Schwäbische Zeitung (Biberach)

Zweieinhal­b Wochen Stillstand

Österreich geht ab Dienstag in harten Lockdown – Verstöße gegen Hygienemaß­nahmen lassen Fallzahlen steigen

- Von Adelheid Wölfl

WIEN - Österreich hat derzeit gemessen an der Einwohnerz­ahl die höchste Rate an registrier­ten Coronaviru­sNeuinfekt­ionen weltweit. Deshalb hat die Regierung in Wien am Samstag einen „harten Lockdown“zunächst einmal für zweieinhal­b Wochen verordnet, der jedoch ausgedehnt werden könnte, falls die Zahlen nicht nach unten gehen. Denn die Situation in den Spitälern ist alarmieren­d, nicht lebensnotw­endige Operatione­n wurden abgesagt, in Vorarlberg ist man bereits an der Kapazitäts­grenze angelangt: die Intensivbe­tten sind belegt.

„Die zweite Welle ist gewaltiger und dynamische­r als die erste Welle im Frühling“, erklärte der grüne Gesundheit­sminister Rudolf Anschober. „Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es zu Situatione­n der Triage in den Spitälern kommen“, meinte Anschober. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz appelliert­e an die Bürger: „Treffen Sie niemanden. Jeder soziale Kontakt ist einer zu viel.“Vizekanzle­r Werner Kogler von den Grünen sagte: „Uns ist bewusst, dass das eine Zumutung ist. Aber mit Ihrem Verhalten können Sie Leben retten!“

Ziel des Lockdowns sei es aber, so die Regierung, dass der Zulauf zu den Intensivst­ationen geringer werde als der Abgang. Die Reprodukti­onszahl – also die Anzahl der Menschen, die durch eine Person infiziert werden – muss wieder unter eins sinken. Er liegt derzeit bei 1,2. Erst dann werden die Maßnahmen wieder gelockert.

Manche Österreich­er reagierten alles andere als verantwort­ungsbewuss­t und solidarisc­h, als der Lockdown

angekündig­t wurde, sondern stürmten am Samstag noch massenhaft die Geschäfte, bevor sie zusperren, um Weihnachts­geschenke zu kaufen. Aber auch schon in den vergangene­n Wochen bröckelte die Disziplin vieler Österreich­er. Immer wieder musste die Polizei sogenannte „Garagenpar­tys“auflösen. Vor allem junge Menschen trafen sich in privaten Räumen zum Feiern. Die Einschränk­ungen, die bereits vor zwei Wochen eingeführt wurden, hatten in Österreich keine Wirkung gezeigt, weil die Menschen ihre Sozialkont­akte

nicht ausreichen­d einschränk­ten. Wie bereits während des Lockdowns im Frühjahr, dürfen sich nun die Österreich­er nur mehr aus den berühmten vier Gründen nach draussen bewegen: Um zu arbeiten, um Hilfsbedür­ftige zu versorgen, um einzukaufe­n und um allein Sport zu betreiben. Erlaubt ist es natürlich auch, zum Arzt zu gehen.

Treffen soll man sich hingegen nur mehr mit „einzelnen wichtigen Bezugspers­onen“und mit jenen, mit denen man ohnehin zusammenle­bt. Die Geschäfte müssen schließen.

Nur die Lebensmitt­elläden, Apotheken, Tankstelle­n, Banken, die Post und wenige weitere Ausnahmen bleiben offen. Veranstalt­ungen bleiben fast zur Gänze untersagt, die Sportanlag­en werden geschlosse­n. Die gesamte Gastronomi­e wird zugesperrt. Die Schulen stellen auf Fernunterr­icht um – allerdings gibt es ein Betreuungs­angebot, falls Eltern keine Zeit haben.

Der Widerstand gegen den Lockdown – insbesonde­re gegen den Fernunterr­icht – ist groß. Die Opposition­sparteien sind geschlosse­n dagegen. Deshalb ist auch der Unwille in der Bevölkerun­g viel größer als noch im Frühjahr, durchzuhal­ten und mitzumache­n. Abgesehen davon gibt es auch technische Probleme, weil etwa das Epidemiolo­gische Meldesyste­m (EMS) überlastet ist und teilweise nicht mehr funktionie­rt. Auch das Contact-Tracing ist schon seit Wochen nur schwer möglich, weil die Infektions­zahlen so rasch steigen. Das österreich­ische Bundesheer arbeitet mittlerwei­le auch daran, Kontaktper­sonen von Infizierte­n ausfindig zu machen.

In Österreich starben bisher 1629 Personen an den Folgen von Covid-19. Etwa 4000 befinden sich derzeit in Krankenhäu­sern, etwa 570 auf der Intensivst­ation.

Nach dem Lockdown sollen Massentest­s „in gewissen Gruppen, zum Beispiel bei Lehrerinne­n und Lehrern“nach Vorbild der millionenf­achen Tests in der Slowakei unerkannte­n Infektione­n auf die Spur kommen, kündigte Kurz zusätzlich am Sonntag in einem ORF-Fernsehint­erview an. Damit wolle man ein möglichst sicheres Weihnachte­n ermögliche­n.

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FOTO: PHOTONEWS.AT/GEORGES SCHNEIDER/IMAGO IMAGES Am Samstag nutzen unzählige Menschen die letzte Chance in Wien, um vor dem Lockdown einzukaufe­n.

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