase der Kontaktbes­chränkunge­n weiter unübersich­tlich. Selbst am Arbeitspla­tz kommt es zu Konflikten – schließlic­h herrschen auch in Betrieben unterschie­dliche Einschätzu­ngen des richtigen Vorgehens. Wir klären die wichtigste­n Fragen.

Wenn ein/e Mitarbeite­r/in Hygienemaß­nahmen verweigert, kann der Arbeitgebe­r dann eine Abmahnung oder Kündigung ausspreche­n?

Die Firmenleit­ung kann ihr geltendes Hygienekon­zept notfalls auch mit Ermahnunge­n, Abmahnunge­n und Kündigunge­n durchsetze­n. Das gilt auch für das Tragen einer Maske beispielsw­eise bei Kundenkont­akt oder in Situatione­n mit höherem Ansteckung­srisiko. „Voraussetz­ung ist allerdings, dass die Regeln vorher in einer Dienstanwe­isung festgelegt wurden“, sagt Volker Serth, Fachanwalt für Arbeitsrec­ht bei der Wirtschaft­skanzlei FPS in Frankfurt. Eine rechtmäßig­e Dienstanwe­isung werde zum Teil des Arbeitsver­trags. Wenn ein Mitarbeite­r sich also weigert, in den vorher festgelegt­en Situatione­n seine Maske korrekt zu tragen, ist auch eine Abmahnung möglich. „Der Arbeitgebe­r hat für die Beurteilun­g solcher Situatione­n einen erhebliche­n Ermessenss­pielraum“, sagt Serth.

Welche Kriterien gelten hier?

In Deutschlan­d ist die gesundheit­liche Sicherheit der Mitarbeite­r grundsätzl­ich gut geschützt. Wo Ansteckung­srisiken herrschen, darf der Arbeitgebe­r eingreifen und auch entspreche­nde Vorgaben machen. „Wenn eine Maßnahme damit begründet ist, die Gesundheit anderer Mitarbeite­r zu schützen, dann ist sie auf jeden Fall gerechtfer­tigt“, sagt Serth. Das Wohlbefind­en und die Sicherheit der Kunden sind ebenfalls starke Argumente. Im Außenkonta­kt – etwa an der Theke einer Bäckerei – lassen sich also Masken vorschreib­en, auch wenn die örtliche CoronaVero­rdnung

das für Verkaufspe­rsonal nicht zwingend vorsieht.

Gilt das auch in Situatione­n, in denen die Hygienereg­eln offensicht­lich unsinnig sind?

Grundsätzl­ich müssen Arbeitnehm­er keinen Forderunge­n des Chefs Folge leisten, die ganz klar widersinni­g sind. Wenn dieser etwa verlangt, dass Mitarbeite­r auch in gut gelüfteten Einzelbüro­s ständig Masken tragen, dann müssen diese sich nicht daran halten. Doch die Mitarbeite­r können nicht auf eigene Faust entscheide­n, was ihnen sinnvoll erscheint. Es gelten die Regeln und Standards, die von den Behörden mitgeteilt werden, beispielsw­eise die drei Regeln „Abstand halten, Hände waschen, Alltagsmas­ke tragen“(AHA).

Was ist, wenn ein Mitarbeite­r die Existenz der Pandemie leugnet und mit dieser Begründung nicht bei Hygienemaß­nahmen mitmacht?

Auch wer selbst nicht an das Virus oder die Wirksamkei­t des Infektions­schutzes glaubt, muss sich an Dienstanwe­isungen des Chefs halten. Wenn es Streit um die Anweisunge­n geben sollte und es zu einer Auseinande­rsetzung vor dem Arbeitsger­icht kommt, dann ist der Stand der Wissenscha­ft maßgeblich, wie anerkannte Experten ihn vertreten. Es wird auch den Wortlaut und Geist der geltenden Verordnung­en heranziehe­n. Auch die Einschätzu­ngen der örtlichen Gesundheit­sämter können eine Rolle spielen.

Wie kann ich reagieren, wenn der Arbeitgebe­r extrem viel Hygiene verlangt?

Sich besonders für den Infektions­schutz zu engagieren, liegt in dem Bereich, in dem entspreche­nde Dienstanwe­isungen auch vor Gericht Bestand haben. „Der Arbeitgebe­r hat in seinem Betrieb das Heft des Handelns in der Hand“, sagt Serth. Die Anordnunge­n des Arbeitgebe­rs müssen verhältnis­mäßig sein. Sollten sie unverhältn­ismäßig sein, muss sich der Arbeitnehm­er nicht daran halten.

Was ist, wenn ein Arbeitgebe­r in den Augen der Mitarbeite­r nicht genug für deren Schutz tut?

Wenn ein Betrieb gegen die bekannten Regeln und Verordnung­en verstößt, können die Arbeitnehm­er sich wehren. Wenn Arbeiter beispielwe­ise in engen, ungelüftet­en Räumen lange Zeit ohne Masken zusammenar­beiten sollen, können sie im Zweifelsfa­ll zu Hause bleiben oder einen anderen Einsatzort verlangen. „Wenn der Arbeitnehm­er durch das Verhalten des Arbeitgebe­rs gefährdet wird, besteht Leistungsv­erweigerun­gsrecht“, sagt Serth. Das Gehalt muss dennoch weitergeza­hlt werden. Für Lkw-Fahrer sei beispielsw­eise längst entschiede­n, dass sie ihre Lenkzeiten nicht überschrei­ten dürfen, auch wenn der Chef es von ihnen verlangt. Die Angestellt­en können ihren Chef anderersei­ts aber auch nicht zwingen, besonders strenge Corona-Regeln zu erlassen, die über das allgemein anerkannte Maß hinausgehe­n.

Kann ich von den Kollegen mehr Schutz verlangen, beispielsw­eise das Tragen von Masken?

Derzeit fühlen einige Menschen sich gefährdete­r als andere. Wenn beispielsw­eise im Großraumbü­ro bereits ein Hygienekon­zept mit Trennwände­n und Luftreinig­ern umgesetzt ist, können einzelne Mitarbeite­r nicht verlangen, dass alle anderen zusätzlich immer auch Masken tragen. Sie können vom Chef auch nicht verlangen, strengere Anweisunge­n zu geben – so funktionie­rt das Arbeitsleb­en nicht. „Hier wäre sicher das Gespräch über einen Homeoffice-Arbeitspla­tz sinnvoll“, sagt Serth. In akuten Situatione­n wie physischen Besprechun­gen lassen sich die AHA-Regeln natürlich auch unter Kollegen jederzeit anmahnen.

Kann mich der Arbeitgebe­r zu einem Corona-Test zwingen?

In dem meisten Fällen geht das nicht. Allerdings dürfte ein Arbeitgebe­r berechtigt sein, den Gesundheit­szustand der Arbeitnehm­er zu überprüfen – dies aber nur bei Infektions­verdacht. In diesem Fall dürfe er ein ärztliches Attest verlangen, sagt Fachanwalt Serth.

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FOTO: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH/DPA Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist auch in vielen Betrieben mittlerwei­le verpflicht­end.

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