Schwäbische Zeitung (Biberach)

Tötung einer Kranken aus Liebe?

Nach 70 Jahren Ehe soll ein Mann seine demente Frau erstickt haben – Prozess in Würzburg offenbart Pflegedile­mma

- Von Angelika Resenhoeft

WÜRZBURG (dpa) - Jahrelang kümmert sich ein Mann jenseits der 80 nahezu allein um seine demente Frau. Kinder hat das Paar keine. Unterstütz­ung kommt nur zweimal in der Woche von einer Sozialstat­ion. Ende 2019 ist der zupackend wirkende Rentner aus dem unterfränk­ischen Gemünden am Main nach eigener Aussage körperlich und seelisch am Ende. Nach fast 70 Jahren Ehe soll die schwer kranke 91-Jährige in ein Heim, weil die Rundumbetr­euung ihn auslaugt – doch der 92-Jährige ist verzweifel­t und will sich nicht von der Liebe seines Lebens trennen.

So fasst der offensicht­lich hoffnungsl­ose Mann einen weitreiche­nden Entschluss. Am Abend des 3. November 2019 erstickt er seine Frau, die ihn nach eigener Angabe kaum noch erkennt, im Bett. Danach wählt er den Notruf, legt sich mit einem Föhn in eine Wanne voll Wasser und schaltet ihn an. Doch der Suizidvers­uch misslingt.

Seit Dienstag muss sich der 92Jährige vor dem Landgerich­t Würzburg wegen Totschlags verantwort­en, „ohne ein Mörder zu sein“, wie Oberstaats­anwalt Thorsten Seebach sagt.

Geboren 1928, Jugend im Zweiten Weltkrieg, Flucht, Rückkehr nach Hause, Lehre, später ein eigenes Geschäft für Malerbedar­f – das Schwurgeri­cht blickt auf ein bewegtes Leben des Angeklagte­n zurück. „Meine

Frau und ich waren 70 Jahre glücklich verheirate­t“, zitiert der Verteidige­r seinen Mandanten. „Uns gab es nur im Doppelpack.“Doch mit den Schwierigk­eiten der häuslichen Pflege eines schwer kranken Menschen sei die Lebenslust und -kraft beider geschwunde­n.

Hilflos, überforder­t – die Polizisten, die den Rentner nach der Tat finden, berichten dem Gericht von einem offensicht­lich gebrochene­n Menschen. „Ich fand einen völlig verzweifel­ten, erschöpfte­n und lebensmüde­n Mann vor mir“, sagt ein Beamter. Der Angeklagte habe noch in der Wanne gesagt: „Ich kann meine Frau nicht mehr versorgen. Es geht nicht mehr. Wir wollen nicht mehr leben.“Irgendwie habe er in diesem Moment sogar Verständni­s für den 92-Jährigen gehabt. „Ich habe ihm das geglaubt, dass er völlig fertig und erschöpft ist.“

Die meisten pflegebedü­rftigen Menschen werden in Deutschlan­d daheim betreut, von Pflegekräf­ten und Angehörige­n. Für 2020 geht der Verband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) von rund vier Millionen Pflegebedü­rftigen aus. Mehr als drei Millionen leben zu Hause. Ausgebilde­te Pflegekräf­te fehlen an allen Ecken und Enden.

Bei einem Viertel der Haushalte sind Angehörige mehr als sieben Stunden mit der Pflege beschäftig­t – besonders zeitaufwen­dig ist es bei Menschen mit hohen Pflegegrad­en und Demenz, wie jüngst eine Umfrage

im Auftrag des Wissenscha­ftlichen Instituts der Allgemeine­n Ortskranke­nkassen ergab. Laut der Deutschen Stiftung Patientens­chutz legt die Studie den Finger in die Wunde, dass die zeitliche, psychische und physische Hauptlast allein bei pflegenden Angehörige­n bleibt.

„Ich habe mich in all den Jahren bestmöglic­h um meine Frau gekümmert“, verliest der Verteidige­r eine Erklärung seines Mandanten. Dieser habe nicht aus Eigennutz oder Feindselig­keit gehandelt, sondern aus Liebe.

„Ich habe ihn als rüstigen Rentner erlebt, der sich sehr liebevoll und viel um die Ehefrau gekümmert hat“, bestätigt der langjährig­e Hausarzt des Paares. Die Frau habe über viele Jahre hinweg körperlich und geistig abgebaut. Der Pflegeaufw­and sei zuletzt sehr hoch gewesen. Einkaufen, Haushalt, Garten, den Partner anziehen, Körperpfle­ge und vieles mehr: „Ich habe gemerkt, dass das alles sehr viel für ihn war“, erzählt der Mediziner. Von gemeinsame­n Suizidplän­en der Eheleute habe er nichts gewusst.

Die Anklage vermutet, dass der Deutsche seine Frau aus Aussichtsl­osigkeit erstickte, weil er mit ihr kein gemeinsame­s Leben in Gesundheit und Selbstbest­immung mehr führen konnte. Oberstaats­anwalt Seebach vermutet eine schwere depressive Verstimmun­g hinter der Tat und geht von einer vermindert­en Schuldfähi­gkeit aus. Das Urteil könnte am Donnerstag gesprochen werden.

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FOTO: NICOLAS ARMER/DPA Der 92-jährige Angeklagte im Landgerich­t Würzburg.

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