Schwäbische Zeitung (Biberach)
362 Türchen Vorfreude
Während Leute, die stets bereitwillig alles kaufen, was ihnen die Supermarktbetreiber in die Impulsivkaufzone bei der Kasse stapeln, schon seit Ende August keinen Lebkuchen mehr sehen können, ist jetzt für die Bäcker von Hutzelbrot und Christstollen die beste Zeit. Beides will nämlich vor dem Verzehr eine auskömmliche Reife erfahren. Sonst schmeckt es arg fad, das süße Zeugs. Im Zweifel hilft ein Zentimeter dick Butter plus eine Schicht Honig. Damit wird selbst Wellpappe zu einem kulinarischen Ereignis.
Aber zurück zum vorweihnachtlichen Backwerk. So gerne wir den Traditionen folgen, weil sie uns durchs Leben geleiten und dabei die Verbindung zur eigenen Kindheit lebendig erhalten, braucht der Mensch auch zu Weihnachten Abwechslung. Zu beobachten ist das am Angebot der Adventskalender. Während jener mit Schokolade seit kurz nach Christi Geburt auf dem Markt zu sein scheint, gibt‘s Exotischeres erst seit jüngerer Zeit. Etwa einer mit Bierdosen – offenbar ist noch keinem aufgefallen, dass eine Kiste Tannenzäpfle auch 24 Flaschen enthält und ihr Genuss
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bei Kennern das ganze Jahr über weihnachtliche Gefühle erzeugt.
Ein Anbieter aus Großbritannien hatte in den 1990er-Jahren einen Adventskalender auf den Markt gebracht, der nicht am 1. Dezember, sondern am 27. Dezember beginnt. Er besaß 362 Türen. Mehr Vorfreude geht nicht. Ein solcher Kalender mit Bierflaschen bestückt, überfordert die räumlichen Möglichkeiten des Durchschnittsreihenendhausbesitzers. Aber warum nicht, wenn’s der Besinnlichkeit dient. (nyf )