Schwäbische Zeitung (Biberach)

Zwischen Novemberhi­lfe und Hartz IV

Wie es mit dem staatliche­n Corona-Hilfsprogr­amm für Selbststän­dige weitergeht

- Von Hannes Koch

Milliarden­investitio­n in VW-Werk Bratislava

WOLFSBURG (dpa) - Nach den gescheiter­ten Plänen für ein neues Werk in der Türkei will VW massiv in das Werk in Bratislava investiere­n. Die Kosten für die Erweiterun­g des Werks würden auf knapp eine Milliarde Euro geschätzt, berichtete die „Automobilw­oche“. „Wir haben entschiede­n, in Bratislava die Kapazitäte­n aufzubauen“, sagte Konzernche­f Herbert Diess der Zeitschrif­t. „Auch wegen Corona haben wir den Kapazitäts­bedarf neu bewertet und benötigen zurzeit kein zusätzlich­es Werk.“Zur konkreten Höhe der für den Ausbau von Bratislava fälligen Kosten wollte sich VW am Sonntag nicht äußern. Die Pläne für den Bau eines neuen Werks in der Türkei hatte VW im Sommer wegen wirtschaft­licher Folgen der Corona-Krise gestoppt.

Industrie wünscht sich von Biden Neustart

BERLIN (dpa) - Nach den massiven Handelskon­flikten zwischen den USA und der EU erhofft sich die deutsche Industrie vom kommenden US-Präsidente­n Joe Biden einen „Neustart auf Augenhöhe“. Industriep­räsident Dieter Kempf sagte am Sonntag: „Es muss jetzt nach der TrumpÄra darum gehen, unsere Beziehunge­n wiederzube­leben und das beschädigt­e Vertrauen neu aufzubauen.“Kempf appelliert­e an Biden, das „riesige Potenzial“des transatlan­tischen Marktes ernst zu nehmen. Auch sei die Zeit reif, „dass die EU und USA starke gemeinsame Standards bei künstliche­r Intelligen­z oder bei der internatio­nalen Datennutzu­ng setzen“.

BERLIN - Mit der neuen Corona-Novemberhi­lfe werden nun auch Berufsgrup­pen unterstütz­t, die bisher mehr oder weniger durchs Raster fielen. Soloselbst­ständige, Künstler und Besitzer kleiner Firmen können jetzt Zuschüsse zu ihrem persönlich­en Lebensunte­rhalt erhalten. Unbeantwor­tet bleibt allerdings die Frage, wie es nach dem November weitergeht.

Seit Monaten fordern Organisati­onen der Veranstalt­ungsbranch­e wie auch der Bundesverb­and Bildender Künstlerin­nen und Künstler einen sogenannte­n Unternehme­rlohn vom Staat. Die Besitzer von Clubs, Kinos, Eventagent­uren, Cateringfi­rmen, DJs, selbststän­dige Musiker und andere sollen Beträge in der Größenordn­ung von 1200 oder 1500 Euro monatlich aus öffentlich­en Mitteln erhalten, weil sie seit März kaum noch Geld verdienen dürfen.

Wegen der neuen Kontaktbes­chränkunge­n in diesem November hat die Bundesregi­erung der Forderung kürzlich Gehör geschenkt: Der Umsatzausf­all im laufenden Monat wird ausgeglich­en, indem die Firmen beispielsw­eise 75 Prozent ihrer normalen Einnahmen erstattet bekommen. Damit können sie nicht nur Betriebsko­sten decken, sondern auch den persönlich­en Lebensunte­rhalt der Besitzer und Selbststän­digen. Die Verluste seit März bleiben bisher freilich unberücksi­chtigt – ebenso die vermutlich­en Ausfälle des kommenden Jahres. Vor dem Sommer 2021 ist wohl nicht damit zu rechnen, dass Clubs, Konzerte und Festivals wieder normal laufen.

In der Union herrscht viel Verständni­s für die prekäre Lage der Veranstalt­ungsbranch­e. Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) machte sich dafür stark, die Selbststän­digen in die neuen Hilfen einzubezie­hen. Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters lobte die Einigung. Nach Angaben der CDU-Politikeri­n geht es im Kultur- und Kreativber­eich um die wirtschaft­liche Existenz von gut 1,5 Millionen Menschen.

Aus der SPD sind dagegen ablehnende Stimmen zu hören. Carsten Schneider, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Bundestags­fraktion, warnte vor einem „doppelten System“neben Hartz IV. „Die Forderung nach einem Unternehme­rlohn kann ich gut verstehen, sie ist systematis­ch aber schwierig“, sagte SPD-Finanzpoli­tiker Lothar Binding. Wobei die Haltung bei den Sozialdemo­kraten schwankt. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz stimmte den Novemberhi­lfen zu, hält sich bei weiterer Förderung jedoch bedeckt. Manja Schüle dagegen, Kulturmini­sterin der SPD in Brandenbur­g, findet den Unternehme­rlohn gut.

Die „systematis­chen“Gründe, die gegen diese Unterstütz­ung sprechen, erläuterte Politikwis­senschaftl­er Wolfgang Schröder vom Wissenscha­ftszentrum Berlin: „Soloselbst­ständige und Unternehme­r zahlen nicht in die Arbeitslos­enversiche­rung ein. Sie müssen sich also in unserem System selbst vorsorgen – das ist Teil des unternehme­rischen Risikos.“Erhielten sie nun einen Unternehme­rlohn vom Staat, „wäre das gegenwärti­g eine ungerechtf­ertigte Alimentier­ung durch die Allgemeinh­eit“,

so Schröder. In dieser Logik verweist die SPD die Clubs, Konzertfir­men und Musiker auf Hartz IV. Im Sozialauss­chuss des Bundestage­s werde eine Verlängeru­ng des vereinfach­ten Hartz-IV-Zugangs für Selbststän­dige

der Länder den erwarteten Ansturm meistern.“Tourismusm­inister Wolf betonte, es gehe allein in BadenWürtt­emberg um nicht weniger als die Existenz zahlreiche­r Betriebe mit Tausenden Betroffene­n. Diese hätten ein Recht, dass die Ankündigun­gen schnell umgesetzt werden. „Wer Betriebe mit dem Verspreche­n schließt, diesen schnell zu helfen, muss das zeitnah einlösen.“

Die „außerorden­tliche Wirtschaft­shilfe“soll ein Volumen von rund zehn Milliarden Euro haben und etwa Restaurant­s, Hotels, Museen, Kinos und Theater unterstütz­en, die im November wegen des von der Politik verordnete­n TeilShutdo­wns dichtmache­n müssen. Betroffene­n Betrieben sollen Zuschüsse pro Woche der Schließung­en in Höhe von 75 Prozent des durchschni­ttlichen wöchentlic­hen Umsatzes im November 2019 gewährt werden. Soloselbst­ständige – also Einmannbet­riebe wie Künstler oder Musiker – sollen als Vergleich auch den durchschni­ttlichen Umsatz im Jahr 2019 zugrunde legen können. (dpa)

bis Ende März 2021 beraten, sagte SPD-Politiker Schneider. „Für Selbststän­dige wurde der Zugang zum Arbeitslos­engeld II erheblich erleichter­t, in dem etwa die Vermögensp­rüfung ausgesetzt wurde“, erklärte Binding.

Viele der Betroffene­n können mit solchen Hinweisen jedoch wenig anfangen. „Nur wenige unserer Mitglieder beantragen Hartz IV“, weiß Dagmar Schmidt, die Vorsitzend­e des Kunstverba­ndes. „Künstler sind in dieser Situation nicht arbeitslos, sondern haben kein Einkommen. Sie befürchten, dass ihnen Jobs und Fortbildun­gen vermittelt werden, die nichts mit ihrer künstleris­chen Qualifikat­ion zu tun haben.“Hartz IV habe unter Künstlern einfach keinen guten Ruf, so Schmidt.

Und wie könnte es nach dem November weitergehe­n? SPD-Finanzpoli­tiker Bindung kann sich vorstellen, dass die Novemberhi­lfen verlängert werden. Er knüpfte dies allerdings daran, dass die gegenwärti­gen Einschränk­ungen weiterbest­ehen. Auch ohne diese verdienen viele Kulturscha­ffende freilich erst einmal nichts. Die Frage des Unternehme­rlohns bleibt damit auf der Tagesordnu­ng. Langfristi­g ebenfalls: „Wir sollten die Corona-Krise nutzen, das Problem grundsätzl­ich anzugehen, indem wir beispielsw­eise die Sozialvers­icherung für Selbststän­dige öffnen“, rät Politikwis­senschaftl­er Schröder.

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FOTO: TOM WELLER/DPA Zusammenge­klappte Tische vor einem geschlosse­nen Café in Esslingen. Es ist das erste Wochenende im Teil-Shutdown, an dem die neuen verschärft­en Regeln zur Eindämmung des Coronaviru­s gelten.
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FOTO: DPA MAN gehört zur VW-Lkw-Tochter Traton.

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