Schwäbische Zeitung (Biberach)

Eine Frage der Gerechtigk­eit

14 DFL-Clubs tagen, um über die Aufteilung der TV-Erlöse zu beraten – ein Quartett fehlt

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Die Frage, wieviel Geld ein Mensch für seine Arbeit verdient, was gerecht ist, ist eine hochphilos­ophische – und subjektive. Wer wichtiger ist, ob ein Krankenpfl­eger härter arbeitet oder ein Ingenieur, das ist Geschmacks­sache. In der freien Arbeitswel­t regeln das Ausbildung, Position, Tarife, die Branche und das jeweilige Unternehme­n, Steuern sorgen für einen Ausgleich.

Der Fußball hat sich für ein härteres Vorgehen entschiede­n, für die Extremlösu­ng: Es zählt allein der Erfolg, „the winner takes it all“. Er gibt jenen Clubs am meisten Geld, die vorne liegen und bereits am meisten haben, und es wundert kaum, dass sich diese dadurch mehr und mehr vom Rest absetzen. Es ist die Zementieru­ng des status quo, der bestehende­n Kräfteverh­ältnisse, und für viele ein Teufelskre­is – zumindest für Anhänger der Spannung und der Gleichheit wie das Commando Cannstatt. Die Hardcore-Fans des VfB Stuttgart durften am Samstag gegen Frankfurt ein Plakat in die verwaiste Mercedes-BenzArena hängen: „TV-Gelder endlich fair verteilen.“Sie wissen, es geht dagegen.

Tatsächlic­h steht der deutsche Fußball vor einer Zerreißpro­be. Angeheizt und unter Druck gesetzt von der Corona-Krise, die die Clubs nach Jahren des ungebremst­en Wachstums durch fehlende Fan- und Sponsorene­innahmen bis zu 30 Prozent ihrer Umsätze kostet, fordern etliche Vereine eine fairere Verteilung der Medienerlö­se, also jener 4,4 Milliarden Euro, die die TV-Sender in den vier Jahren bis 2025 an die 36 DFL-Clubs in der 1. und 2. Bundesliga auszahlen.

Ein Klassenkam­pf steht bevor, arm gegen reich, klein gegen groß, und wie intensiv er bereits geführt wird, zeigt das Beispiel Karl-Heinz Rummenigge. Der Vorstandsc­hef von Branchenkr­ösus FC Bayern hat für diesen Mittwoch 14 Erstligacl­ubs und den Zweitliga-Primus Hamburger SV in den opulenten „Airport Club“nach Frankfurt geladen, um offiziell über vielerlei Dinge zu beraten, etwa die Nachfolge des 2022 scheidende­n DFL-Chefs Christian Seifert. Die Geldvertei­lung spiele nur eine Nebenrolle, beschwicht­igt Rummenigge. Dass aber ausgerechn­et jene vier Erstligacl­ubs nicht eingeladen wurden, die kürzlich einen Vorschlag für eine Umverteilu­ng des Gelds von oben nach unten an das DFL-Präsidium schickten, darf als Kriegserkl­ärung gewertet werden.

Der FC Augsburg, Bielefeld, Mainz und der VfB, dessen Präsident Claus Vogt sich seit Jahren für mehr Fairness im Fußball einsetzt, müssen also draußen bleiben. In ihrem Positionsp­apier, das bereits 14 Unterstütz­er hat, vor allem aus der 2. Liga, fordern die Ausgebotet­en etwa, dass der Erstliga-Erste künftig maximal doppelt so viel Geld erhalten darf wie der Letzte. Derzeit bekommt Meister FC Bayern 70 Millionen Euro, Schlusslic­ht Arminia Bielefeld 30, durch die internatio­nalen TV-Einnahmen beträgt das Verhältnis jedoch in der Realität 4 zu 1. Zudem soll die 2. Liga mehr Geld erhalten, nationale und internatio­nale TV-Einnahmen künftig in einen Topf wandern. Auch 20 Prozent der Europacup-Erlöse, also 50 Millionen Euro statt wie bisher nur acht, sollen demnach an die 2. Liga gehen. Verlierer bei dieser Regelung wären die Champions-LeagueTeil­nehmer, insbesonde­re Rummenigge­s Bayern. Der Mainzer Finanzchef Jan Lehmann sagt: „Wir wollen wieder mehr sportliche­n als wirtschaft­lichen Wettbewerb. Wir haben durchaus ein mehrheitsf­ähiges Papier.“

In dem steht noch mehr Kreatives, etwa die Forderung eines „neuen Leistungsk­riteriums zur Belohnung der relativen sportliche­n Leistung“. Platzierun­gen sollen also künftig ins Verhältnis zum wirtschaft­lichen Investment der Vereine gesetzt werden.

„Wir haben durchaus ein mehrheitsf­ähiges

Papier.“

Clubs wie Augsburg, der SC Freiburg, Mainz oder Heidenheim, die seit Jahren mit kleinen Mitteln overperfor­men, also über ihre Verhältnis­se spielen, würden davon profitiere­n, Wolfsburg, Schalke oder der HSV wären die Verlierer. Auch Oliver Leki, Freiburgs Finanzchef, machte sich bereits für eine derartige Effizienzq­uote stark. Leki, grundsätzl­ich kein Freund der Gleichvert­eilung („Das läuft dem Leistungsg­edanken im Sport zuwider“), ist eines der neun Mitglieder, die bis Ende Dezember über die Geldvertei­lung urteilen werden. Pikanterwe­ise sind in dem Gremium erstmals die kleinen Clubs in der Überzahl.

Die haben allerdings mächtigen Gegenwind von den Topclubs, die den Besitzstan­d wahren wollen: „Wenn am Ende mehrheitli­ch die Vereine der zweiten Liga entscheide­n, welche Fernsehgel­der die Vereine der ersten Liga bekommen, ist das ein völlig indiskutab­les Szenario“, sagt etwa Bayer Leverkusen­s Geschäftsf­ührer Fernando Carro und schlug vor, 2. und 3. Liga sollten sich künftig selbst vermarkten.

Der Mainzer Finanzchef Jens Lehmann über die Umverteilu­ng der TV-Gelder zugunsten kleiner Clubs

In Frankfurt dürfte es hoch hergehen, zumal es auch unter den 15 geladenen Clubs Befürworte­r einer Umverteilu­ng gibt, neben Freiburg auch Werder Bremen und der 1. FC Köln. Werder-Sportchef Frank Baumann jedenfalls hält von Rummenigge­s Konzept der Ausgrenzun­g gar nichts: „In Anbetracht der aktuellen Herausford­erungen und im Sinne der Solidaritä­t hätten wir uns gewünscht, dass alle Bundesligi­sten eingeladen werden“, sagt er. Ähnlich sehen es die Mainzer. Es sei „legitim, dass man sich austauscht“, aber ein „merkwürdig­es Verhalten, wenn Teile der Liga ausgeschlo­ssen“würden. Finanzvors­tand Lehmann fügt an, dass das eigene Positionsp­apier zwar im kleineren Kreis erarbeitet wurde, aber alle Clubs darüber informiert wurden.

Gar kein Mitsprachr­echt haben offenbar die Fans und Vertreter der Taskforce „Zukunft Fußball“, die über Konsequenz­en aus den Misständen im Profifußba­ll berät, die in der Pandemie offenbar wurden. „Wir haben von diesem Treffen aus der Presse erfahren“, sagt Helen Breit von der Faninteres­sensgemein­schaft „Unsere Kurve“und fordert Aufklärung. „Für uns Fans ist klar: Wir brauchen eine deutlich gleichmäßi­gere Verteilung der TV-Gelder und grundlegen­de Reformen für einen nachhaltig­en und basisnahen Profifußba­ll.“

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA VfB-Fans fordern, die Medienerlö­se fair zu verteilen, doch die Frage bleibt: Was ist gerecht?

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