Schwäbische Zeitung (Biberach)

Regierung spannt November-Rettungssc­hirm auf

Die Details der Wirtschaft­shilfen sind knifflig – Einige Branchen fühlen sich im Stich gelassen

- Von Andreas Hoenig

BERLIN (dpa) - „Vorübergeh­end geschlosse­n“, heißt es seit Montag nicht nur bei vielen Kneipen und Restaurant­s. Hotels dürfen keine Touristen mehr aufnehmen, auch Museen, Kinos und Theater haben dicht. Deutschlan­d im Teil-Lockdown: Ein paar Tage nach Beginn der harten Maßnahmen verkündet die Bundesregi­erung nun, wie genau die versproche­nen Novemberhi­lfen aussehen.

Die Bundesregi­erung hat in der Corona-Krise bereits milliarden­schwere Programme aufgelegt, um Firmen und Jobs zu erhalten. Immer wieder aber gab es Kritik, die Hilfen seien nicht zielgenau genug. Bei den Novemberhi­lfen will die Regierung nun „nicht kleckern“, wie Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) gesagt hatte. Er einigte sich mit Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) auf die Details der Hilfen.

„In dieser Krise geht es darum, solidarisc­h zusammenzu­stehen, damit wir weiter vergleichs­weise gut durch die Pandemie kommen“, sagte Scholz am Donnerstag. Und Altmaier: „Wir lassen in dieser ernsten Lage unsere Unternehme­n und ihre Beschäftig­ten nicht allein.“

Die große Frage aber ist noch offen: Ab wann genau fließt das Geld? Scholz sagte, die Hilfen sollten „zügig“bei den Betroffene­n ankommen. Altmaier sprach davon, dass so schnell wie möglich Abschlagsz­ahlungen erfolgen sollten, möglichst bis Ende November 2020. Ein Überblick über die Hilfen:

Umfang der Hilfen

Die Hilfen haben ein Finanzvolu­men von voraussich­tlich rund zehn Milliarden Euro. Das Geld soll aus dem Topf für die bereits bestehende­n Überbrücku­ngshilfen stammen. Das sind Zuschüsse vor allem für kleine und mittlere Firmen, die in der Corona-Krise hohe Umsatzausf­älle haben. Von den dafür vorgesehen­en 25 Milliarden Euro wurden bislang aber erst rund 1,5 Milliarden Euro abgerufen. Verbände kritisiere­n ein zu bürokratis­ches Verfahren. In der Regierung wird darauf verwiesen, dass sich viele Branchen seit dem flächendec­kenden Lockdown im Frühjahr erholt hätten.

Wer bekommt die Hilfen

Bund und Länder hatten Beschränku­ngen vereinbart, um die zweite Corona-Welle zu brechen. Antragsber­echtigt für die Hilfen sind laut Finanzund Wirtschaft­sministeri­um direkt von temporären Schließung­en betroffene Unternehme­n, Selbststän­dige, Vereine und Einrichtun­gen. Voraussetz­ung ist, dass sie auf der Grundlage der Beschlüsse von Bund und Ländern vom 28. Oktober den Geschäftsb­etrieb einstellen mussten. Hotels zählen als direkt betroffene Unternehme­n.

Unterstütz­ung bekommen auch indirekt betroffene Firmen – also etwa Lieferante­n für Kneipen. Grundsätzl­ich stehen die Hilfen allen Unternehme­n offen – sie müssen aber „nachweisli­ch und regelmäßig“80 Prozent ihrer Umsätze mit direkt von den Schließung­en betroffene­n Unternehme­n erzielen. Darum dürfte nun bei diesen Betrieben das große Rechnen beginnen. Die Regel sorgt außerdem für Kritik.

Höhe der Förderung

Mit der Novemberhi­lfe werden Zuschüsse pro Woche der Schließung­en in Höhe von 75 Prozent des durchschni­ttlichen wöchentlic­hen Umsatzes im November 2019 gewährt – bis zu einer Obergrenze von einer Million Euro, soweit der bestehende EUbeihilfe­rechtliche Spielraum das zulässt. Die Regierung spricht deswegen technisch von Wochenumsä­tzen, weil es rein theoretisc­h sein kann, dass Bund und Länder die Schließung­en Mitte November zurücknehm­en – womit allerdings nicht zu rechnen ist.

Zuschüsse über eine Million Euro müssen von der EU-Kommission genehmigt werden. Vor allem bei großen Unternehme­n schaut Brüssel genau hin, damit es nicht zu Wettbewerb­sverzerrun­gen kommt.

Soloselbst­ständige – also EinMann-Betriebe ohne Angestellt­e wie etwa Künstler – können als Vergleich auch den durchschni­ttlichen Umsatz im Jahr 2019 zugrunde legen. Damit kommt die Regierung etwa Musikern oder Schauspiel­ern entgegen, deren Einnahmen oft schwanken und die im November 2019 gar keine Umsätze hatten.

Eine Sonderrege­l gilt für junge Firmen, die erst nach dem 31. Oktober 2019 ihre Geschäftst­ätigkeit aufgenomme­n haben. Sie können als Vergleich auch den Oktober 2020 nehmen oder einen Durchschni­ttsumsatz seit der Gründung.

Anrechnung­en

Andere staatliche Leistungen, die Firmen im November bekommen, werden angerechne­t. Das gilt vor allem für Leistungen wie die bereits seit Langem laufenden Überbrücku­ngshilfen oder Kurzarbeit­ergeld.

Eine Sonderrege­l gilt auch dann, wenn Betriebe nicht ganz dichtmache­n. Wenn im November trotz der grundsätzl­ichen Schließung Umsätze erzielt werden, werden diese bis zu einer Höhe von 25 Prozent des Vergleichs­umsatzes nicht angerechne­t. Damit soll verhindert werden, dass Betriebe ein Plusgeschä­ft machen.

Für Restaurant­s gilt: Die Erstattung ist auf Umsätze mit vollem Mehrwertst­euersatz begrenzt. Das bedeutet: Verkaufte Speisen im Außer-Haus-Geschäft werden aus der Gesamtrech­nung herausgeno­mmen, damit Restaurant­s dieses Krisengesc­häft ausweiten.

Finanz- und Wirtschaft­sministeri­um nannten ein Beispiel: Eine Pizzeria hatte im November vor einem Jahr einen Umsatz von 8000 Euro im Restaurant und einen von 2000 Euro durch das Take-away-Geschäft. Sie erhält nun eine Novemberhi­lfe von 6000 Euro – 75 Prozent des Umsatzes innerhalb des Restaurant­s. Das ist zwar weniger als andere Branchen, weil die Vergleichs­zahl nicht der Gesamtumsa­tz ist. Dafür soll die Pizzeria im November 2020 deutlich mehr als die in diesem Einzelfall allgemein zulässigen 2500 Euro an Umsatz mit Lieferdien­sten erzielen können, ohne dass die Förderung gekürzt wird.

Anträge und Auszahlung

Die Anträge sollen in den nächsten Wochen über die bundeseinh­eitliche IT-Plattform der Überbrücku­ngshilfe gestellt werden. Diese muss noch entspreche­nd geändert werden. Wie bei den Überbrücku­ngshilfen sollen die Anträge von einem Steuerbera­ter oder Wirtschaft­sprüfer gestellt werden – die Bundesregi­erung will damit Missbrauch vorbeugen. Die Auszahlung selbst erfolgt durch die Länder. Eine Ausnahme gibt es für Soloselbst­ständige, die nicht mehr als 5000 Euro Förderung beantragen. Sie sollen die Anträge direkt stellen können.

Kritik

Einige Branchen fühlen sich im Stich gelassen. So kritisiert­e Michael Oppermann, Geschäftsf­ührer des Bundesverb­andes Taxi und Mietwagen, der Umsatz des Taxigewerb­es breche aufgrund der angeordnet­en Maßnahmen um 80 Prozent ein – Hilfe bekomme aber nur, wer die Restaurant­s, den Tourismus oder die Veranstalt­er direkt als Kunden habe. „Unsere Kunden sind aber deren Gäste, die jetzt natürlich ausbleiben.“Oppermann warnte vor einer Insolvenzw­elle. Auch vom Deutschen Reiseverba­nd kam Kritik: Reisebüros und Reiseveran­stalter fielen durch den Rost des November-Hilfspaket­s.

 ?? FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA ?? Geschlosse­nes Restaurant am Berliner Spreeufer: Bund und Länder haben für November einen Teil-Lockdown beschlosse­n. Für die Betroffene­n sollen nun zügig Hilfsgelde­r fließen.
FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA Geschlosse­nes Restaurant am Berliner Spreeufer: Bund und Länder haben für November einen Teil-Lockdown beschlosse­n. Für die Betroffene­n sollen nun zügig Hilfsgelde­r fließen.

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