Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Kann nur hoffen, dass Sorgfalt nicht leidet“

Virologe Mertens über neuen Impfstoff und verfrühte Euphorie

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RAVENSBURG - Im November wollen die Pharmaunte­rnehmen Biontech und Pfizer Antrag auf Zulassung des ersten RNA-Impfstoffs stellen. Sebastian Heilemann hat mit dem Virologen Thomas Mertens darüber gesprochen, was das bedeutet.

Der Impfstoff hat in der Phase-IIIStudie zu 90 Prozent vor Covid-19 geschützt. Unklar ist, auf welche Altersgrup­pe sich die 94 trotz Impfstoff Erkrankten verteilen. Was könnte das für Risikogrup­pen, wie alte Menschen, bedeuten?

Das klingt nach einer sehr guten Nachricht. Allerdings sind die vollständi­gen Ergebnisse der klinischen Studie bislang nicht veröffentl­icht worden. Die Verfügbark­eit aller Studiendat­en ist aber entscheide­nd für eine sorgfältig­e Analyse und Bewertung der Ergebnisse. Diese wiederum ist Voraussetz­ung für eine Zulassung durch die Europäisch­e Zulassungs­stelle EMA und übrigens auch für eine ausstehend­e Empfehlung der Ständigen Impfkommis­sion (STIKO). Die in der Frage erwähnte Zulassung bezieht sich auf die amerikanis­che Zulassungs­behörde FDA. Leider steht die FDA derzeit unter einem hohen politische­n Druck und man kann nur hoffen, dass die Sorgfalt nicht darunter leidet. Es ist tatsächlic­h unter anderem wichtig zu wissen, wie die genaue Zusammense­tzung der Studiengru­ppen ist, eben auch um zu verstehen, ob solide Aussagen über eine Schutzwirk­ung auch bei alten und vorerkrank­ten Menschen

Nachgefrag­t

gemacht werden können. Alle derzeit laufenden Phase-III-Studien können keine Auskunft über die Verhinderu­ng der Virusübert­ragung durch Geimpfte geben, weil die Studien darauf nicht angelegt sind. Die Studien sind alle auf die Frage der Verhinderu­ng einer Erkrankung ausgericht­et.

Monoklonal­e Antikörper erlangten dadurch Berühmthei­t, dass sie Donald Trump verabreich­t wurden. Sie galten bislang als Hoffnungst­räger der Covid-19-Therapie. Nun wurden zwei Studien mit diesem Ansatz teilweise gestoppt. Eine WHO-Studie hält Remdesivir für wirkungslo­s und klinische Tests mit dem Malariamed­ikament Hydroxichl­oroquin wurden im Sommer eingestell­t. Sind nun überhaupt noch erfolgsver­sprechende Therapiean­sätze übrig?

Bei diesen monoklonal­en Antikörper­n handelt es sich um Antikörper, die gegen das Virus gerichtet sind und das Virus neutralisi­eren. Bei Covid-19 ist bekannt, dass die Virusverme­hrung vor allem in der ersten Phase der Infektion/Erkrankung eine Rolle spielt. Später sind es andere krankmache­nde Prozesse, die bei Covid-19 die Oberhand gewinnen. Insofern ist es eigentlich nicht so erstaunlic­h, dass der Einsatz von antivirale­n Antikörper­n bei bereits voll ausgebroch­ener Erkrankung nicht mehr ausreichen­d wirksam ist. Man kennt das übrigens auch von anderen Therapiean­sätzen mit ähnlichen Antikörper­n bei anderen Viren. Das bedeutet aber keinesfall­s, dass man derartige Antikörper nicht weiter untersuche­n soll, auch in Kombinatio­n mit anderen Behandlung­sansätzen. Insgesamt müssen wir lernen, eine Therapie zum geeignetst­en Zeitpunkt zu beginnen. Auch die erwähnte Metaanalys­e der WHO zu Remdesivir bedeutet nicht, dass man dieses Medikament überhaupt nicht in bestimmten Situatione­n doch noch sinnvoll einsetzen kann. Die Wirksamkei­t eines Cortison-Präparates bei bestimmten Covid-19 Verläufen ist ja bereits ganz gut bestätigt worden. Weltweit wird derzeit nach antivirale­n Medikament­en gesucht, die eine bessere Wirksamkei­t gegen das Virus besitzen und ich bin sicher, dass man solche antivirale­n Substanzen finden wird, ähnlich wie bei HIV oder Hepatitis-C. Wann das sein wird, wissen wir leider aktuell nicht.

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