Schwäbische Zeitung (Biberach)
Ja zum neuen Gasteig, nein zu mehr Geld
Münchens Stadtrat deckelt die veranschlagten Kosten – Pläne müssen abgespeckt werden
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MÜNCHEN - Wer dem Gasteig in München, Europas größtem Kulturzentrum, aufs Dach steigen will, der klettert in der Philharmonie zunächst etliche Treppen empor. Dann geht es durch eine Metalltür ins Freie und weiter zu einem schmalen Baugerüst, auf dem Max Wagner bei jeder Kehre den Kopf einzieht. 1,90 Meter misst der Chef des Gasteig, was hier oben nicht gerade von Vorteil ist. Doch nach einigen Dutzend Stufen steht der studierte Jurist und ausgebildete Sänger schließlich auf dem Dach der Münchner Philharmonie und lässt seinen Blick schweifen – von der Zugspitze weit im Süden bis zu den Türmen der Frauenkirche zu seinen Füßen.
Diese Aussicht – „der schönste Blick auf München“, findet Wagner – ist derzeit einigen Auserwählten vorbehalten. Noch. In einigen Jahren aber sollen sich hier oben ein Restaurant und eine Aussichtsplattform befinden. „Ohne Konsumzwang und für jedermann zugänglich“, betont Wagner. Das sei ihm wichtig. Das geplante Dachrestaurant ist freilich bloß das i-Tüpfelchen auf einem ungleich größeren Projekt: der Generalsanierung des Gasteig, 450 Millionen Euro schwer, ein jahrelanger Zankapfel der Stadtpolitik, der nun kurz vor dem Startschuss steht. Oder doch nicht? So genau kann das auch Max Wagner nicht sagen, nachdem die grün-rote Stadtregierung vor einigen Tagen einen Kostendeckel beschlossen hat.
Doch zunächst zu den Sanierungsplänen, die vor allem den Raum unmittelbar unter Max Wagners Füßen betreffen: die Philharmonie, mit fast 2600 Plätzen der größte Konzertsaal der Stadt. Der soll umgebaut werden, vor allem um die viel kritisierte Akustik zu verbessern. Die neuen Pläne kommen von Yasuhisa Toyota, der schon in der Hamburger Elbphilharmonie für den richtigen Klang verantwortlich zeichnete. Doch Max Wagner spricht über den Umbau des Konzertsaals bewusst nur am Rande. Auch, wenn es um die „Institute“in seinem Haus geht, wie sie im Gasteig heißen, achtet der Geschäftsführer auf diese Reihenfolge: „Wir haben hier die größte Stadtbibliothek Deutschlands, die größte Volkshochschule Deutschlands, die Hochschule für Musik und Theater. Und die Münchner Philharmoniker.“
Denn auch wenn zu deren Konzerten bis zu 2600 Musikliebhaber strömen, ist dies nur ein Bruchteil der knapp zwei Millionen Menschen, die jährlich im Gasteig ein- und ausgehen – im Schnitt fast 5500 pro Tag. Diese Besucherzahlen wolle man durch die Generalsanierung um 50 Prozent steigern, sagt Max Wagner.
Als feststand, dass die Stadt das 1984 eröffnete Gasteig-Gebäude renovieren wird, durften alle Institute im Haus ihre Wünsche äußern. Herausgekommen sind – nach mehrmaligen Sparrunden, wie Wagner betont – 25 Einzelprojekte, die Eingang in die Pläne des Architektenbüros Henn fanden. Sie reichen von einem neuen Foyer über zusätzliche Flächen für die Kulturvermittlung und einer durchgehenden Kinderbetreuung bis hin zum Umbau des CarlOrff-Saals, in dem künftig das Münchener Kammerorchester eine neue Heimat finden wird.
Und dann ist da natürlich noch die sogenannte Kulturbrücke, die wie kein anderes Projekt für die geplante „Öffnung und Vernetzung“des Gasteig steht – zwei Worte, die Max Wagner im Gespräch mantraartig wiederholt. Der weithin sichtbare Glasriegel soll die verschiedenen Gebäudeteile miteinander verbinden. Zudem könnten dort auf circa 900 Quadratmetern Veranstaltungen jeglicher Art stattfinden, sagt Wagner, offen einsehbar von außen. Die Kulturbrücke samt der Glasflächen, die Teile der Backsteinfassade ersetzen sollen, werden das Gebäude „zur Stadt hin öffnen“. Damit wolle man auch den Ruf als „Trutzburg“und „Kulturbunker“abschütteln, der dem wuchtigen Ziegelbau anhaftet. „Der Gasteig soll ein demokratischer Ort sein, wo sich alle begegnen. Hier sind täglich Menschen aus allen Gesellschaftsschichten
präsent – das hast du nicht in der Oper, und das hast du nicht in den Kammerspielen.“
Ab Ende 2021, so der Plan, soll der Gasteig seine Türen für eine Bauzeit von vier Jahren schließen. Zur Überbrückung wird einige Kilometer Isar aufwärts gerade ein Interimsquartier hochgezogen. Auf einem früheren Industrieareal in Sendling entstehen für 112 Millionen Euro mehrere Veranstaltungssäle, Gastronomie, eine provisorische Heimat für alle Gasteig-Institute – und ein Konzertsaal in Holzmodulbauweise für 1800 Gäste. Auch hier ist Star-Akustiker Yasuhisa Toyota für den Raumklang verantwortlich. Das Eröffnungskonzert der Philharmoniker ist für Oktober 2021 geplant.
Im Winter 2026 soll es dann zurück in den Gasteig gehen, der HolzKonzertsaal in Sendling soll wieder abgebaut werden – so zumindest der Plan. Allerdings mehren sich im Rathaus die Stimmen, die für einen Erhalt des Interimsbaus plädieren. Und für Gespräche mit dem Freistaat über ein gemeinsames Konzept für Münchens Konzertsäle. Bekanntlich will das Land Bayern im Werksviertel nahe des Ostbahnhofs ein neues Konzerthaus als Heimat für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks bauen. Aktuell befindet sich das Projekt in der Planungsphase, und trotz kontroverser Debatten im Landtag hat sich Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Sommer ausdrücklich zu dem Vorhaben bekannt.
Fragt man Max Wagner nach dem Konzerthaus im Werksviertel und der Zukunft des Interims-Konzertsaals, sagt der Gasteig-Chef: „Das zu entscheiden ist Sache der Politik.“
Ohnehin beschäftigt ihn vielmehr eine Entscheidung, die bereits gefallen ist. So verkündete die grün-rote Stadtregierung Anfang voriger Woche, dass man trotz aller CoronaSparzwänge an der Gasteig-Sanierung festhalte. Jedoch dürften die Kosten 450 Millionen Euro nicht überschreiten. Diese Summe galt seit jeher als Obergrenze, allerdings gab es offenbar unterschiedliche Ansichten, ob darin auch die Erstausstattung enthalten ist: Tische, Stühle und Computer in dem Gebäude, was sich auf circa 80 Millionen Euro summieren würde. Im Gasteig ging man davon aus, dass diese Summe zusätzlich bereitgestellt wird. Das Rathaus jedoch hat nun festgelegt, dass die Gesamtkosten inklusive Erstausstattung bei höchstens 450 Millionen Euro liegen dürfen. Was bedeutet, dass die Sanierungspläne abgespeckt werden müssen, und zwar schnell. Schließlich erwartet die Politik noch im Dezember Sparvorschläge um das Vorhaben endgültig zu beschließen.
„Ich bin ein optimistischer Mensch“, sagt Max Wagner über die jüngsten Entwicklungen. „Und ich nehme an Positivem mit, dass ich von der Politik eine Bekenntnis zur Generalsanierung herausgehört habe.“Was er nicht sagt: Um 80 Millionen Euro einzusparen, wird er wohl das eigentlich schon fertige Paket wieder aufschnüren und sich von mehreren Vorhaben trennen müssen – sei es nun beim Umbau der Philharmonie, der Kulturbrücke oder der Glasfassade. Und auch das Dachrestaurant mit dem Panoramablick auf München könnte noch einmal auf den Prüfstand kommen.