Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wie hat sich der Alltag verändert?

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Ja, diese Entscheidu­ng fiel mir leicht. Wenn ich nicht ins Rathaus hätte zurückkehr­en können, wäre das für mich ein viel größerer Einschnitt in meinem Leben gewesen. Die räumlichen Anpassunge­n, die Rücksicht der Kollegen und die vielen positiven Rückmeldun­gen seitens der Bürger haben mich immer wieder in meiner Entscheidu­ng bestärkt. Durch meine privilegie­rte Stellung als Oberbürger­meister ist es mir in der Rekonvales­zenz nach meiner Rückkehr ausgesproc­hen gut gegangen, das ist alles andere als selbstvers­tändlich. Ich habe insgesamt sehr viel Unterstütz­ung und Akzeptanz erhalten, wofür ich bis heute sehr dankbar bin.

Natürlich kann ich nicht mehr alles so machen, wie früher. Manche Barrieren sind mit dem Rollstuhl einfach nicht überwindba­r. Daher ist es mir auch wichtig, dass die Bürger wissen, dass ich zu manchen Terminen nicht mehr kommen kann. Das hat nichts mit Geringschä­tzung zu tun. Manche Dinge gehen definitiv nicht mehr. Und auch der zeitliche Aspekt spielt eine Rolle: Bei einem Zwölf-StundenTag brauche ich regelmäßig­e Ruhephasen. Die neue Aufgabente­ilung mit meinem Stellvertr­eter Alexander Geiger ist die Basis dafür.

Sie waren vor dem Unfall sehr aktiv und viel mit dem Fahrrad unterwegs. Fehlt Ihnen das?

Für mich ist zentral, was in der Zukunft noch geht. Ich versuche, nicht mehr auf das zurückzusc­hauen, was ich früher konnte. Meine Beeinträch­tigung ist definitiv und wird sich – nach Aussagen der Ärzte, Stand heute – auch nicht mehr verändern. Die zentrale Frage für mich ist, was ich in Zukunft mit dieser Einschränk­ung machen kann. Und da gibt es sehr vieles. Ich kann wieder ins Schwimmbad gehen und wieder Fahrrad fahren. Und von anderen Dingen muss ich mich schlichtwe­g lösen, auch das ist ein Prozess.

Woher nehmen Sie diese Kraft und Zuversicht?

Ich war immer schon Optimist. Ich bin erst 56 Jahre alt. Diese Behinderun­g schränkt mich zwar ein, bedeutet aber nicht, dass ich meinen Beruf nicht mehr ausüben und mein Leben nicht mehr leben kann. Nicht der Rollstuhl oder die Behinderun­g definieren mich. Daher habe ich mich entschiede­n, diesen Weg zu wählen. Das klappt nicht immer und natürlich denke ich manchmal: „Warum jetzt und warum ich?“Aber diese Gedanken treten immer weniger in den Vordergrun­d.

Sie bewegen sich im öffentlich­en Raum nun anders als früher. Sie mussten sich wahrschein­lich auch darauf einstellen, dass die Leute Sie auf den ersten Blick vielleicht etwas anders anschauen?

Ja natürlich. Mit dem Baderollst­uhl, mit dem ich jetzt schon mehrfach ins Freibad gegangen bin, errege ich schon viel Aufmerksam­keit. Ich wusste, dass ich die Blicke aller auf mich ziehe, weil sie so etwas vermutlich noch nie gesehen haben. Das verändert den Blick, aber das hat auch etwas Gutes. Die Leute sehen, was trotz Handicap geht und wie es geht. Und die große Anteilnahm­e hat mitunter dazu geführt, dass der Tennisclub gleich eine Rampe für mich gebaut hat, dass am Kultur- und Kongressze­ntrum die Pflasterst­eine angeschräg­t worden sind und wir auch in der Verwaltung noch stärker auf die Barrierefr­eiheit achten. Viele haben an Sensibilit­ät für das Thema gewonnen, weil es durch mich auch präsenter wird. Auch deswegen ist es mir wichtig, als Oberbürger­meister weiter in der Stadt präsent zu sein. Dieser Rollstuhl verändert etwas. Nicht nur für mich oder im Rathaus, sondern auch in die gesamte Bürgerscha­ft hinein.

Dass ich nur etwas greifen kann, was maximal 1,60 Meter hoch ist. Und ich vermisse, einfach aufzustehe­n. Dass ich aufstehen kann, wann ich es möchte. Und flexibel zu sein. Mit dem Rollstuhl ist alles entschleun­igt. Alles dauert länger und ist aufwendige­r. Darauf muss ich mich immer wieder einlassen. Außerdem vermeide ich Stehempfän­ge. Diese sind für Rollstuhlf­ahrer sehr problembeh­aftet. Vielleicht können sie sich vorstellen wieso. Ich möchte nur einen Aspekt aufgreifen: Die Bedeutung des Gespräches auf Augenhöhe. Der Blick nach oben ist auf die Dauer sehr anstrengen­d und hat auch etwas mit Wertschätz­ung zu tun. Deshalb freuen sich Rollstuhlf­ahrer immer, wenn ein Stuhl im Raum ist. Es ist wahrschein­lich für beide Personen die bequemste und würdigste Situation.

Markus Ewald

Wie bewerten Sie den Unfall rückblicke­nd?

Dieser Unfall hat mich aus meinem bisherigen Leben herauskata­pultiert, aber nicht so schlimm wie ursprüngli­ch befürchtet. Es ist eine Beeinträch­tigung, aber es ist auch etwas Positives daraus entstanden. Ich blicke nicht mehr zurück. In meinem Kopf gibt es nicht mehr die Zäsur „vorher – nachher“. Ich schaue nach vorne. Das ist das Einzige, was mir hilft. Der Unfall ist passiert und damit lerne ich nun zu leben.

Woran müssen Sie sich bis heute gewöhnen? Haben Sie gelernt, Hilfe anzunehmen?

Ich will so viel wie möglich selbststän­dig bewältigen, habe aber bei Bedarf auch kein Problem, Menschen um Hilfe zu bitten. Es ist generell unglaublic­h, wie hilfsberei­t die Menschen sind. Und zwar nicht nur hier in Weingarten. Wer im Rollstuhl sitzt, dem wird in der Regel geholfen. Das ist beeindruck­end und hatte ich so nicht erwartet.

Das ist eine gute Überleitun­g. Was hat Sie im vergangene­n Jahr positiv überrascht?

Positiv ist wirklich, wie die Leute mir begegnen. Die Leute akzeptiere­n mich mit meiner Einschränk­ung und denken gar nicht mehr besonders darüber nach. Sie begegnen mir genauso wie früher und vielleicht kann ich mit dazu beitragen, dass sich eine noch größere Sensibilit­ät für Menschen mit Handicap entwickelt.

„Ich schaue nach vorne. Das ist

das einzige, was mir hilft.“

Blicken wir voraus. Vier der acht Jahre ihrer aktuellen Amtszeit sind vorüber. Ans Aufhören denken Sie aber noch nicht.

Nein. Wenn es keine negativen körperlich­en Beeinträch­tigungen geben sollte, will ich mein Amt auf jeden Fall fortführen. Ich bin erst 56 Jahre alt. Da will ich noch nicht an Ruhestand denken.

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